Auch andere Bilder konnte man so erstellen lassen. Eine Frau am Meer oder in den Bergen, lachend im Hintergrund, dass sie nicht so genau zu erkennen war, oder von hinten, mit dem Blick in die Weite gerichtet.

Nachdem sie eine Weile mit der KI herumgespielt hatte, hatte sie ein Profilbild und drei Fotos zusammen, die sie hochladen konnte.

Nichts davon sah ihr ähnlich, und das war ja auch der Sinn der Sache.

Für einen Moment dachte sie darüber nach, dass das doch eigentlich Betrug war, was sie hier tat. Gab es nicht berufsmäßige Lovescammer – das Wort hatte sie mal irgendwo gelesen –, die genau das taten?

Auf Deutsch hatte man das früher Heiratsschwindler genannt, doch das klang irgendwie viel harmloser. Love Scam oder Romance Scam, die englischen Bezeichnungen, trafen es sehr viel besser, denn sie enthielten das Wort Scam gleich Betrug.

War Sonny eine Betrügerin, wenn sie dieses Profil jetzt tatsächlich freischaltete?

Nein, beschloss sie, obwohl es ihr ein wenig Grummeln im Bauch verursachte. Sie wollte niemanden betrügen und würde ganz sicher keiner Frau die Ehe versprechen, um sie dann abzuzocken.

Sie konnte sowieso nicht verstehen, wieso Frauen Geld, eine Menge Geld bis zum eigenen Ruin, an Personen schickten, die sie gar nicht kannten, die sie nur über das Internet kennengelernt und noch nie gesehen hatten. Wie konnte man so dumm sein?

Dafür war ihr Profil auf jeden Fall nicht gedacht, und deshalb musste sie sich nicht dafür schämen, dass die Fotos nicht echt waren. Wurde nicht immer davor gewarnt, seine echten Daten ins Internet zu stellen? Sie hielt sich nur an diese Ratschläge.

Und endlich klickte sie auf Speichern, und Angela Baumgarten war geboren.

9

Sonny hätte in den nächsten Tagen wahrscheinlich überhaupt nicht mehr an dieses Profil gedacht, wenn nicht schon kurz nach der Freischaltung ihr Handy ständig irgendwelche störenden Signaltöne von sich gegeben hätte.

Am Anfang dachte sie noch, es wären wichtige Nachrichten, aber dann sah sie, dass es ausschließlich Benachrichtigungen der Dating-App waren. Kaum war ihr Profil online gegangen, bekam sie schon eine Menge Anfragen.

Völlig überrascht davon stellte sie die Benachrichtigungen ab. Damit konnte sie sich erst nach Feierabend beschäftigen.

Wenn sie das überhaupt wollte. Das würde sie dann entscheiden.

Erst im Bett fiel ihr ein, dass sie hatte nachschauen wollen, was da gekommen war. Bis dahin hatte sie gelesen und gar nicht daran gedacht. Doch als sie ihr Handy mit dem Ladekabel an ihrem Nachttisch verband, leuchtete der Bildschirm auf, und in einer langen Liste wurden ihr unzählige Benachrichtigungen angezeigt.

Eigentlich war es viel zu spät, um da noch reinzuschauen, aber die Neugier trieb sie dazu, es doch zu tun. Sie konnte kaum glauben, was da alles noch gekommen war, nachdem sie die Benachrichtigungen abgeschaltet hatte. Tagsüber brauchte sie ihr privates Handy nur selten. Sie hatte eins von der Firma, das sie für geschäftliche Kontakte nutzte.

Es konnte doch nicht sein, dass ihr Fake-Profil so viel Interesse geweckt hatte. Sie runzelte die Stirn. War es Bettina genauso gegangen? Davon hatte sie nichts erzählt.

Aber Sonny hatte ihr ja auch nicht gesagt, dass sie sich selbst auf dieser Dating-App angemeldet hatte. Somit gab es keinen Grund für Bettina, ihr irgendetwas in dieser Art zu erzählen. Was sie Sonny hatte erzählen wollen, hatte sie ihr gesagt. Und gezeigt.

Sie scrollte durch die Nachrichten, aber der Inhalt wurde ihr nicht angezeigt, nur dass eine Nachricht gekommen war. Um sie lesen zu können, musste sie sich einloggen.

Kurz dachte sie darüber nach, es nicht zu tun, weil sie wirklich müde war, aber dann trieb sie die Neugier doch. Was, wenn eine Nachricht von Yvonne gekommen war?

Gleich als sie das dachte, schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Das war doch Unsinn. Warum sollte Yvonne ihr geschrieben haben? Das wäre ein zu großer Zufall gewesen.

Und ›Angela Baumgartens‹ Profil war dafür auch gar nicht interessant genug. Nicht genug, um das Interesse einer Yvonne zu erwecken, bei der die Frauen wahrscheinlich Schlange standen.

Andererseits . . . Bettina hatte sie auch geschrieben. Und Sonny wusste immer noch nicht, warum. Was Yvonne dazu bewogen hatte, Bettina auszusuchen. Was für Yvonne an Bettina attraktiv war.

Ja sicher, Bettina war attraktiv. Aber bei ihrer Unterhaltung mit Yvonne hatte Sonny den Eindruck gewonnen, dass Bettina und Yvonne nicht viel gemeinsam hatten.

