Es hatte nicht lange gedauert, bis sie Studioaufnahmen machte. Als immer mehr Leute in die Kneipen kamen, suchte Steffen nach Textern und Komponisten, die genau auf Alida abgestimmte Songs für sie schrieben. Einer davon war so ein großer Hit geworden, dass ihr Name schlagartig in aller Munde war. Doch damit fingen dann auch die Schwierigkeiten an.

Sie konnte sehr nett sein, wenn sie wollte, die Leute mit ihrem Charme geradezu umhauen, aber auch für das Gegenteil war sie berühmt oder eher berüchtigt. Sie galt als launenhaft. Manchmal schnauzte sie Leute ohne jeden Grund so heftig an, dass die gar nicht wussten, wie ihnen gerade geschah. Dann wieder war sie die Liebenswürdigkeit selbst, und alle lagen ihr zu Füßen.

Stimmungsschwankungen waren bei Künstlern nichts Außergewöhnliches, man erwartete sie geradezu, und so lebten alle damit. Vor allem solange sie dadurch von Alida leben konnten, denn sie brachte viel Geld ein, bedeutete für viele Leute ihren Lebensunterhalt. Da fanden sie sich mit einigem ab.

Alida hätte sich auch gern damit abgefunden, aber für sie war es leider nicht so einfach. Für sie war das, wovor die anderen mit Leichtigkeit fliehen konnten, in ihr drin. Sie konnte nicht davor weglaufen, es nur betäuben.

Als sie das entdeckte, war es zuerst eine Erleichterung gewesen. Sie hatte sich darüber gefreut, dass es so einfach war, sich besser zu fühlen. In den Kneipen war es erst einmal Alkohol gewesen, doch auf den Raves gab es noch viel wirkungsvollere Mittel.

Es war nichts Besonderes. Alle taten es. Warum sollte sie es nicht auch tun?

Nur war sie eben nicht alle. Sie war ein Mensch, der besonders begabt war, der Talente hatte, die andere nicht hatten. Wenn andere nach einem solchen Wochenende in ihre normale Welt zurückkehren konnten, in ihre Büros und Werkstätten, in ihre Schulen und an die Unis, dann konnte sie das nicht, denn sie lebte immer in dieser Welt, die für andere nur am Wochenende existierte.

Niemand, für den so ein Wochenende Freizeit war, konnte das nachempfinden. Für Alida war es Arbeit. Schwere, harte Arbeit.

Jedenfalls nachdem Steffen sie entdeckt hatte. Zuvor war es nur ein Hobby gewesen. Ein Mittel, die normale Welt zu vergessen, die oft so grau war, dass man ihr entfliehen wollte.

Für Alida hatte diese Flucht seit frühester Kindheit darin bestanden, dass sie sang. Sie sang gern und sie sang viel und sie hatte schon als kleines Kind eine große Stimme.

Daraufhin hatte ihre Mutter sie in den Kirchenchor geschleppt. Das war nicht unbedingt das, was Alida wollte, aber da sie dort singen konnte, war es besser als nichts.

Kirchenchöre heutzutage wollten gern Jugendliche anziehen, und deshalb gab es viel Gospel. Da passte Alidas Stimme perfekt.

Die Pubertät hatte das alles jedoch auf den Kopf gestellt. Sie wollte keinen Kirchenchor mehr, sie wollte eine Band. Sie ging überall hin, wo Bands spielten, stellte sich vor und hatte schließlich eine überzeugt, sie zur Frontfrau zu machen.

Dieser Tag war einer der glücklichsten ihres Lebens gewesen.

Doch was sie damals noch nicht wusste, war, dass dieses alte Lied recht hatte. Von nun an ging’s bergab.

Zwar ging es mit ihrer Karriere bergauf, nachdem Steffen anfing, sie zu managen, aber alles andere . . .

Während sie noch auf der Couch saß, wurde sie müde. Langsam entfalteten die Tabletten ihre volle Wirkung. Sie musste jetzt unbedingt schlafen.

Die Tür zum Hotelflur öffnete sich, und diese Frau kam zurück, diese Cat. Diese . . . Leibwächterin.

Sofort verkrampften sich Alidas Kiefer. Sie konnte sie einfach nicht ausstehen. Diese Art Frauen waren so selbstgefällig, so sicher, dass sie immer das Richtige taten. Was für Alida nie sicher war.

Sie sprang auf. »Ich gehe schlafen«, warf sie Johanna hin, die dabei war, ihre Sachen auszupacken. »Und ich will nicht, dass mich irgendjemand dabei stört.« Ihre Augen blitzten Cat an. »Niemand!«

Damit drehte sie sich um und verschwand hinter der Tür zum Schlafraum.

»Bitte nicht abschließen!«

Wie war diese Frau jetzt so schnell hierhergekommen? Alida hatte es weder gehört noch gesehen. Eben hatte sie doch noch am Eingang zum Wohnraum gestanden.

