Gleichzeitig mit dem Ton wurde auch das Licht eingerichtet, und das war fast noch schlimmer. Die Bühnen waren groß, und wenn eine einzelne kleine Person wie Alida sich darauf bewegte, musste sie durch das Licht hervorgehoben werden, damit man sie überhaupt sah.

Was allerdings dann meistens bedeutete, dass sie selbst nichts mehr sah. Das Licht war viel zu grell, um ihr das zu ermöglichen. Sie war wie in einen Kokon aus Licht eingehüllt, abgegrenzt und fast wie losgelöst von ihrer Umgebung, ob das nun ihre Band war oder die Konzertbesucherinnen und -besucher.

Manchmal dachte sie, sie lebte in diesem Kokon. Und nur in diesem Kokon. Wenn sie auf der Bühne stand, war das wie eine Existenz in einer anderen Welt, auf einem anderen Planeten fast. Wer noch nie auf einer Bühne gestanden hatte, besonders auf einer so großen Bühne, konnte sich das nicht vorstellen.

Sie sah nichts und sie hörte nur das, was ihr über die Monitore in ihren Ohrhörern übertragen wurde. Sie war ganz allein und verlassen, nur auf sich selbst gestellt. Es gab keine Verbindung zur Außenwelt, zu den Menschen, die da unten vor der Bühne standen und viel Geld dafür bezahlt hatten, Alida zu sehen und zu hören.

Was sie hören konnten, hörte Alida nicht. Und sich selbst sehen konnte sie ohnehin nicht. Sie schwebte wie im Weltraum in einer Art Vakuum, solange das Konzert lief. Niemand konnte sie erreichen. Wie eine Außerirdische, die nichts mit den Erdlingen da unten zu tun hatte.

Die Begeisterung ihrer Fans rauschte an ihr vorbei wie der Lärm einer Autobahn vor ihrer Haustür. Diese Fans bedeuteten ihr etwas, das schon. Sie badete in ihrer Anbetung, in ihrer Verzückung, weil sie selbst dieses Gefühl eigentlich gar nicht kannte. Es war eine Art Gefühl aus zweiter Hand.

Gleichzeitig fühlte sie jedoch immer den hochgeschossenen Adrenalinpegel in sich, wenn sie eine Bühne betrat. Das war ein Gefühl aus erster Hand, nicht aus zweiter. Denn es war ein Rausch, wie sie ihn kannte. Nur noch besser. Und sie konnte ihn fast beliebig ausdehnen, ohne dass er nachließ.

Deshalb hasste sie es, die Bühne zu verlassen, selbst wenn sie schon völlig erschöpft war. Denn das bedeutete das Ende dieses Rausches, den sie so sehr genoss.

Nicht das sofortige Ende. Sie brauchte immer eine Zeit, bis sie aus dieser Welt, von diesem Raumschiff, das im Vakuum schwebte, herunterkam. Aber irgendwann war es vorbei, und diesen Zustand, dieses Gefühl, fürchtete sie. Es war eine Leere, die sich nicht mit dem Vakuum auf der Bühne vergleichen ließ.

Das Vakuum auf der Bühne war umgeben von Licht, von Musik, von entzücktem Gejubel und Mitsingen der bekanntesten Songs durch die Fans, von der Gewissheit, dass Tausende oder sogar Zehntausende von Augenpaaren auf sie gerichtet waren.

Das Vakuum danach war nur Dunkelheit und Stille. Endlose Dunkelheit und Stille, die sie in den Abgrund zog.

»Können wir mal einen Durchlauf machen?«, fragte sie den Gitarristen an ihrer Seite, der gleichzeitig der Bandleader ihrer Begleitband war. »Die Akustik hier ist ein bisschen schwierig. Ich kann kein richtiges Gefühl dafür entwickeln.«

Ihr Blick schweifte in den Zuschauerraum, der jetzt noch nicht abgedunkelt war, sodass sie etwas sehen konnte. Auch das Bühnenlicht war noch nicht vollständig eingerichtet, und sie wurde nicht völlig davon geblendet.

Am Rande des Zuschauerraums stand eine große dunkle Gestalt, hochaufgerichtet, breitschultrig, die Arme locker an den Seiten herabhängend, als würden sie auf ihren Einsatz warten.

Cats Blick schweifte ebenfalls durch den Zuschauerraum und dann wieder zur Bühne zurück, an den Platz, auf dem Alida stand. Ihr Gesichtsausdruck war so ungerührt, als würde sie Alida gar nicht sehen. Keinen Menschen. Höchstens tote Gegenstände wie in einem Museum.

