»Niemals!« Das klang so überzeugt, dass man es Bettina beinah hätte glauben können. »Ich versinke im Boden vor Scham, wenn ich sie jetzt noch persönlich treffe.« Sie stöhnte auf. »Mein Verhalten war so peinlich!«

»Das war es.« Sonny grinste sie an. »Aber wir sind doch alle erwachsen. Über so etwas kann man doch reden.«

»Kannst du nicht mit ihr reden und es ihr erklären?«, fragte Bettina. Ihre Stimme klang fast so flehend wie die eines kleinen Kindes. »Du kennst sie doch schon. Persönlich, meine ich.«

»Du hast sie wohl nicht alle.« Mit einer eindeutigen Geste tippte Sonny sich an die Stirn. »Sie ist deine Bekanntschaft. Sie hat auf deine Kontaktanzeige geschrieben. Und ihr habt euch so gut unterhalten, dass sie extra hergekommen ist. Sechs Stunden Fahrt.«

Bedripst schaute Bettina zu Boden. »Ja, ich weiß. Ich hatte ja vorgeschlagen, uns auf der Hälfte zu treffen. Aber sie meinte, es macht ihr nichts aus. Sie wollte sowieso mal wieder in eine größere Stadt. Sie wohnt ziemlich auf dem Land.«

»Wie auch immer. Du willst sie doch wohl nicht zurückschicken, ohne dass ihr euch gesehen habt.« Stirnrunzelnd sah Sonny sie an. »Habt ihr denn noch nie einen Videochat gemacht? Über Skype oder so? Dass du so überrascht warst?«

»Ja, irgendwie . . .« Bettina wand sich ein bisschen. »Weil ich ihr doch dieses Foto geschickt hatte, dachte ich –«

»Oh Bettina!« Sonny warf die Arme in die Luft. »Hättet ihr per Video gechattet, wäre das alles viel einfacher gewesen. Dann hättet ihr euch beide gesehen, und das alles hier hättest du dir ersparen können.«

»Ich weiß.« Bettina sah sehr unglücklich aus. »Aber dann wäre sie vielleicht gar nicht gekommen.«

»So ein Blödsinn!« Ungläubig sah Sonny sie an. »Du musst dein Licht doch wirklich nicht unter den Scheffel stellen. Tust du sonst ja auch nicht.« Das war tatsächlich so, und deshalb fragte Sonny sich, warum Bettina sich bei Yvonne so anders verhielt als üblich. Aber das war ja nun wirklich nicht Sonnys Problem. »Heute ist sie noch da«, meinte sie nur trocken.

Bettina trippelte von einem Fuß auf den anderen. »Kannst du mitgehen?«

»In ihr Hotel? Jetzt hast du aber wirklich nicht mehr alle Latten am Zaun!« Missbilligend schüttelte Sonny den Kopf. »Was soll das dann werden? Ein flotter Dreier?«

»Du meinst, sie will –?« Bettinas Augen öffneten sich weit.

»Das weiß ich doch nicht!« Nun endgültig genervt warf Sonny die Arme noch einmal hoch in die Luft. »Ihr habt euch geschrieben. Ihr habt euch unterhalten. Was hattet ihr denn vereinbart?«

»So direkt . . .«, jetzt wühlte Bettinas Fußspitze den Boden auf, »haben wir nicht darüber gesprochen.«

»Wie machst du es denn sonst?«, fragte Sonny. »Sie ist doch nicht die Erste, mit der du dich triffst.«

Bettina lief rot an. »Mal so, mal so«, nuschelte sie undeutlich. »Das ergibt sich dann meistens.«

Erneut schüttelte Sonny den Kopf. »Du findest sie superattraktiv. Was hast du dann gegen Sex mit ihr?«

»Überhaupt nichts!« Bettinas Ausruf erschall fast wie eine Fanfare in den Wald hinein. »Das ist ja das Schlimme. Ich würde am liebsten sofort über sie herfallen. Und das . . .«, sie senkte den Blick, »das tut man doch nicht.«

Sonny lächelte. »Vielleicht will sie ja dasselbe. Ruf sie an. Verabrede dich mit ihr.« Sie holte tief Luft. »Ich kann dich sogar zum Hotel fahren. Aber reinkommen tue ich nicht.«

Bettina schien immer noch unschlüssig. »Sie wird mich gleich wieder rauswerfen«, vermutete sie kläglich. »Sie hat jedes Recht dazu.«

»Hat sie«, bestätigte Sonny nickend. »Aber so schätze ich sie nicht ein. Sie ist . . .« Etwas in ihrem Kopf drehte sich plötzlich. »Sie ist wirklich sehr nett, wie ich sagte«, beendete sie den Satz schnell. »Sie wird es verstehen.«

»Meinst du?« Ein Hoffnungsschimmer veränderte den Klang von Bettinas Stimme.

»Ja, meine ich.« Das Bild von Yvonne schwirrte auf einmal in Sonnys Kopf herum. Wie sie da gesessen hatte in ihrem hellblauen Kostüm.

Ein bisschen Prinzessin Margaret zu ihren besten Zeiten. Nur größer und schlanker. Und sie hatte keinen Alkohol getrunken.

Auf einmal vermischte dieses Bild sich mit Sonnys Traum. Das hellblaue Kostüm verschwand, und Yvonne lag im Bett. Nackt. Mit dem Körper einer fünfundzwanzigjährigen Fitnesstrainerin.

Und da meinst du, Bettina spinnt? Du spinnst ja noch viel mehr!

