12
Cat hatte Alida die ganze Zeit im Auge behalten und sah, dass sie schon wieder entwischen wollte. Sie bewegte sich in Richtung der Backstagetür und sah sich dabei aufmerksam um, mit besonderer Berücksichtigung von Cats Person, was sie aber zu verstecken versuchte.
Diesmal ließ Cat sie bewusst gehen, ließ sie unbehelligt hinausschlüpfen und folgte ihr erst dann nach.
Den Grund für ihr heimliches Entschwinden konnte Cat schon gleich darauf riechen und auch sehen: Alida rauchte hinter einer Ecke des Ganges.
Sie rauchte? Als Sängerin? War das da nicht strengstens verboten?
Aber das ging Cat wirklich nichts an. Für sie war nur wichtig, ob das die Sicherheit ihrer Schutzperson beeinträchtigte. Also beobachtete sie die Rauchwolke, die hinter der Ecke hervorschwebte, eine Weile, und überlegte, ob sie die widerspenstige Sängerin überhaupt darauf ansprechen sollte.
Als sie gerade auf dem Gang ein paar Schritte nähertrat, hatte Alida ihre Zigarette anscheinend beendet. Die Rauchwolke verflüchtigte sich, und sie kam wieder hinter der Ecke hervor.
Abrupt blieb sie stehen, als sie Cat sah. »Ach, mein Kindermädchen«, bemerkte sie abschätzig mit heruntergezogenen Mundwinkeln. »Werde ich jetzt gleich verpetzt?«
»Ich wüsste nicht, warum«, antwortete Cat leicht kopfschüttelnd. »Das gehört nicht zu meinen Aufgaben. Ich wollte nur dafür sorgen, dass Ihnen hier draußen nichts passiert.«
»Ach? Hier draußen.« Alida lachte mit ihrer vollen Stimme auf. »Im gefährlichen Minenfeld der Bühnengänge?«
»Man kann nie wissen«, erwiderte Cat ruhig, obwohl sie ihr langsam am liebsten eine gescheuert hätte. Aber das wäre nicht professionell gewesen. »Und ich bin für Sie verantwortlich.«
Wütend trat Alida einen Schritt auf sie zu. »Sie sind aber nicht wirklich mein Kindermädchen! Schnallen Sie das nicht?« Ihre Augen blitzten Cat auf eine Art an, die sie wahrscheinlich abschrecken sollte.
Cat sah jedoch nur die Angst und hilflose Wut eines kleinen Kindes dahinter. Zum ersten Mal sah sie das ganz deutlich. Dadurch sah sie auch, wie jung Alida tatsächlich noch war. Zwar kannte sie ihr Geburtsdatum nicht, aber sie fragte sich, ob das nicht vielleicht schon einige Jahre im einundzwanzigsten Jahrhundert lag.
»Ist es Ihnen denn völlig gleichgültig, ob Ihnen etwas passiert?«, fragte sie deshalb vielleicht etwas sanfter, als sie das ursprünglich beabsichtigt hatte. »Ihr Manager sprach von einer drohenden Entführung. Wissen Sie, was das bedeuten kann? Erst kürzlich habe ich von einer Frau gehört, die mit achtzehn Jahren von einem Mann entführt worden ist, den sie überhaupt nicht kannte, und er hat sie erst ganze achtzehn Jahre später wieder freigelassen. Als sie sechsunddreißig war. Er hat ihr ihre ganze Jugend geraubt, sie missbraucht –«
»Hören Sie auf!« Alida trat auf Cat zu, als wollte sie sie schlagen. Dann jedoch starrten ihre Augen Cat an, als hätte sie gerade alle ihre Befürchtungen beschrieben.
»So schlimm muss es ja nicht sein«, beruhigte Cat sie deshalb. »Aber Entführer können die abwegigsten Motive haben. Da wäre eine Lösegeldforderung fast noch das Harmloseste. Und gerade in Ihrem Fall –«
»Was bin ich denn für ein . . . Fall?«, unterbrach Alida sie, stellte sich fest auf beiden Beinen vor Cat hin und verschränkte die Arme vor der Brust. »Das ist alles, was ich für Sie bin, oder? Ein Fall, eine Akte, irgendein . . . Auftrag. Im Grunde genommen interessiert es Sie doch einen Scheißdreck, was mit mir passiert!«
Sie fuhr ihre Krallen aus wie eine Katze, die sich freikämpfen wollte. So eingesperrt fühlte sie sich?
