Langsam nickte Bettina, als hätte sie schon dasselbe gedacht. »Während wir per Video telefoniert haben, konnte sie kaum stillsitzen. Genau wie ich.«

»Das passt ja.« Sonny lachte. Erleichterung durchflutete sie, warum auch immer. »Wann willst du sie treffen?«

»Noch diese Woche. Nach Feierabend«, erklärte Bettina. »Sie wohnt nur dreißig Kilometer entfernt.«

Noch besser! Sonny musste sehr an sich halten, nicht zu grinsen.

»Astrid meinte, wenn wir uns früh genug treffen, kann sie danach noch nach Hause fahren und braucht dann auch kein Zimmer.«

»Ja, klar.« Sonny nickte. »Dreißig Kilometer sind keine Entfernung mit dem Auto. Das ist praktisch um die Ecke.«

»Hmhm.« In Bettinas Kopf spielte sich irgendetwas ab.

»Was ist?«, fragte Sonny.

»Sie . . . Sie . . .« Bettina schien sich nicht entscheiden zu können, was sie sagen wollte.

Leicht irritiert schaute Sonny sie an. »Was Sie

»Sie ist Pianistin«, schoss es aus Bettina heraus. »Und ich habe doch nicht die geringste Ahnung von Musik!«

Sonnys Mundwinkel zuckten ganz von selbst. »Denkst du, das spielt so eine große Rolle? Vor allem für ein erstes Treffen? Wenn ihr euch mögt –«

»Ich mag sie alle!« Das klang wie ein Aufschrei. »Das ist ja das Problem!«

Wieder schmunzelnd nickte Sonny erneut. »Das ist in der Tat ein Problem.«

»Du machst dich über mich lustig.« Bedripst zog Bettina das Handy weg.

»Nein, nein, tue ich gar nicht.« Sonny griff nach ihrer Hand und versuchte, ihren Blick einzufangen. »Aber schau mal, wir mögen uns doch auch. Und trotzdem haben wir nichts miteinander.«

Unentschlossen sah Bettina sie von unten herauf an. »Das ist doch etwas anderes.«

»Weil wir uns nicht über eine Kontaktanzeige kennengelernt haben?« Sonny lachte. »Wir mochten uns sofort, als ich damals die Madeira-Reise bei euch im Reisebüro gebucht habe. Daraus hätte auch etwas entstehen können. Aber dann haben wir festgestellt, dass wir uns einfach nur mögen. Mögen, aber nicht mehr. So sind wir beste Freundinnen geworden.«

»Du meinst, daraus könnte auch einfach nur eine Freundschaft entstehen?«, fragte Bettina hoffnungsvoll.

Sonny zuckte die Schultern. »Du hast so viele Kontakte. Freundinnen und Freunde. Das ist eben deine Art. Es muss ja nicht immer gleich die große Liebe sein.«

»Nein, muss es nicht.« Auf ihre eigene, fast selbst etwas koboldhafte Art begann Bettina zu lächeln. »Sie kommt am Dienstag.«

6

Nachdem Sonny nun wusste, welche Dating-App Bettina nutzte, dachte sie öfter daran, wie wohl Yvonnes Profil aussah.

Sicherlich, sie hatte sie schon kennengelernt, die Fotos auf Yvonnes Profil würden nichts mehr an ihrem ersten Eindruck ändern. Allenfalls hätte sie noch eine Zusammenfassung von Yvonnes Hobbys oder Vorlieben daraus entnehmen können. Auch natürlich ihre Wünsche bezüglich der Frau, die Yvonne suchte.

Gerade davor schreckte Sonny jedoch zurück. Was, wenn das alles das Gegenteil von ihr war? Dass Yvonne aufgrund von Bettinas Profil mit ihr Kontakt aufgenommen hatte, sprach dafür, dass sie keine Frau wie Sonny suchte. Bettina war in vielen Dingen das absolute Gegenteil von Sonny.

Yvonne wirkte nicht wie eine Frau, die blind in die Gegend schoss und einfach irgendjemandem schrieb. Der es nicht darauf ankam, wie eine Frau war. Sie hatte sich Bettina ganz gezielt ausgesucht.

Warum? fragte Sonny sich. Was an Bettina hatte Yvonne dazu veranlasst? In ihrer einstündigen Unterhaltung im Café am See hatten sie nicht darüber gesprochen. Sonny hatte keinen Anlass dazu gesehen, und Yvonne anscheinend auch nicht.

Sie hatten sich über alles Mögliche unterhalten. Es hatte sich einfach so ergeben, ganz natürlich. Kontaktanzeigen, Dating-Apps oder was für eine Frau Yvonne anziehend fand, hatten jedoch nicht zu ihren Themen gehört.

Worüber hatten sie eigentlich gesprochen? Mit gerunzelter Stirn versuchte Sonny sich daran zu erinnern, während sie in ihrem Büro am Schreibtisch saß.

Über Häuser und Wohnungen hatten sie gesprochen, daran erinnerte sie sich. Yvonne hatte von ihrem Haus erzählt. Wie sehr sie ihren Garten liebte. Dass sie gern darin arbeitete und das sehr entspannend fand.

Im Gegenzug dazu hatte Sonny lachend gesagt, dass sie mit Gärten leider überhaupt nichts anfangen konnte, weil sie sich nicht damit auskannte. Sie war in einer Wohnung ohne Garten aufgewachsen, und jetzt hatte sie auch keinen. Sie vermisste das auch nicht. Einen grünen Daumen hatte sie noch nie gehabt.

