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»Du bist eine süße Frau.«

»Ich bin eine starke Frau.«

Sonny lächelte. »Eine starke Frau, aber süß.« Sie legte ihren Arm um die nackte Frau, die neben ihr im Bett lag, und zog sie an sich. »Eine starke, schöne, süße Frau.«

»Wenn du meinst.« Es war nicht so ganz das, was dieses wundervolle junge Geschöpf neben ihr wollte, das merkte Sonny schon.

Sie versuchte, es zu ignorieren. Der nackte warme Körper an ihrem eigenen erleichterte das. Aber er war schon sehr jung. Zu jung. Die Frau war doch höchstens Mitte zwanzig.

Und sie hatte einen Traumkörper. Einen Körper wie aus einem Fitness-Video. Wahrscheinlich hatte Sonny einfach zu viele solcher Körper gesehen, in all den YouTube-Videos, die sie angeschaut hatte, um ihre eigene Fitness zu steigern. Oder auch nur zu halten.

Halblange blonde Haare, blaue Augen, groß und schlank. Straffe Linien, die sich von unterhalb ihrer Brüste über ihre Taille und ihren Bauch bis in die Leistengegend zogen, weil sich darunter fast so etwas wie ein Sixpack verbarg. Fitness-Video, ganz klar. Das hier war nicht die Realität.

Langsam und äußerst widerwillig schlug Sonny die Augen auf. Natürlich war das nicht die Realität. Neben ihr im Bett lag niemand. Schon gar nicht eine fünfundzwanzigjährige Fitnesstrainerin.

Sonst träumte sie doch nicht von so was. Wie kam das auf einmal?

Na ja, so ganz abwegig war das nicht. Manchmal sehnte sie sich schon danach, jemanden zu haben. Obwohl sie ihr Leben lang überzeugter Single gewesen war.

Hin und wieder vielleicht eher der Not gehorchend, nicht dem eignen Trieb, wie schon der alte Schiller sagte. Aber im Großen und Ganzen doch zufrieden, dass es so war.

Je älter sie wurde, desto mehr kam es ihr jedoch so vor, als hätte sie auch eine andere Entscheidung treffen können. Ob es mit fünfundfünfzig schon zu spät dazu war?

Ihr Handy, das sie zum Laden auf dem Nachttisch liegen hatte, meldete sich.

Wer wollte denn schon so früh an einem Samstagmorgen etwas von ihr? Es war gerade einmal halb acht.

Sie hätte gern die Augen geschlossen und diese hübsche junge Fitnesstrainerin in ihren Tag zurückgerufen. Aber als sie es versuchte, ging es nicht. Sie war ein Geschöpf der Nacht, der Imagination, nicht des Tages, der Wirklichkeit.

Sonnys Handy wollte nicht aufgeben. Seufzend griff sie danach, wurde durch das Ladekabel gestoppt, entfernte es leicht gereizt, sodass es mit einem lauten Klack auf ihren Nachttisch fiel, und nahm den Anruf an.

»Ja, Bettina? Was ist denn?«

»Du musst mir helfen!« Bettinas Stimme klang etwas panisch.

»Am Samstag um halb acht Uhr morgens? Da schlafe ich normalerweise noch!«

»Jetzt schläfst du aber nicht mehr.«

Weil du mich geweckt hast. Sonny schüttelte den Kopf. »Nein.« Sie atmete tief aus. »Also was ist?«

»Du musst mitkommen!«

»Jetzt?« Sonny riss die Augen auf. »Ich habe noch nicht einmal geduscht! Geschweige denn gefrühstückt.«

»Nein, nicht jetzt.« Auf einmal lachte Bettinas Stimme nicht mehr ganz so panisch. »Entschuldige. Ich bin wirklich unmöglich.«

»Bist du«, bestätigte Sonny nicht sehr höflich, jedoch durchaus wahrheitsgemäß. »Aber du bist auch meine beste Freundin. Deshalb bin ich natürlich für dich da. Wie du für mich.« Sie stöhnte ein wenig auf. »Wenn auch nicht so gern am Wochenende morgens um halb acht!«

»Sorry. Das war unüberlegt von mir.« Dummerweise fiel das Bettina immer erst hinterher ein. »Aber ich habe da eine Mail bekommen . . . Ich meine, schon vor einiger Zeit. Jetzt ist es mehr ein Chat –«

»Bettina!«, unterbrach Sonny sie laut. Sie verstand kein Wort. »Der Reihe nach. Und vielleicht nicht alles auf einmal.« Sie strich sich die Haare aus der Stirn. »Können wir uns nicht später zum Frühstück treffen? Ich habe nichts im Haus«, erinnerte sie sich. »Also vielleicht in einem Café?«

Dass Bettina nichts im Haus hatte, wusste sie. Sie war eine Chaotin.

