War das jetzt der Grund, dass sie es wieder tat? Heute war doch alles anders. Wie oft jetzt lesbische und schwule Paare in Filmen oder Serien vorkamen, das hätte Sonny sich früher nicht träumen lassen. Keine Lesbe wohl.

Was war das damals für ein Aufschrei gewesen, als es mit L-Word losging . . . Oder Ellen. Alle hatten davorgehockt wie andere sonntags in der Kirche. Es war Pflicht gewesen, das anzuschauen, damit man darüber mit anderen Lesben reden konnte.

Davor gab es allerdings im deutschsprachigen Bereich schon Hella von Sinnen, die die Landschaft ganz schön aufgemischt hatte, weil sie sich ausgerechnet auch noch die Tochter eines populären Politikers als Liebste aussuchen musste. Deren Mutter sah zwar lesbischer aus als die Tochter, aber was wusste man schon?

Und dann natürlich Anne Will, die Vorzeigejournalistin mit der genauso vorzeigeträchtigen Frau an ihrer Seite. Zwei attraktive Erfolgsfrauen, die vorführten, dass eine lesbische Beziehung auch anders sein konnte als nur das übliche Haus, Hochzeit, Kinder. Dafür, dass beide so konzentriert auf ihre berufliche Karriere waren, hatte die Beziehung wirklich lange gehalten.

Auch Sonny hatte sich mehr auf ihren Beruf konzentriert als auf ihr Privatleben. Es hatte nahegelegen, da ihre Mutter ihr schon früh beigebracht hatte, dass man sich als Frau nicht darauf verlassen durfte, von einem Mann geheiratet und ein Leben lang versorgt zu werden. Ihre Mutter war geschieden gewesen und hatte selbst die Erfahrung gemacht, dass sie allein für sich sorgen musste, nachdem sie zuvor wohl gehofft hatte, ein Mann würde das für sie tun.

Letztes Jahr war ihre Mutter gestorben, und das hieß, jetzt war Sonny tatsächlich allein. Keine Familie mehr. Das war ihr bis heute noch gar nicht so bewusst geworden.

Sie hätte sich daraufhin vielleicht – wenn auch spät – auf die Suche nach einer festen Beziehung machen können. Doch sie hatte genug Liebesaffären – wenn man das denn so nennen wollte – gehabt, um zu wissen, dass es gar nicht so einfach war, die richtige Frau zu finden.

Als sie noch jung gewesen war, hatte sie darauf gehofft. Taten das nicht alle?

Wer suchet, der wird finden.

Hieß es nicht so? Sonny war sich mittlerweile nicht mehr so sicher, ob das nicht nur ein Werbespruch war. Zumindest soweit es Frauen betraf.

Sonnys Leben war dahingehend nicht uninteressant verlaufen. Das konnte sie wirklich nicht sagen. Nicht uninteressant. Sogar abwechslungsreich. Aber auch anstrengend.

Obwohl sie selbst eine Frau war, erschienen ihr andere Frauen manchmal wie eine fremde Spezies.

Das ging schon damit los, dass die meisten Frauen hetero waren. Die waren wirklich eine fremde Spezies. Merkwürdige Geschöpfe, oft verführerisch, aber leider nur an Männern interessiert. Konnte man also streichen.

Nicht dass sie das von Anfang an gewusst hatte. Eine Frau ist eine Frau, hatte sie damals gedacht, jung, wie sie war, und damit gerechnet, dass jede Frau sich in eine andere Frau verlieben könnte. So wie sie selbst. Vor allem, da viele Heterofrauen sich ständig über ihre Männer beklagten.

Warum nehmen sie sich dann nicht einfach eine Frau? hatte Sonny gedacht.

Aber damit war sie leider völlig auf dem falschen Dampfer. Heterofrauen wollten unbedingt einen Mann. Nur sollte er ein bisschen wie eine Frau sein. Manchmal. Manchmal auch nicht. So richtig konnten die Heteras sich da nicht entscheiden.

Nur eins war klar: Eine Frau kam für sie nicht infrage. Für manche mal zum Ausprobieren, wie es mit einer Frau war, das ja. Aber letztendlich konnte man als Lesbe mit einer Heterofrau nur verlieren.

So wie damals mit Bianca. Ach du liebe Güte, Bianca . . .

Sonny hatte gerade begonnen zu studieren, kam praktisch frisch von der Schule, als sie sie kennenlernte. Bianca erschien ihr wie das Traumbild einer Frau.

Sie war vielleicht nicht die Schönste nach gängigem Standard, aber intelligent, witzig, faszinierend. Und sie war ein paar Jahre älter als Sonny, was Sonny damals wie ein Schatz an Lebenserfahrung erschien, den sie selbst nicht hatte und deshalb bewunderte.

Bianca war nicht lesbisch, ganz und gar nicht. Sie stand auf Männer. Aber damals war für Sonny noch ganz klar, dass man so etwas ändern konnte. Es kam doch nur auf den Menschen an, nicht auf das Geschlecht, oder?