Verdammt! Das hätte sie nicht sagen sollen. Ja, sie war eine richtige Stadtpflanze, aber sie war auch gern im Grünen. Wenn sie es nicht selbst pflegen musste.

Sie hätte herausstellen sollen, dass sie die Natur liebte, eben nur keinen Garten hatte. Weil die meisten Wohnungen in der Stadt keinen hatten. Sie hatte da gar keine bewusste Entscheidung treffen müssen. Sie hatte einfach die Wohnung genommen, die ihren Ansprüchen entsprach und ihr gefiel.

Urlaub. Das nächste Thema war Urlaub gewesen. Sie hatten festgestellt, dass sie beide schon auf Madeira gewesen waren und es dort schön fanden.

Sonny hätte sich fast den Schweiß von der Stirn gewischt. Wenigstens eine Gemeinsamkeit!

An vieles, worüber sie gesprochen hatten, konnte sie sich jedoch gar nicht mehr so genau erinnern. Denn Yvonne hatte sie immer mehr fasziniert. Sonny hatte ihre Lippen beobachtet, wie sie sprachen, wie sie sich bewegten, aber sie hatte nicht unbedingt gehört, was sie sagten.

Darüber hinaus hatte sie bewusst versucht zu unterdrücken, allzu fasziniert zu sein. Die ganze Zeit hatte sie Yvonne als Bettinas Freundin betrachtet. Zumindest als ihre Freundin in spe. Was Sonny selbst jegliches weitere Interesse verbot.

Und dann traf Bettina sich schon mit der nächsten . . . Natürlich war das ihr gutes Recht, und es war ja auch ganz verständlich, dass sie nicht nur eine, sondern alle Frauen kennenlernen wollte, die sich bei ihr gemeldet hatten, aber es störte Sonny doch, dass es Bettina so leichtfiel.

Wieso? Bettina hatte das immer schon so gemacht. Es war nichts Neues. Sie lernte viele Leute kennen, traf sich mit ihnen, es entspannen sich gemeinsame Interessen und sogar Freundschaften. Manche intim, manche nicht so. Das war eben Bettina.

Viele Menschen mochten Bettinas offene Art, Sonny auch. Das war es, was sie zuerst an ihr angezogen hatte. Und jetzt störte es sie?

Ja, es störte sie. Aber nur in Bezug auf eine Frau. Eine einzige.

Sie atmete tief durch. Yvonne und sie hatten nichts gemeinsam. Sie hatten sich nett unterhalten, das war alles. Es war nur Small Talk gewesen, nichts Ernsthaftes. Um die Zeit totzuschlagen, weil Bettina nicht zurückkam.

Dafür hätten ehrlich gesagt jedoch auch zehn Minuten gereicht. Sonny hätte sich nicht verpflichtet fühlen müssen, Bettinas Unhöflichkeit so lange auszubügeln. Das ging nur Bettina etwas an, und sie hätte sich darum kümmern sollen.

Zuerst hatte Yvonne Sonny leidgetan, und deshalb hatte sie sie nicht so allein da sitzen lassen wollen, aber das hatte sich schnell geändert. Yvonne war keine Frau, die Mitleid hervorrief, wenn man sie näher kennenlernte.

In diesem Augenblick hätte Sonny gehen können. In dem Moment, als sie merkte, was für eine starke, in sich selbst ruhende Frau Yvonne war.

Aber sie hatte es nicht getan.

Warum hatte sie es nicht getan? Weil sie sie anziehend fand. Weil sie diese eine Stunde genossen hatte wie selten etwas in ihrem Leben. Weil sie schneller verflogen war, als Sonny sich das gewünscht hätte.

Sie hatten im Prinzip auf Bettina gewartet, aber Sonny hatte nicht ein einziges Mal auf die Uhr geschaut. Yvonne hatte sich mit dem Frühstück sehr viel Zeit gelassen, sie aß sehr langsam und kaute jeden Bissen gefühlt einhundert Mal, und so hatte es schon den größten Teil der Stunde gebraucht, bevor sie mit dem Frühstück fertig war.

Ruth Gogoll: Liebe, Lüge, Leidenschaft

1 »Du bist eine süße Frau.« »Ich bin eine starke Frau.« Sonny lächelte. »Eine starke Frau, aber...
»Na du? Ist dein Frauchen noch nicht fertig?« »Gleich!« Das kam aus dem Bad. Dass gleich bei...
Sonny konnte aber auch einfach nach Hause fahren und Bettina ihrem Schicksal überlassen. Auch wenn...
»Niemals!« Das klang so überzeugt, dass man es Bettina beinah hätte glauben können. »Ich versinke...
»Nett ist nicht der richtige Ausdruck.« Bettina gluckste. »Wirklich nicht. Sie ist –« »Schon gut«,...
»Ich bin nicht gern allein«, begründete Bettina das mit einem etwas trotzigen Ausdruck im Gesicht....
Langsam nickte Bettina, als hätte sie schon dasselbe gedacht. »Während wir per Video telefoniert...
Dann hatte sie auf die Uhr gesehen. »Ich würde sagen, sie kommt nicht mehr«, hatte sie ganz...
8 Es fühlte sich an, als wäre sie in Yvonnes Privatsphäre eingedrungen. Und das, obwohl Yvonne...
Auch andere Bilder konnte man so erstellen lassen. Eine Frau am Meer oder in den Bergen, lachend...
War das jetzt der Grund, dass sie es wieder tat? Heute war doch alles anders. Wie oft jetzt...
Die Wirklichkeit sah natürlich anders aus. Die Intimität und Nähe, die Sonny gespürt hatte, hatte...