In absichtlich überspitztem Erstaunen wanderten Alidas Augenbrauen Zentimeter für Zentimeter nach oben. »Übertreiben Sie nicht etwas?« Sie lachte Cat aus, aber wie schon zuvor hatte Cat das Gefühl, dass das eher gespielt als echt war. »Ist wahrscheinlich normal in Ihrem Beruf. Sie haben da bestimmt öfter mit Kugeln oder Messern zu tun als ich.« Diesmal lachte Alida sogar ziemlich echt auf, wenn auch abschätzig. »Ich kenne nur Küchenmesser.«

»Die können auch gefährlich sein.« Was mache ich jetzt nur mit diesem Kind? Cat hätte sich am liebsten auf dem Absatz umgedreht und wäre gegangen, aber ein Auftrag war ein Auftrag. Dafür würde Matthias noch bezahlen, das schwor sie sich.

»Gibt es hier welche?« Mit einem ironischen Gesichtsausdruck schaute Alida sich um. »Dann können Sie die ja einsammeln, wenn Sie wollen.«

Cat hätte sie erwürgen können, aber dafür hatte sie zu lange trainiert, sich zu beherrschen. Was auch immer innerlich geschah, äußerlich wirkte sie kühl.

»Die Bedrohung verflüchtigt sich nicht dadurch, dass Sie so tun, als gäbe es sie nicht«, sagte sie. »Es gibt so einen alten Spruch, der heißt Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste

»So alt bin ich noch nicht«, gab Alida sofort schnippisch zurück. »Erinnert mich an meine Großmutter. Zu deren Zeiten war der Spruch vielleicht üblich.«

»Üblich oder nicht.« Eindringlich sah Cat sie an. »Inhaltlich gilt das immer noch. Egal, wie man es ausdrückt.«

»Oh, inhaltlich gilt das immer noch.« Alida äffte sie nach und tat so, als hätte sie sich sprachlich übernommen. »Was Sie nicht sagen.«

Das wird mir langsam zu dumm hier. Entschlossen griff Cat wieder nach ihrem Koffer. »Solange der Auftrag gilt, werde ich Sie beschützen«, teilte sie ihrem unwilligen Schutzobjekt mit. »Ob Sie wollen oder nicht.«

Sie ging zur Tür, um den Koffer hinauszubringen.

»Dann entziehe ich Ihnen einfach den Auftrag!« Alidas Stimme durchschnitt die Luft. Kräftig war sie zumindest.

»Sie haben ihn ja angeblich gar nicht erteilt«, warf Cat über die Schulter zurück. Sie hatte jetzt einfach genug davon, das zu diskutieren. »Nur der Auftraggeber kann einen Auftrag entziehen.«

Kurz überlegte sie und setzte den Metallkoffer neben der Tür ab. Dann blieb er eben hier.

Sie hatte das Gefühl, wenn sie diese Suite hier einmal verließ, würde dieses Früchtchen sie nie wieder hereinlassen. Bis sie vielleicht überfallen wurde. Aber dann war es zu spät.

Alida riss ihr Handy hoch und suchte schnell eine Nummer. Gleich darauf hielt sie es ans Ohr. Nur Sekunden später hörte Cat: »Steffen! Was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Mir so einen weiblichen«, sie zögerte kurz, und ihr Blick wanderte an Cat auf und ab, »oder auch nicht so weiblichen James Bond aufzudrücken?«

Obwohl sie Cat ziemlich nervte, brachte diese Einschätzung sie doch fast zum Schmunzeln. Wenn schon einen Leibwächter, hatte sie sich dann eher einen männlichen gewünscht? War das der Grund für ihre so heftige Ablehnung? Weil wenn schon Nähe, dann mit einem Mann?

Genau konnte Cat das natürlich nicht wissen, und es interessierte sie auch nicht, wie und in wessen Begleitung diese Alida ihr Leben normalerweise verbrachte.

Nur eins war klar: Als Frau war sie Cat völlig gleichgültig. Sie hätte nackt vor ihr stehen können, und es hätte Cat nicht interessiert.

Unter anderen Umständen . . . möglicherweise.

Aber nicht, solange sie für ihr Leben und ihre Unversehrtheit verantwortlich war.

7

Alida hätte nur noch schreien können. Und das tat sie ja auch. Sie schrie in ihr Telefon hinein.

»Beruhige dich.« Steffen klang, als würde er sie nicht richtig ernstnehmen. Wie immer. »Ich komme rüber. Wir können das bestimmt klären.«

»Schmeiß sie raus!« Ihre Stimme überschlug sich fast.

