Forschend blickte Cat sie an. »Sind Sie die Mutter?«

Mit einem Lachen schüttelte die ältere Frau den Kopf. »Nein, nein. Ich bin nicht die Mutter. Ich bin ihre Garderobiere. Mädchen für alles könnte man auch sagen. Ich kümmere mich ein bisschen um sie.« Freundlich streckte sie die Hand aus. »Johanna Marbach.«

Cat nahm die Hand und sah sie leicht lächelnd an. »Sehr erfreut, Frau Marbach.«

Die andere winkte ab. »Sagen Sie ruhig Johanna. Das tun alle.« Mit einem erneut besorgten Gesichtsausdruck wandte sie sich wieder der Tür zu. »Jetzt könnte sie aber langsam herauskommen.«

»Gibt es dafür eine bestimmte Zeit?«, fragte Cat. »Macht sie das öfter?«

»Manchmal.« Johanna nickte. »Aber ich nehme es ihr nicht übel. Ständig unterwegs, ständig mit Leuten zusammen, die dauernd etwas von ihr wollen und von allen Seiten an ihr herumzerren, ständig auf der Bühne . . . Das kann nicht ewig gutgehen. Sie braucht auch mal ein bisschen Zeit für sich.«

»Das brauchen wir wohl alle.« Cat verschränkte die Arme.

Sie war etwas hin- und hergerissen. Eigentlich sollte sie nachsehen, was los war.

Andererseits schien es nicht so etwas Außergewöhnliches zu sein, dass Alida Zurell sich einschloss, und bisher schien sie noch immer in einem Stück wieder aufgetaucht zu sein.

Plötzlich drehte sich der Schlüssel im Schloss, und die Tür schwang auf.

Frisch wie der junge Frühling stand Alida im Rahmen. Offenbar hatte sie gerade geduscht und trug jetzt einen weißen Bademantel des Hotels und flache Badeschlappen, die wohl auch das Hotel zur Verfügung gestellt hatte.

Dadurch wirkte sie viel kleiner als zuvor. Dafür war ihre zierliche Figur durch den Bademantel etwas breiter geworden.

Aber wenn Cat ehrlich war, hob das ihre Figur nur noch mehr hervor und machte sie noch aufreizender, weil man sich fragte, was unter dem Bademantel war. Ob sie darunter . . . nackt war.

»Was tun Sie denn immer noch hier?« Ihre hellgrünen Augen blitzten Cat wie Laserstrahlen an. »Hatte ich Sie nicht gebeten zu verschwinden?«

Gebeten ist eine interessante Umschreibung für dein Geschrei, dachte Cat.

Ruhig blickte sie zurück. »Ihr Manager ist anscheinend anderer Meinung«, sagte sie. »Sie werden sich wohl damit abfinden müssen. Ich bleibe hier.«

»Ich muss mich mit gar nichts –!« Fast wie eine Raubkatze sprang Alida mit glühenden Augen vor.

»Kindchen.« Johanna griff nach ihrem Arm und hielt sie fest. »Steffen hat recht. Du brauchst Schutz. Das musst du endlich einsehen. Es ist besser für dich.« Flehend sah sie Alida an. »Bitte. Ich mache mir schon die ganze Zeit Sorgen, dass dir etwas passieren könnte. Wenn sie da ist«, sie wies auf Cat, »kann ich vielleicht ruhiger schlafen.«

Das schien die junge Frau, die jetzt wirklich wie eine ganz normale junge Frau aussah und nicht wie ein Bühnenstar, tatsächlich zu besänftigen.

Mit einem auf einmal warmen Blick sah sie Johanna an. »Na gut. Wenn es dich beruhigt . . .«

»Das tut es.« Johanna gab einen ebenso warmen Blick zurück und strich ihr über den Arm. »Geht es dir besser?«

»Es ging mir nie schlecht.« Lässig schlenderte Alida zur Couch hinüber und ließ sich hineinfallen. »Aber darf ich denn nicht einmal fünf Minuten allein sein?«

»Natürlich darfst du das.« Johanna warf Cat einen Blick zu, der zu besagen schien Hab ich’s nicht gesagt?

»Dann bringe ich meine Sachen mal raus«, sagte Cat und nickte den beiden zu. »Bin gleich wieder da.«

Ein trockenes Lachen kam von der Couch. Anscheinend war Alida jetzt wieder bester Laune.

»Ich werde mich vor Sehnsucht verzehren!«, rief sie Cat spöttisch nach. »Lassen Sie sich nur Zeit!«

Ohne das zu kommentieren, ging Cat hinaus.

Was auch immer diese Alida dachte oder von sich gab, sie würde das ignorieren. Und ihren Job machen. Davon würde sie niemand abhalten.

Alles andere interessierte sie nicht.

9

Am liebsten würde ich Steffen umbringen.

Alida hatte sich zwar beruhigt, aber zufrieden war sie noch lange nicht. Diese Cat Abramczik war das Letzte, was sie brauchte.

