»Na du? Ist dein Frauchen noch nicht fertig?«

»Gleich!« Das kam aus dem Bad.

Dass gleich bei Bettina jedoch nicht immer gleich hieß – eher selten sogar –, damit rechnete Sonny schon. »Hast du einen Kaffee?«, rief sie durch die kleine Diele zurück.

»Küche!« Heute war Bettina aber kurz angebunden. Das war doch sonst nicht ihr Stil.

Mit Flipflop an ihrer Seite schlenderte Sonny in die Küche. Eine große Glaskanne mit Kaffee stand auf der Warmhalteplatte der Kaffeemaschine.

Obwohl Sonny Filterkaffee nicht so gern mochte, nahm sie sich eine Tasse aus dem Schrank darüber und goss sich ein. Bettinas Kaffee war, obwohl Filterkaffee, trotzdem gut. Sie trank ihn schwarz und literweise.

Wie sie es bei Bettinas Kaffee schon gewöhnt war, versüßte Sonny den Inhalt ihrer Tasse mit etwas Zucker und Milch und trat dann ans Fenster, um hinauszusehen. Flipflop setzte sich erwartungsvoll neben sie und sah sie an.

Sonny lachte. »Ja, du hast recht. Wir gehen gleich weg.«

Ein leichtes Wedeln bestätigte, dass Flipflop verstanden hatte. In der Wohnung war sie erstaunlich ruhig, außer bei der Begrüßung, doch draußen kam dann der Windhund raus. Sie brauchte viel Auslauf. Gut, dass Bettina den auch brauchte.

»Fertig!« Wie ein Pfeil schoss Bettinas Stimme von der Tür herein.

Automatisch drehte Sonny sich um und hob gleich darauf erstaunt die Augenbrauen. »Wolltest du ausgehen? Jetzt, am frühen Morgen?«

Ein leicht verschmitztes Lächeln überzog Bettinas Gesicht. »Kann ich mich nicht mal für meine beste Freundin schickmachen?«

Ein Stirnrunzeln unterstützte Sonnys Augenbrauen in ihrem erstaunten Ausdruck. »So schick? Das hast du ja noch nie getan.«

»Einmal ist immer das erste Mal«, bemerkte Bettina kokett und blinzelte Sonny an. »Können wir gehen?«

»Ich bin schon lange fertig.« Sonny seufzte. Aber diesmal hatte es gar nicht so lange gedauert, wie sie befürchtet hatte.

Da das Café ziemlich weit draußen lag, die Fahrtzeit eine Dreiviertelstunde betrug und Bettina auch noch eine Viertelstunde gebraucht hatte, bis sie tatsächlich gehen konnten, war es nach zehn, als sie dort ankamen. Die ersten Brunchgäste hatten schon ein paar Autos wie bunte Flecken auf dem Parkplatz hinterlassen.

»Dass hier morgens schon so viel los ist, hätte ich nicht gedacht«, meinte Sonny verwundert.

»Nicht alle Leute sitzen am Wochenende bis mittags im Bett und lesen.« Bettina war heute sehr kess. Sie war immer aufgedreht, aber es schien fast, als ob sie flirtete.

»Ich finde das gemütlich«, sagte Sonny. »Unter der Woche muss ich zur Arbeit gehen. Da komme ich nicht dazu.«

Etwas argwöhnisch beobachtete sie Bettina, als sie ins Café hineingingen. Was ging hier ab?

Flipflop war so gut erzogen, dass sie mitkommen durfte. Sie legte sich unter den Tisch am Fenster, als sie sich setzten.

Das Brunchbuffet war es wirklich wert, hier herauszufahren, dachte Sonny eine Dreiviertelstunde später, als Bettina und sie sich mehrmals daran bedient hatten.

»Jetzt kann ich aber nicht mehr!« Sonny lachte und lehnte sich im Stuhl zurück. »Auch wenn ich heute nicht wie üblich gemütlich im Bett sitzen konnte, danke ich dir, dass du mich hier rausgezerrt hast. Gute Idee.« Sie lächelte Bettina an.

»Ja, finde ich auch.« Auf einmal wirkte Bettina abgelenkt. Ihr Blick schweifte etwas fahrig durch den Raum, dann blickte sie ruckartig zum Fenster hinaus. Mit genauso einem Ruck kehrte ihr Blick zu Sonny zurück. »Ich glaube, das ist sie!«

Das war mehr gezischelt als geflüstert, und Bettina beugte sich so nah zu ihr, als ob sie ihr ein Geheimnis verraten wollte, das niemand anderer hören durfte.

Verständnislos zog Sonny die Augenbrauen zusammen. »Sie? Wer?«

»Sie!«, wiederholte Bettina betont, als müsste Sonny wissen, wen sie meinte. »Die Frau, von der ich dir erzählt habe.«

Noch verständnisloser sah Sonny sie an. »Du hast mir von gar keiner Frau erzählt.«

»Doch«, behauptete Bettina. »Heute Morgen am Telefon. Die Frau, die mir die Mail geschrieben hat auf meine Kontaktanzeige. Mit der ich gechattet habe . . .«

Jetzt endlich dämmerte es Sonny. Bettina versuchte immer wieder, Kontakte zu knüpfen, über die unterschiedlichsten Wege, aber Sonny hatte da den Überblick verloren.

»Du hast eine Frau über eine Online-Kontaktanzeige kennengelernt?«, fasste sie das zusammen, was sie verstanden zu haben glaubte.