Yvonnes Lächeln war nicht vor ihrem inneren Auge wegzubekommen. Dieses verdammte Lächeln, dieser Charme . . . Es war wie eingebrannt.

»Am besten fahre ich dich sofort hin«, krächzte Sonny fast. Ihre Stimme klang plötzlich sehr belegt. Sie räusperte sich. »Sonst ist sie vielleicht doch schon weg.«

»Jetzt sofort?« Bettina riss die Augen auf. »Aber Flipflop –«

»Die kann ich nehmen«, bot Sonny an. »Wäre ja nicht das erste Mal.« Sie wandte sich zur Wiese. »Flipflop! Komm her! Wir gehen!«

Flipflop blickte fragend von ihrem Spiel hoch, ob das auch wirklich ernst gemeint war.

»Hier, Flippy!«, rief Bettina da. »Komm her!«

Aha. Es war ernst gemeint. Mit langen Sätzen kam Flipflop angesprungen.

Bettina nahm sie an die Leine. »Ich müsste aber erst noch –«

»Du musst gar nichts. Wenn du duschen willst, kannst du das bestimmt auch im Hotel tun.« Jetzt wollte Sonny nichts mehr dazwischenkommen lassen. »Komm. Wo wohnt sie?«

Etwas verdattert suchte Bettina die Adresse heraus, obwohl sie die eigentlich auswendig hätte kennen müssen. Was ihre Verwirrung mehr zeigte als alles andere, denn sie hatte das Hotel selbst für Yvonne gebucht, da ihre Wohnung zu klein und sie zudem aus der Reisebranche war. Hotels zu buchen war ihr täglich Brot. Vielleicht wollte sie die Begegnung aber auch nur noch so lange wie möglich hinauszögern.

Eine gute halbe Stunde später setzte Sonny sie vor dem Hotel in der Innenstadt ab.

Als Bettina immer noch etwas zaudernd hineinging, atmete Sonny tief durch.

»Und, Flippy?«, wandte sie sich an die Hündin. »Was machen wir zwei Schönen jetzt?«

Flipflop wedelte vertrauensvoll mit dem langen Schwanz. Sie war völlig davon überzeugt, dass Sonny da schon etwas finden würde.

»Was hältst du von einem schönen, romantischen Liebesfilm?«, fragte Sonny schmunzelnd. »Wir kuscheln uns zusammen aufs Sofa.«

Aber immer, schien Flipflops Wedeln zu sagen, und ihre leicht geöffnete Schnauze lächelte.

»Oder auch etwas Heißeres . . .«, fügte Sonny leise hinzu, als sie den Motor anwarf, um loszufahren.

4

Als sie am Montag während der Mittagspause in der Cafeteria saß, um nach dem Essen noch einen Kaffee zu trinken, bevor sie wieder zu ihrer Arbeit zurückkehrte, klingelte Sonnys Telefon.

Es war Bettina. »Wie geht es dir, mein Schatz?«, flötete sie. Ihre Stimme sang fast wie ein tirilierender Vogel.

Sonny lachte. »Ich darf wohl annehmen, dass Yvonne und du einen schönen Sonntag hattet?«

»Oh ja . . .« Ein tiefer Seufzer entrang sich Bettinas Brust. »Ich bin dir so dankbar, dass du mich dazu gebracht hast, ihr alles zu erklären.«

Da sie annahm, dass das noch nicht die ganze Geschichte sein durfte, wartete Sonny eine Weile ab, aber es kam nichts. »Und?«, fragte sie deshalb.

»Und . . .«, Bettinas Stimme bebte hörbar, »sie ist einfach unglaublich!«

Sie hatten also Sex, dachte Sonny und fragte sich, warum sie sich so komisch bei dem Gedanken fühlte. Das ging sie schließlich überhaupt nichts an. Auch wenn sie durch Bettinas Schuld Yvonne kennengelernt hatte.

»Sagte ich doch«, bemerkte sie lächelnd. »Sie ist nett.«

Ruth Gogoll: Liebe, Lüge, Leidenschaft

1 »Du bist eine süße Frau.« »Ich bin eine starke Frau.« Sonny lächelte. »Eine starke Frau, aber...
»Na du? Ist dein Frauchen noch nicht fertig?« »Gleich!« Das kam aus dem Bad. Dass gleich bei...
Sonny konnte aber auch einfach nach Hause fahren und Bettina ihrem Schicksal überlassen. Auch wenn...
»Niemals!« Das klang so überzeugt, dass man es Bettina beinah hätte glauben können. »Ich versinke...
»Nett ist nicht der richtige Ausdruck.« Bettina gluckste. »Wirklich nicht. Sie ist –« »Schon gut«,...
»Ich bin nicht gern allein«, begründete Bettina das mit einem etwas trotzigen Ausdruck im Gesicht....
Langsam nickte Bettina, als hätte sie schon dasselbe gedacht. »Während wir per Video telefoniert...
Dann hatte sie auf die Uhr gesehen. »Ich würde sagen, sie kommt nicht mehr«, hatte sie ganz...
8 Es fühlte sich an, als wäre sie in Yvonnes Privatsphäre eingedrungen. Und das, obwohl Yvonne...
Auch andere Bilder konnte man so erstellen lassen. Eine Frau am Meer oder in den Bergen, lachend...
War das jetzt der Grund, dass sie es wieder tat? Heute war doch alles anders. Wie oft jetzt...
Die Wirklichkeit sah natürlich anders aus. Die Intimität und Nähe, die Sonny gespürt hatte, hatte...