Ich kann nicht mehr! Ich will jetzt allein sein! Ich muss!

Sie zitterte innerlich, und sie brauchte jetzt sofort Entspannung. Wie sollte sie sonst den Tag überstehen? In ihr baute sich ein riesiger Druck auf, eine Lawine, die gleich alles überrollen würde, wenn sie sich nicht endlich zurückziehen konnte.

»Kindchen, was ist denn?« Johanna kam mit einem besorgten Gesichtsausdruck herein, blieb abrupt stehen und starrte Cat Abramczik an, die wie ein Fels in der Brandung dastand, dunkel und unverrückbar. »Wer sind Sie?«

»Cat Abramczik.« Die Frau, die Alida am liebsten zum Mond geschossen hätte, nickte Johanna zu. »Ich soll für Frau Zurells Sicherheit sorgen, solange sie hier ist.«

»Eine Leibwächterin?« Johannas Blick wanderte zu Cats breiten Schultern und musterte sie dann von oben bis unten.

»Ja, genau, eine Leibwächterin.« Steffen kam wie ein ungebremster Zug hereingerauscht. »Weil sie das nämlich braucht.«

»Ich brauche das nicht! Ich kann allein auf mich aufpassen!« Alida starrte ihn mit blitzenden Augen an. »Lasst mich gefälligst alle in Ruhe!«

Sie drehte sich um und raste in das Schlafzimmer, das ein Teil der Suite war, warf die Tür hinter sich zu und lehnte sich dagegen. Heftig atmend spürte sie ihren Puls in der Halsschlagader klopfen.

Verdammt! Sie hatte ihre Tasche drüben auf dem Sessel liegenlassen. Und da war das drin, was sie brauchte. Sollte sie? Sollte sie nicht?

Doch sie konnte nicht anders. Sie brauchte es.

Am Rande eines Ausbruchs drehte sie sich um, riss die Tür wieder auf, raste zum Sessel, ohne irgendjemanden anzusehen, griff sich ihre Tasche und raste ins Schlafzimmer zurück. Diesmal schlug sie die Tür nicht nur hinter sich zu, sie verschloss sie auch.

»Kindchen! Alida!« Das war Johannas Stimme. »Bitte, lass mich rein.« Sie klopfte an die Tür.

»Jetzt nicht!« Alida merkte, wie schrill ihre Stimme klang. »Lass mich in Ruhe!«

Mit zittrigen Händen öffnete sie ihre Tasche und zog ein kleines Samtsäckchen heraus. Die Tabletten, die sich darin befanden, schaffte sie in ihrem Zustand kaum, aus der Aluverpackung zu lösen. Als sie es endlich geschafft hatte, warf sie sie paarweise ein und schluckte.

Eine blieb ihr im Hals stecken. Hustend und würgend lief sie in das Badezimmer, das direkt an dieses Schlafzimmer anschloss, und drehte den Wasserhahn auf. Erst nach einer Weile und nach gefühlt einem halben Liter Leitungswasser ließ das Gefühl, dass sie gleich ersticken würde, nach.

Keuchend glitt sie mit dem Rücken an der Glastür der Duschkabine herunter, bis sie auf dem Boden saß, und versuchte, sich zu beruhigen. Sie fühlte den Schweiß auf ihrer Stirn und auch am Rest ihres Körpers.

Ihr Herz schien fast aus ihrer Brust zu springen, ihr Kopf wollte explodieren, aber gleich . . . gleich würde es besser werden. Sie musste nur abwarten. Sie musste diese paar Minuten überstehen.

»Alida! Liebes! Mach doch auf!« Diesmal klang Johannas Stimme viel weiter entfernt, weil sowohl das Schlafzimmer als auch das halbe Badezimmer dazwischenlag. »Lass mich dir helfen!«

Beinah hätte Alida aufgelacht, aber dazu fehlte ihr im Moment die Kraft.

Helfen. Du kannst mir nicht helfen, dachte sie.

Niemand konnte ihr helfen.

Kingsley Stevens: Bühne frei! ⯌ Eine Leseprobe in zwölf Teilen

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»Du hasst Urlaub.« Indem er sich mit beiden Händen auf dem Schreibtisch abstützte und hochschob,...
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8 »Bitte, seien Sie ihr nicht böse.« Der Mann, der gerade eben hereingerauscht war, wandte sich...
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12 Cat hatte Alida die ganze Zeit im Auge behalten und sah, dass sie schon wieder entwischen...
Cat wollte es offensichtlich nicht zeigen, aber sie wirkte verwirrt. Verwirrt wie jeder normale...