»Eben nicht kennengelernt«, zischelte Bettina wieder geheimnisvoll fast an Sonnys Ohr. »Das sollte heute passieren.«

»Hier?« Jetzt endlich wusste Sonny, was Sache war. »Deshalb hast du mich in aller Herrgottsfrühe geweckt und hierhergeschleppt?«

»Ja.« Bettina gab es bedenkenlos zu. Sie fand offensichtlich überhaupt nichts dabei. »Ich . . . Ich . . . Wir haben uns noch nie gesehen. Ich meine, ich habe ein Foto von ihr –«

»Und gerade eben ist sie gekommen.« Sonny blickte durch den Raum, aber sie wusste ja nicht, wie die Frau aussah, und jetzt kamen immer mehr Leute.

Bettina nickte. Eine leichte Röte überzog ihr Gesicht. »Ich traue mich nicht, sie anzusprechen.«

Sie sah aus wie ein Teenager vor dem ersten Rendezvous, dabei war Bettina mittlerweile stramme einundsechzig und eigentlich eine gestandene Frau.

»Hat sie denn kein Foto von dir?«, fragte Sonny.

»Doch.« Bettina biss sich auf die Lippe. »Aber das sieht mir nicht sehr ähnlich.«

Sonny rollte die Augen. »Was hast du ihr geschickt? Ein Babyfoto auf dem Bärenfell?«

»So was habe ich gar nicht«, empörte Bettina sich. »Aber ja, auf dem Foto war ich noch ein bisschen . . . jünger.«

»Soso.« Kopfschüttelnd sah Sonny sie an. »Wie alt ist sie?«

»So alt wie du«, flüsterte Bettina, obwohl der Geräuschpegel mittlerweile so hoch war, dass man nicht mehr flüstern musste, um schon am nächsten Tisch nicht mehr verstanden zu werden. »Fünfundfünfzig.«

»Du siehst mindestens zehn Jahre jünger aus.« Sonny musterte sie. »Wo ist das Problem?«

»Ich . . . Ich . . . Ich finde, sie ist sehr attraktiv.« Bettina schnappte nach Luft. »Noch attraktiver als auf dem Bild. Als ich sie hereinkommen sah . . .«

»Hast du Manschetten gekriegt«, stellte Sonny schmunzelnd fest. »Aber du machst das doch nicht zum ersten Mal.«

»Nein, aber sie ist schon –« Bettina brach ab. Ihr Blick schlängelte sich durch den Raum und blieb an einer Frau hängen, die sich jetzt gerade an einen Tisch setzte.

Sonny folgte dem Blick. »Das ist sie? Die Frau in Hellblau?«

Bettina nickte mit fast schmerzhaft verzogenem Gesicht. »Ja, das ist sie.«

»Sie ist attraktiv, aber –«, setzte Sonny an.

Doch da sprang Bettina schon auf, griff nach Flipflops Leine und raste mit ihr zur Tür. »Der Hund muss raus!«, rief sie Sonny noch zu und war schwuppdiwupp in Richtung Wald am See verschwunden.

»Betti-!« Sonny konnte nicht einmal ihren Namen zu Ende aussprechen, um zu protestieren.

Das konnte ja wohl nicht wahr sein! Erst schleppte Bettina sie hierher, bestellte diese Frau zu einem ersten Treffen, und dann verschwand sie einfach?

Sinnierend blickte Sonny auf die Frau, schaute aber schnell auf ihren Teller, als sie merkte, dass die sich in ihre Richtung drehte. Natürlich durchforschte sie den Raum nach Bettina.

Das geht mich absolut nichts an! Sonny konnte zwar nicht ewig auf ihren Teller starren, aber sie versuchte, jeden Augenkontakt mit der Frau in Blau zu vermeiden, während sie überlegte, was sie jetzt tun sollte.

Sie konnte hinausgehen und Bettina suchen. Wenn sie Flipflop rief, würde die vielleicht sogar kommen und sie dann zu ihrem feigen Frauchen führen, die sich irgendwo im Unterholz eingegraben hatte.

Ruth Gogoll: Liebe, Lüge, Leidenschaft

1 »Du bist eine süße Frau.« »Ich bin eine starke Frau.« Sonny lächelte. »Eine starke Frau, aber...
»Na du? Ist dein Frauchen noch nicht fertig?« »Gleich!« Das kam aus dem Bad. Dass gleich bei...
Sonny konnte aber auch einfach nach Hause fahren und Bettina ihrem Schicksal überlassen. Auch wenn...
»Niemals!« Das klang so überzeugt, dass man es Bettina beinah hätte glauben können. »Ich versinke...
»Nett ist nicht der richtige Ausdruck.« Bettina gluckste. »Wirklich nicht. Sie ist –« »Schon gut«,...
»Ich bin nicht gern allein«, begründete Bettina das mit einem etwas trotzigen Ausdruck im Gesicht....
Langsam nickte Bettina, als hätte sie schon dasselbe gedacht. »Während wir per Video telefoniert...
Dann hatte sie auf die Uhr gesehen. »Ich würde sagen, sie kommt nicht mehr«, hatte sie ganz...
8 Es fühlte sich an, als wäre sie in Yvonnes Privatsphäre eingedrungen. Und das, obwohl Yvonne...
Auch andere Bilder konnte man so erstellen lassen. Eine Frau am Meer oder in den Bergen, lachend...
War das jetzt der Grund, dass sie es wieder tat? Heute war doch alles anders. Wie oft jetzt...
Die Wirklichkeit sah natürlich anders aus. Die Intimität und Nähe, die Sonny gespürt hatte, hatte...