Oder. Das war es. Oder.

Bianca war politisch interessiert. Und engagiert. Sie war der strahlende Mittelpunkt jeder Veranstaltung, denn wenn sie eins konnte, dann reden, andere in ihren Bann ziehen.

Besonders natürlich Sonny. Aber sie war nicht die Einzige. Sich begeistert für eine Sache zu engagieren, machte Bianca für viele anziehend, Männer wie Frauen.

Mit den Männern schlief sie, die Frauen waren eben nur Freundinnen. Frauen, mit denen sie sich vielleicht für eine heiße Diskussion traf oder für ein gemeinsames Projekt, aber nicht im Bett.

Doch das hielt Sonny nicht ab. Ihr Herz schlug jedes Mal höher, wenn sie Bianca sah, und sie versuchte, überall dort zu sein, wo Bianca war.

Die Grünen waren damals erst am jungfräulichen Anfang ihrer Parteikarriere, und Bianca war Feuer und Flamme für die Sache mit der Umwelt. Sonny auch, aber bei ihr bezogen sich Feuer und Flamme in erster Linie auf Bianca.

So ganz unbedarft war Bianca dann auch nicht. Sie merkte es. Und sie fühlte sich geschmeichelt.

Aber die Katastrophe war vorprogrammiert. Heute wusste Sonny, dass sie sich damals völlig unnötig Hoffnungen gemacht hatte, aber damals war sie eben noch jung und unbedarft gewesen. Jung, unbedarft und hoffnungslos verliebt. Wie hatte ihr Herz jedes Mal Luftsprünge gemacht, wenn sie Bianca nur sah.

Doch Bianca wusste überhaupt nicht, was sie damit anfangen sollte. Es hatte viele Tränen gegeben – von Sonnys Seite aus –, aber die hatten zu nichts geführt. Sie hatte Bianca zum Schluss einen zehn Seiten langen Brief geschrieben, sie sogar dazu gebracht, sich mit ihr, Sonny, zu treffen, damit sie diesen Brief überreichen konnte, aber Bianca hatte ihn wahrscheinlich noch nicht einmal gelesen.

Als sie gemeinsam in dieser Kneipe saßen, sich gegenüber, hatte Sonny sich nichts mehr gewünscht, als Bianca berühren zu können, sie in den Arm nehmen, küssen, aber nichts war passiert. Das dicke Briefbündel – E-Mails, WhatsApp oder irgendwelche anderen Möglichkeiten, sich schriftliche Nachrichten zukommen zu lassen, gab es damals noch nicht – hatte zwischen ihnen gelegen wie ein Scheiterhaufen. Ein Scheiterhaufen einer sehr einseitigen Liebe, den Bianca wahrscheinlich gern abgefackelt hätte, um dem Ganzen ein Ende zu machen.

Bianca war nicht die erste Frau gewesen, in die Sonny sich verliebt hatte, schon auf der Schule hatten Mitschülerinnen und Lehrerinnen diese Ehre gehabt, aber sie war die Erste gewesen, der Sonny sich wirklich offenbart hatte, der sie gesagt hatte, dass sie sie liebte.

Ein großer Fehler, im Nachhinein betrachtet, aber damals hatte sie das noch nicht gewusst. Sie hatte noch an die Liebe geglaubt. Sie hatte daran geglaubt, dass man es nur sagen musste, dann würde es Wirklichkeit werden.

Was für ein Irrtum. Dem Sonny noch ein paarmal anheimgefallen war, aber dann hatte sie es aufgegeben. Sie hatte es aufgegeben, an die Liebe zu glauben. Vor allem aber hatte sie es aufgegeben, Ich liebe dich zu sagen. Das war sowieso sinnlos.

Sex war kein Problem, mit Lesben, mit Nicht-Lesben, aber Liebe – das war ein zu großer Wunsch.

Sie dachte noch einmal an Bianca. Lange hatte sie das nicht mehr getan, aber auf einmal kamen ihr die Situationen in den Sinn, in denen sie so viel Nähe und Intimität mit Bianca gespürt hatte.

Ruth Gogoll: Liebe, Lüge, Leidenschaft

1 »Du bist eine süße Frau.« »Ich bin eine starke Frau.« Sonny lächelte. »Eine starke Frau, aber...
»Na du? Ist dein Frauchen noch nicht fertig?« »Gleich!« Das kam aus dem Bad. Dass gleich bei...
Sonny konnte aber auch einfach nach Hause fahren und Bettina ihrem Schicksal überlassen. Auch wenn...
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8 Es fühlte sich an, als wäre sie in Yvonnes Privatsphäre eingedrungen. Und das, obwohl Yvonne...
Auch andere Bilder konnte man so erstellen lassen. Eine Frau am Meer oder in den Bergen, lachend...
War das jetzt der Grund, dass sie es wieder tat? Heute war doch alles anders. Wie oft jetzt...
Die Wirklichkeit sah natürlich anders aus. Die Intimität und Nähe, die Sonny gespürt hatte, hatte...