Aber das war bei ihr selbst, Sonny, ja genauso. Sie seufzte. Madeira war das Einzige gewesen, das sie beide, Yvonne und sie, kannten und liebten. Und Bettina liebte Madeira auch. Also vielleicht reichte das aus. Vielleicht hatte es für Yvonne ausgereicht, sich mit Bettina zu verabreden.

Dann hätte es vielleicht auch ausgereicht, um Yvonnes Interesse an ›Angela Baumgarten‹ zu wecken? Nur leider konnte das nicht sein. Sonny seufzte wieder. Über Madeira hatte sie nichts in ihr Profil geschrieben.

Vielleicht weil sie befürchtet hatte, Yvonne würde dann gleich wissen, wer ›Angela Baumgarten‹ war? Dass sie Sonny war? Konnte das der Grund gewesen sein?

Unterbewusst möglicherweise. Bewusst hatte Sonny nicht darüber nachgedacht. Im Grunde hatte sie bei vielem einfach nur das Gegenteil von dem gewählt, was sie in Wirklichkeit mochte, um sich nicht zu verraten.

Aber das verriet vielleicht auch etwas. Und niemand, der auf dieses Profil antwortete, konnte wirklich etwas von Sonny wollen. Denn ›Angela Baumgarten‹ war eine völlig andere Frau. Das Gegenteil von Sonny. Mehr so wie . . . Bettina.

Unwillkürlich knirschte sie mit den Zähnen, weil sie sie ohne es zu merken zu fest zusammenpresste. Mehr so wie Bettina. Und Bettina hatte Yvonne geschrieben. Weil ihr Bettinas Profil gefallen hatte. Das dem von ›Angela Baumgarten‹ glich.

Schöner Mist.

Aber war es denn nicht das, was sie, Sonny, wollte? Mit Yvonne Kontakt aufnehmen? Unter einer Art Tarnkappe, damit sie sie nicht erkannte?

Wie war sie bloß auf so einen hirnrissigen Gedanken gekommen?

Es war Bettina. Sie war wohl der hauptsächliche Grund. Sonny wollte Bettina nicht in die Suppe spucken, ihr nicht die sich anbahnende Beziehung mit Yvonne verderben.

Wenn es die denn gab. Jetzt kam erst einmal Astrid . . .

Ach, es war zum Verrücktwerden!

Obwohl es schon so spät war, loggte sie sich nun doch noch ein. Und wenn es nur war, um auf Yvonnes Profil zu gehen und ihre Fotos anzuschauen, die so wenig aussagten. Aber dabei konnte sie sich vorstellen, wie Yvonne in Wirklichkeit aussah und vielleicht von ihr träumen.

Träumen. Du lieber Himmel! Als ob sie, Sonny, der Typ zum Träumen wäre. Das war sie doch noch nie gewesen. Oder zumindest schon lange nicht mehr. Sie hatte seit Jahren, seit Jahrzehnten eine sehr realistische Einstellung zum Leben entwickelt, zu Menschen, zu Beziehungen. Deshalb hatte sie auch keine feste.

Beziehungen waren eine Sache für Leute, die eine Familie gründen wollten, ein Haus bauen, gemeinsam Kinder, Hunde, Katzen und Schildkröten großziehen. All das, was in der Werbung immer als das höchste Glück auf Erden verkauft wurde.

Sonny gehörte noch zu der Generation, in der Heiraten und Kinder für lesbische Paare nicht selbstverständlich gewesen waren. Auch einfach so sagen zu können, dass man lesbisch war, war damals noch nicht selbstverständlich gewesen.

Gezwungenermaßen hatte Sonny sich da deshalb immer ziemlich bedeckt gehalten. Wahrscheinlich hatte sie sich deshalb tatsächlich ein bisschen angewöhnt, sich zu verstecken. Auch wenn das eigentlich nicht in ihrer Natur lag.

Ruth Gogoll: Liebe, Lüge, Leidenschaft

1 »Du bist eine süße Frau.« »Ich bin eine starke Frau.« Sonny lächelte. »Eine starke Frau, aber...
»Na du? Ist dein Frauchen noch nicht fertig?« »Gleich!« Das kam aus dem Bad. Dass gleich bei...
Sonny konnte aber auch einfach nach Hause fahren und Bettina ihrem Schicksal überlassen. Auch wenn...
»Niemals!« Das klang so überzeugt, dass man es Bettina beinah hätte glauben können. »Ich versinke...
»Nett ist nicht der richtige Ausdruck.« Bettina gluckste. »Wirklich nicht. Sie ist –« »Schon gut«,...
»Ich bin nicht gern allein«, begründete Bettina das mit einem etwas trotzigen Ausdruck im Gesicht....
Langsam nickte Bettina, als hätte sie schon dasselbe gedacht. »Während wir per Video telefoniert...
Dann hatte sie auf die Uhr gesehen. »Ich würde sagen, sie kommt nicht mehr«, hatte sie ganz...
8 Es fühlte sich an, als wäre sie in Yvonnes Privatsphäre eingedrungen. Und das, obwohl Yvonne...
Auch andere Bilder konnte man so erstellen lassen. Eine Frau am Meer oder in den Bergen, lachend...
War das jetzt der Grund, dass sie es wieder tat? Heute war doch alles anders. Wie oft jetzt...
Die Wirklichkeit sah natürlich anders aus. Die Intimität und Nähe, die Sonny gespürt hatte, hatte...