Die Frage überraschte Alida. Sie war noch so sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt gewesen, dass sie von der plötzlichen Zurückführung auf das ursprüngliche Thema irritiert war. »Es besteht keine Gefahr«, wehrte sie gereizt ab. Die bildete sich wirklich was ein, diese Frau . . . Wer hatte sie nach ihrer Meinung gefragt? »Das ist doch alles Blödsinn.«
»Auf jeden Fall habe ich hier in Ihrem Zimmer nichts gefunden, was irgendeine Gefahr darstellen könnte.« Cat Abramczik klappte die Verschlüsse ihres Metallkoffers zu, in den sie noch etwas gelegt hatte, als Alida hereingekommen war. »Auch nicht in den Zimmern Ihrer Begleitung.«
»Da waren Sie auch? Sie haben das alles durchsucht?« Alida wusste nicht, ob sie empört oder zufrieden sein sollte.
Cat Abramczik zuckte die Schultern. »Das ist mein Job.«
6
Cat sah, wie Alida Zurells Augenbrauen nach oben wanderten. Sie waren im Gegensatz zu ihren eigenen sorgfältig gezupft.
»Sie denken, irgendjemand aus meinem Team hätte damit zu tun?« Der sogenannte Bühnenstar musterte sie abschätzig.
Gelassen schüttelte Cat den Kopf. »Ich denke gar nichts. Das ist nur Routine.«
»Routine«, wiederholte Alida mit einem noch abschätzigeren Tonfall in der Stimme. »Das ziehen Sie also hier ab. Einen Routinejob.«
»Routine ist nützlich, um Zeit zu sparen und nichts zu vergessen. Haben Sie das bei Ihren Auftritten nicht auch?« Wie sie es vor dem Erscheinen der zierlichen Diva bereits vorgehabt hatte, griff Cat nach ihrem Koffer und wollte ihn hinausbringen.
Ihre Antwort hatte dem schillernden Kanarienvogel nicht gefallen, das sah Cat ihr an. Aber daran konnte sie jetzt auch nichts ändern.
Schmollend wie ein kleines Kind verzog Alida die Mundwinkel. »Und jetzt gehen Sie einfach so wieder?«, entgegnete sie ziemlich angriffslustig. »Ist das alles, was Sie zu bieten haben?«
»Ich wollte meinen Koffer nicht bei Ihnen hier in der Suite stehenlassen«, erwiderte Cat genauso gelassen wie zuvor. Von so einer kleinen Kanaille würde sie sich bestimmt nicht aus der Ruhe bringen lassen.
Obwohl Cat zugeben musste, dass Matthias recht hatte. So aus der Nähe war sie ziemlich attraktiv. Die Bilder wurden ihr nicht gerecht. Auf denen war sie allerdings auch übermäßig geschminkt, für einen Bühnenauftritt eben.
Jetzt sah sie sehr viel normaler aus. Geschminkt war sie zwar, aber eher dezent. Und vermutlich hatte sie sich für die Fahrt vom letzten Ort ihrer Tour, an dem sie aufgetreten war, hierher eher leger angezogen.
Ihr leger war nicht Cats leger, aber das war auch kaum zu erwarten gewesen. Sie beide waren zwei sozusagen völlig gegensätzliche Pole. Cat hätte es ziemlich unpassend gefunden, sich so anzuziehen, wie Alida jetzt angezogen war. Das fing schon bei den hochhackigen Schuhen an. Für die Sängerin war das aber vermutlich ihre Alltagskleidung, wenn sie nicht auf der Bühne stand, und sie fand das offensichtlich bequem.
Es war eben alles eine Frage der Gewohnheit. Und natürlich auch eine Frage des Berufs. Wenn Cat mit Stöckelschuhen dahergestolpert wäre, hätte sie wohl kaum irgendwelche Attentäter fassen können. Sie hatte aber in ihrem ganzen Leben auch noch nie das Bedürfnis gehabt, Stöckelschuhe zu tragen.