»Sie haben mir nichts zu befehlen!« Wie die Raubkatze, für die sie Cat hielt, fauchte Alida mit zurückgelegtem Kopf zu Cat hoch. »Das geht Sie überhaupt nichts an!«

»Doch, das tut es.« Cat stand da, vor ihr, groß und breitschultrig, ruhig und selbstbewusst auf Alida herabblickend. »Wenn Sie abschließen, muss ich die Tür aufbrechen, sollte jemand Sie bedrohen. Das kann wertvolle Sekunden kosten. Wenn ich Sie beschützen soll –«

»Ich kann mich allein beschützen!« Wütend stemmte Alida die Hände in die Hüften.

»Alida, Kindchen . . .« Das war Johannas flehende und begütigende Stimme. Sie trat zu ihnen. »Sei doch vernünftig. Frau Abramczik macht nur ihre Arbeit.« Liebevoll streichelte sie Alidas Schulter und lächelte sie an. »Niemand wird dich stören. Versprochen. Auch wenn du nicht abschließt.«

Alida wusste, dass ihre Augen immer noch glühende Pfeile schossen, aber sie war jetzt einfach zu müde. Sie fiel gleich um. Sie konnte sich nicht streiten.

»Na gut«, brummelte sie unzufrieden. Dann sah sie Johanna mit stechendem Blick an. »Aber halt sie von mir fern!«

Noch einmal einen wütenden Blick auf Cat werfend marschierte sie in den Schlafraum und warf die Tür hinter sich zu.

Aber sie schloss nicht ab.

10

Das konnte ja heiter werden mit dieser kleinen Diva.

Aber es ging schließlich nur um drei Tage. In denen Cat so fürstlich bezahlt wurde, dass sie sich danach für eine ganze Weile ausruhen konnte.

Ob es das wert war? Nicht alles konnte mit Geld ausgeglichen werden.

Üblicherweise beschäftigte Cat sich nicht mit solchen Gedanken. Was reizte sie hier an diesem Job nur so, dass sie das tat? Reizen im Sinne von aufregen.

Auf einmal quollen Leute in die Suite. Alarmiert schaute Cat sich um. Damit hatte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht gerechnet.

»Wo ist sie?«, fragte ein junger Mann mit stoppelkurzen Haaren und ließ seinen Blick beinah wie gehetzt durch den Raum schweifen.

»Sie schläft«, gab Johanna ruhig Auskunft.

»Sie kann doch jetzt nicht schlafen!« Wieder sah er sich um und stürzte dann auf die Schlafzimmertür zu. »Ist sie hier drin?«

Blitzschnell stand Cat vor ihm und versperrte den Zugang zur Tür, bevor er seine ausgestreckte Hand auf die Klinke legen konnte. »Sie will nicht gestört werden.«

»Wer –?« Entgeistert, aber auch stirnrunzelnd sah er sie an.

»Cat Abramczik«, stellte Cat sich vor. »Ich bin für Frau Zurells Sicherheit zuständig.«

»Seit wann?« Seine Kinnlade fiel etwas blöd herunter.

»Seit heute«, sagte Cat. »Und wer sind Sie?«

»Das ist Kai Krieger, Alidas Komponist.« Johanna trat zu ihnen und lächelte freundlich. »Er hat Sonne auf meiner Haut geschrieben, den großen Hit, durch den sie berühmt geworden ist.«

Kingsley Stevens: Bühne frei! ⯌ Eine Leseprobe in zwölf Teilen

1 Der Applaus brandete immer wieder hoch. »A-LI-DA! A-LI-DA! A-LI-DA!« Schweißüberströmt saß Alida...
»Du hasst Urlaub.« Indem er sich mit beiden Händen auf dem Schreibtisch abstützte und hochschob,...
Sie probierte mehrere Szenarien aus und war ganz zufrieden. Bezeichnend fand sie dabei, dass ihre...
Die Frage überraschte Alida. Sie war noch so sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt gewesen,...
In absichtlich überspitztem Erstaunen wanderten Alidas Augenbrauen Zentimeter für Zentimeter nach...
8 »Bitte, seien Sie ihr nicht böse.« Der Mann, der gerade eben hereingerauscht war, wandte sich...
Forschend blickte Cat sie an. »Sind Sie die Mutter?« Mit einem Lachen schüttelte die ältere Frau...
Es hatte nicht lange gedauert, bis sie Studioaufnahmen machte. Als immer mehr Leute in die Kneipen...
»Hat er das.« Nicht beeindruckt legte Cat die Arme vor sich zusammen. Sie verschränkte sie nicht,...
Gleichzeitig mit dem Ton wurde auch das Licht eingerichtet, und das war fast noch schlimmer. Die...
12 Cat hatte Alida die ganze Zeit im Auge behalten und sah, dass sie schon wieder entwischen...
Cat wollte es offensichtlich nicht zeigen, aber sie wirkte verwirrt. Verwirrt wie jeder normale...