Alida fühlte ihre Lippen zucken. Konnte diese Cat nicht irgendwo anders stehen? Hinter der Bühne beispielsweise? Oder an der Seite? Sodass Alida sie nicht sehen musste?

Ihre Kiefer pressten sich zusammen. Wenn sie etwas hasste, dann diese Frau. Es war unglaublich, was die sich herausnahm. Sie, Alida, herumzukommandieren, als wäre sie irgendjemand. Als wäre sie . . . niemand. Die sollte sich nur in Acht nehmen.

Wenn Alida wollte, konnte sie sie jederzeit austricksen. Wie sie es auch mit allen anderen tat. Die sollte nur nicht denken, dass sie etwas Besonderes war. Dass sie ihr irgendetwas befehlen konnte.

»Können wir?« Der Bandleader, Joe, schwenkte mit seiner Gitarre auf sie zu. »Keine Unterbrechungen?«

»Keine Unterbrechungen«, nickte Alida, und er gab der Band ein Zeichen, dass sie anfangen konnte.

Die Musik in den Monitorkopfhörern mischte sich mit dem tatsächlichen Klang von der Bühne, erfüllte den Zuschauerraum, die ganze Halle. Alida schloss die Augen, um sich auf ihren Einsatz zu konzentrieren.

Der Schlagzeuger spielte einen Trommelwirbel, um sie dabei zu unterstützen, und sie setzte mit dem ersten Ton ein.

Sie merkte, dass er noch ein wenig zitterte. War das diese Cat, die sie so verunsicherte? Wütend öffnete sie die Augen.

Aber Cat war verschwunden. Sie stand nicht mehr im Zuschauerraum. Wahrscheinlich patrouillierte sie jetzt woanders. Wie ein Schäferhund.

Ja, das war sie. Nicht mehr als das. Ein trainierter Wachhund, nach dem man pfeifen konnte. Der gehorchen musste, wenn man ihn rief.

Alidas Wut gab ihr die Kraft, die Töne nicht mehr zittern zu lassen. Sie kamen stark und laut heraus, wie sie sollten. Wie Alidas große Stimme es hergab.

Sie ließ sich ganz hineingleiten in diese Stimme, in diese Töne. Sie erfüllten ihren gesamten Körper, ließen ihn vibrieren. Das war das Gefühl von Leben. Nur so konnte man leben. Alles andere war blass dagegen.

Ihr Herz klopfte ein wenig zu laut, weil sie sich geärgert hatte. Weil sie sich unnötig aufgeregt hatte wegen dieser bescheuerten Cat. Oder vielleicht hatte sie auch einfach zu viel genommen. Aber das würde sich einpendeln. Das würde sich von selbst regeln, je länger sie auf der Bühne stand. Darauf konnte sie sich verlassen. So war es immer.

Außerdem war das hier ja nur eine Probe. Doch eigentlich war das für Alida kein großer Unterschied. Außer dass sie jetzt noch in Jeans und T-Shirt hier stand, ungeschminkt, war es für sie dasselbe. Sobald sie sang, fühlte sie sich wohl, hob ab, verließ die Schwerkraft der Erde, als ob es sie gar nicht gäbe.

Wenn es doch nur immer so bleiben könnte.

Kingsley Stevens: Bühne frei! ⯌ Eine Leseprobe in zwölf Teilen

1 Der Applaus brandete immer wieder hoch. »A-LI-DA! A-LI-DA! A-LI-DA!« Schweißüberströmt saß Alida...
»Du hasst Urlaub.« Indem er sich mit beiden Händen auf dem Schreibtisch abstützte und hochschob,...
Sie probierte mehrere Szenarien aus und war ganz zufrieden. Bezeichnend fand sie dabei, dass ihre...
Die Frage überraschte Alida. Sie war noch so sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt gewesen,...
In absichtlich überspitztem Erstaunen wanderten Alidas Augenbrauen Zentimeter für Zentimeter nach...
8 »Bitte, seien Sie ihr nicht böse.« Der Mann, der gerade eben hereingerauscht war, wandte sich...
Forschend blickte Cat sie an. »Sind Sie die Mutter?« Mit einem Lachen schüttelte die ältere Frau...
Es hatte nicht lange gedauert, bis sie Studioaufnahmen machte. Als immer mehr Leute in die Kneipen...
»Hat er das.« Nicht beeindruckt legte Cat die Arme vor sich zusammen. Sie verschränkte sie nicht,...
Gleichzeitig mit dem Ton wurde auch das Licht eingerichtet, und das war fast noch schlimmer. Die...
12 Cat hatte Alida die ganze Zeit im Auge behalten und sah, dass sie schon wieder entwischen...
Cat wollte es offensichtlich nicht zeigen, aber sie wirkte verwirrt. Verwirrt wie jeder normale...