»Und was haben Sie danach vor? Wenn Sie Ihren Koffer weggebracht haben?«, fragte Alida ziemlich uninteressiert, während sie jetzt in Richtung auf das Schlafzimmer zuging, das links von diesem Aufenthaltsraum lag. »Sich wie ein Wachhund vor meine Tür zu legen und auf meiner Fußmatte zu schlafen?«
Cat hätte fast geschmunzelt, aber sie versuchte, ihren Gesichtsausdruck zu beherrschen. Was ihr dank langen Trainings natürlich auch gelang. »Nein, das hatte ich eigentlich nicht vor«, klärte sie Alida auf. »Wenn dann jemand durch die Fenster oder den Balkon hereinkommt, hätte ich schlechte Karten, Sie zu beschützen. Und bei Stalkern und Leuten, die Drohbriefe schreiben, weiß man nie, wozu sie in der Lage sind.«
Alida unterbrach ihren Weg kurz, drehte sich über die Schulter zu Cat und hob die Augenbrauen. Anscheinend fühlte sie sich irritiert. »Aber irgendetwas haben Sie sich doch sicher vorgestellt.«
Cat nickte. »Ich habe mir vorgestellt, dass ich mich hier aufhalte. In der Suite.«
Man konnte fast zusehen, wie Alidas Kinnlade herunterfiel. Ganz langsam. »Wie bitte? Sie wollen hier schlafen?« Ihre Stimme klang völlig entgeistert, geradezu nach Majestätsbeleidigung.
»Schlafen eher weniger«, erwiderte Cat locker. »Ich habe schließlich einen Auftrag zu erledigen. Ich werde wach bleiben.«
Ein paar Sekunden lang starrte Alida sie nur an, als könnte sie einfach nicht glauben, was sie da gehört hatte. Dann stemmte sie die Hände in die Hüften. »Das geht nicht.«
Das kann ja heiter werden, dachte Cat. Es war schon schlimm genug, Leute beschützen zu müssen, die man nicht mochte, aber wenn sie den Schutz noch nicht einmal wollten? Sie hob die Augenbrauen. »Wie soll ich Sie dann beschützen? Ich muss in Ihrer Nähe bleiben. So nah wie möglich.«
Geringschätzig lachte Alida auf. »Wollen Sie sich vielleicht neben mich ins Bett legen?«
Wäre eventuell keine so schlechte Idee, dachte Cat. Unter anderen Umständen . . .
»Nein«, sagte sie. »Aber ich muss alles hören können, was in Ihrem Zimmer vor sich geht. Damit ich eingreifen kann.«
Alida starrte sie erneut ziemlich entgeistert an. Nur blieb ihre Kinnlade diesmal oben. »Ich will, dass Sie jetzt gehen«, erwiderte sie erst nach einer Weile. »Und dieses Zimmer nicht mehr betreten. Außer es ist unbedingt notwendig. Wenn tatsächlich jemand hier hereinkommen sollte, der nicht hierhergehört. Der mich bedroht.«
Ablehnend schüttelte Cat den Kopf. »Das kann ich nicht tun. Sie bezahlen mich sehr gut dafür, dass ich auf Sie aufpasse. Dass Ihnen nichts passiert. Und dafür werde ich sorgen.«
»Ich . . .«, entgegnete Alida betont, während sie die Hände von den Hüften nahm und mit einem Finger in die Luft stach, »bezahle Sie überhaupt nicht. Ich habe Sie auch nicht engagiert. Ich habe gleich gesagt, dass das überflüssig ist.«
Was für eine eingebildete Tusse . . . Innerlich seufzte Cat, aber äußerlich blieb sie ruhig. »Nachdem Sie schon einmal mit Farbe besprüht wurden?«, fragte sie nur. »Das hätte auch etwas anderes sein können.«
»Faule Tomaten, meinen Sie?« Alida lachte trocken auf. »Geschmäcker sind eben verschieden. Damit muss ich leben.«
»Faule Tomaten wären nicht das Schlimmste.« Cat stellte ihren Koffer wieder ab. Anscheinend dauerte das hier noch länger. »Es könnten auch irgendwelche Geschosse sein, Messer, gefährliche Säuren. Das würden Sie dann bestimmt nicht mehr lustig finden.«
»Damit beschäftige ich mich, wenn es so weit ist.« Alida versuchte, lässig zu klingen, aber Cat hatte den Eindruck, dass sie das nicht wirklich war. Eine ziemliche Anspannung ging von ihr aus. »Die Farbe ist auch wieder rausgegangen. War gar nicht so schlimm.«
»Es geht aber nicht um Farbe«, betonte Cat noch einmal. »Wie unangenehm das auch immer ist. Vor allem, wenn man sie ins Gesicht kriegt.« Sie schüttelte den Kopf. »Selbst wenn das nicht mehr rausgeht, kann man sich etwas Neues zum Anziehen kaufen. Bei Säure, Messern oder Kugeln ist das nicht so einfach.«