Sie hatte schon so kaum einmal ein paar Minuten, in denen sie nicht unter Beobachtung stand, und jetzt sollten ihr diese wenigen Minuten auch noch genommen werden?

Cat. Was war das überhaupt für ein Name? Irgendeine Abkürzung. Katharina vielleicht? Katharina Abramczik. Du meine Güte. Das klang wie Katharina die Große.

Na ja, groß war sie, das musste Alida zugeben. Bestimmt über einsachtzig. Selbst auf High Heels musste Alida zu ihr hochschauen.

Und zweifellos hatte sie das gern, diese Katharina. Wenn die Leute zu ihr hochschauen mussten. Wenn sie auf andere hinabsehen konnte.

Aber nicht mit mir! Alidas Kiefer pressten sich zusammen.

Vielleicht war es aber auch ein Spitzname, überlegte sie weiter. Weil Cat sich wie eine Katze bewegte. Flüssig, geschmeidig, kraftvoll.

Und doch fast lautlos. Sie hätte sich vermutlich überall von hinten heranschleichen können, und man hätte es nicht gehört.

Durch dieses Raubtierhafte hatte sie etwas . . . Gefährliches. Eine Art animalische Anziehungskraft.

Unwillkürlich fuhr Alida sich mit der Zunge über die Lippen.

Ja, es ging ihr jetzt eindeutig besser. Da meldeten sich auch die Hormone. Im Kopf fühlte sie sich freier, nicht mehr so gehetzt.

Sie dachte kurz darüber nach, wie es wäre, mit dieser Raubkatze, mit dieser Cat, zu schlafen. Wahrscheinlich würde es ein leidenschaftliches Erlebnis sein. Eins, dem sie sich ganz hingeben konnte. Das hatte sie selten.

Sie hatte keine Zeit für, wie man das so nannte, Beziehungen und auch kein Interesse daran. Wohl die engste Beziehung, die sie hatte, war die zu Johanna. Das lag an Alidas Lebensstil. Sie war ständig unterwegs.

Allenfalls hätte sie eine Beziehung zu Johanna haben können oder zu Steffen. Das waren die Menschen, mit denen sie am meisten zu tun hatte. Und die, die am wenigsten dafür infrage kamen.

Steffen hatte Alida entdeckt, in einer Kneipe, in der sie gesungen hatte. Sie hatte immer schon eine starke Stimme gehabt, mit der sie alle anderen wegpusten konnte.

Damals hatte Alida nur Coversongs gesungen, denn die Band war eine reine Coverband. Sie spielten viele aktuelle Songs, aber auch einige alte wie die von Whitney Houston. Vor allem deshalb, weil Alidas Stimme an die von Whitney erinnerte.

Es riss die Leute immer wieder von den Stühlen, wenn Alida einen hohen, langen Ton in einem der Lieder von Whitney aushielt, als ob sie nie wieder atmen müsste. Das konnte wirklich nicht jeder.

Vor allem konnte man kaum glauben, dass so viel Stimme in so einem kleinen und zierlichen Persönchen steckte. Wo das herkam. Auf der Bühne wirkte Alida deshalb oft viel größer, als sie war. Die Leute waren überrascht, wenn sie ihr dann Backstage oder irgendwo in einem Studio, wo sie Aufnahmen machte, gegenüberstanden.

Kingsley Stevens: Bühne frei! ⯌ Eine Leseprobe in zwölf Teilen

1 Der Applaus brandete immer wieder hoch. »A-LI-DA! A-LI-DA! A-LI-DA!« Schweißüberströmt saß Alida...
»Du hasst Urlaub.« Indem er sich mit beiden Händen auf dem Schreibtisch abstützte und hochschob,...
Sie probierte mehrere Szenarien aus und war ganz zufrieden. Bezeichnend fand sie dabei, dass ihre...
Die Frage überraschte Alida. Sie war noch so sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt gewesen,...
In absichtlich überspitztem Erstaunen wanderten Alidas Augenbrauen Zentimeter für Zentimeter nach...
8 »Bitte, seien Sie ihr nicht böse.« Der Mann, der gerade eben hereingerauscht war, wandte sich...
Forschend blickte Cat sie an. »Sind Sie die Mutter?« Mit einem Lachen schüttelte die ältere Frau...
Es hatte nicht lange gedauert, bis sie Studioaufnahmen machte. Als immer mehr Leute in die Kneipen...
»Hat er das.« Nicht beeindruckt legte Cat die Arme vor sich zusammen. Sie verschränkte sie nicht,...
Gleichzeitig mit dem Ton wurde auch das Licht eingerichtet, und das war fast noch schlimmer. Die...
12 Cat hatte Alida die ganze Zeit im Auge behalten und sah, dass sie schon wieder entwischen...
Cat wollte es offensichtlich nicht zeigen, aber sie wirkte verwirrt. Verwirrt wie jeder normale...