»Ja . . . Ja.« Bettina wirkte unentschlossen, aber das kannte Sonny schon. Sie konnte keine Entscheidungen treffen. Nur wenn man ihr etwas vorschlug und das auch gleich eine Entscheidung war. »Im Café am See

»Warum denn da?« Sonny war erstaunt. »Da müssen wir doch extra rausfahren. Haben die so früh denn überhaupt geöffnet?«

»Ab neun.« Das kam wie aus der Pistole geschossen durch den Hörer. Ungewöhnlich für Bettina. »Aber da ist da meistens noch niemand. Am Wochenende haben die immer ein Brunchbuffet. Die Leute kommen später.«

»Brunch klingt nicht schlecht.« Sonny hob die Augenbrauen. Irgendetwas an Bettinas Stimme klang komisch. »Also kein Frühstück bei mir zu Hause. Aber duschen muss ich noch. Darauf bestehe ich.«

»Ja, natürlich.« Jetzt klang Bettinas Stimme eifrig. »Alles klar. Mach das ruhig.«

Sonny warf einen resignierten Blick auf die Uhr in ihrem Handy. Viertel vor acht. Unglaublich. »In einer Stunde«, sagte sie, »kann ich bei dir sein. Dann fahren wir zusammen raus. Okay?«

»Okay.« Bettina wirkte selbst am Telefon hibbelig, aber daran konnte Sonny jetzt nichts ändern. Ihre Freundin musste warten. »Bis dann.«

Als ein Düt im Lautsprecher anzeigte, dass Bettina den Anruf beendet hatte, legte Sonny ihr Handy zurück auf den Nachttisch. Danach fuhr sie sich mit beiden Händen über das Gesicht. War sie denn wahnsinnig? Vor acht Uhr aufstehen an einem Samstag?

Andererseits . . . Wenn sie um diese Uhrzeit schon einmal wach war, konnte sie nicht mehr einschlafen. Und sie hätte sowieso das Haus verlassen müssen, um einkaufen zu gehen. Dann konnte sie das gleich tun, wenn sie vom Café am See zurückkam.

Es war ein hübsches Café an einem künstlich angelegten See am Stadtrand. Ein Ausflugslokal, das besonders an Wochenenden prall gefüllt war.

Schon allein deshalb hätte Sonny es vorgezogen, nicht an einem Samstag dort hinzugehen. Aber so früh am Morgen ging es vielleicht.

Hatte Bettina zumindest behauptet. Woher auch immer sie das wusste. Mit Sonny war sie jedenfalls noch nie so früh im Café am See gewesen.

Aber Bettina war ständig unterwegs. Sie konnte kaum stillsitzen. Und allein zu Hause zu sein hasste sie. Sie ging mit ihrer Hündin manchmal dort draußen spazieren. Vielleicht auch schon so früh am Morgen.

Es half ja nichts. Sie hatte es versprochen. Erneut seufzend schälte Sonny sich aus den Laken.

Sie musste duschen und sich anziehen, wenn sie Bettina abholen wollte.

2

Kurz nach neun stand sie bei Bettina vor der Haustür. Sie klingelte und der Summer ging.

Wenn Bettina bei Sonny vorbeigekommen wäre, hätte Sonny schon vor der Tür gestanden oder sie wäre gleich heruntergekommen. Bettina war wahrscheinlich wie immer trotz allen Drängens am Telefon noch nicht fertig.

Sonny hätte doch erst einmal ein Brötchen essen sollen. Das konnte noch dauern, bis sie im Café waren . . .

An der Tür begrüßte sie Bettinas Hündin Flipflop stürmisch. Sie war ein Riesenteil von einem Hund. Bettina hatte sie mal aus einem Urlaub in Spanien mitgebracht. Da war sie allerdings noch nicht so groß gewesen. Ihr darauffolgendes Wachstum hatte alle überrascht.

Und eigentlich passte sie auch gar nicht in Bettinas kleine Wohnung. Man hatte immer das Gefühl, die Wände hätten zurückweichen müssen, um ihr mehr Platz zu verschaffen. Aber Bettina hatte so oft das Bedürfnis, draußen zu sein – vielleicht sogar öfter als ihr Hund –, dass dieses Raumproblem wohl zu keinem wurde.

Lachend fuhr Sonny mit den Händen durch Flipflops langes, flachsfarbenes Fell. Sie sah aus wie eine Mischung zwischen einem Collie und einem Afghanen. Das lange Fell hatte sie von beiden.

Ruth Gogoll: Liebe, Lüge, Leidenschaft

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