»Ganz und gar nicht«, widersprach Cat, ohne überlegen zu müssen. Was sie selbst ein bisschen erstaunte. »Ich finde es zum Beispiel überhaupt nicht schön, wie Sie hier von allen Seiten ausgenutzt werden.«
»Wie . . . Was?« Alida starrte sie völlig verblüfft an. Offensichtlich hatte sie diese Art Aussage nicht von ihr erwartet. Oder war es der Inhalt? Kämpfte sie hier mit Zähnen und Klauen und wusste gar nicht so richtig, warum? »Wie kommen Sie denn darauf?«
Cat zuckte die Schultern. »Es ist kaum zu übersehen. Sie sind diejenige, die das Geld verdient. Alle anderen leben von Ihnen.«
Sie hätte nicht gedacht, dass Nachdenklichkeit zu Alidas herausragenden Eigenschaften gehörte, aber jetzt fühlte sie sich anscheinend dazu gedrängt. Oder sie wusste einfach nur nicht, was sie sagen sollte. Sie sah aus wie jemand, der das Denken nicht wirklich gewöhnt ist und plötzlich dazu gezwungen wird, ohne darauf vorbereitet zu sein.
Cat spitzte die Lippen. Vielleicht war sie zu weit gegangen. »Ich wollte mich nicht in Ihre Privatangelegenheiten einmischen«, sagte sie. »Und auch nicht in Ihre beruflichen. Das geht mich alles nichts an.«
Nun hatte sie aber offenbar ein Tor geöffnet, das sie nicht mehr schließen konnte. Eine Flut schoss heraus, die nur darauf gewartet zu haben schien.
»Sie . . . Sie . . .«, stammelte Alida. Das war aber nur der Anlauf. »Was erlauben Sie sich?« Ihre verschränkten Arme glitten herunter und stemmten sich in ihre Hüften. »Was bilden Sie sich eigentlich ein, wer Sie sind?« Sie holte tief Luft. »Sie sind auch nur ein Lakai, den ich bezahle. Wie alle anderen. Weil ich es mir leisten kann. Weil ich das Geld verdiene. Das haben Sie ganz richtig erkannt!« Höhnisch lachte sie auf. »Was sind Sie doch schlau! Dafür halten Sie sich, nicht wahr?« Sie trat ganz nah auf Cat zu und schob sich noch etwas höher auf ihre hohen Absätze hinauf, um ihr ins Gesicht blicken zu können. »Sie halten sich für etwas ganz Besonderes. Stehen über allen anderen und blicken auf sie hinunter. Eingebildet und arrogant, das sind Sie!«
Cat wusste, dass man auf solche Tiraden nicht reagieren durfte. Und das tat sie auch nicht. Deshalb hielt sie Alidas Blick nur gelassen stand, bis sie sich beruhigte.
Innerlich war Cat jedoch nicht ganz so gelassen. Es gab Leute, die sie wirklich nicht aufregten. Meistens berührte sie das alles überhaupt nicht. Das hatte sie sich seit frühester Kindheit angewöhnt, und sie war sogar ziemlich stolz darauf.
Bei Alida war es jedoch etwas anders. Zuerst hatte Cat gedacht, dass sie sich in nichts von anderen Kunden, von anderen Auftraggebern unterschied. Sie war Cat nicht sympathisch, es lag ihr nichts an diesem jungen widerspenstigen Fohlen, das sich keiner Anordnung beugen wollte, und ihre Musik mochte sie sowieso nicht.
Aber jetzt merkte sie auf einmal, dass da noch mehr sein musste. So aus der Nähe hatte Alida plötzlich eine Ausstrahlung, die Cat bisher noch nie aufgefallen war. Auf einmal konnte sie verstehen, warum die Leute ihr auf der Bühne zujubelten. Sie war . . . süß.
Etwas an ihr machte Cat von einer Sekunde auf die andere unruhig.
Und das war gar kein gutes Gefühl.
13
Hab dich. Alida grinste innerlich.
»Aha.« Sie stand noch immer hoch aufgereckt da, wackelte kein bisschen auf den Zehenspitzen, die ihr einzig nur noch Halt gaben, und ihre Mundwinkel begannen zu zucken. »Wusst ich’s doch. Du stehst auf Frauen.«
Sie fühlte die Wärme von Cats Körper an sich, und vielleicht war es der erhöhte Adrenalinspiegel, den die Probe hinterlassen hatte, aber auf einmal hatte sie gar nichts mehr gegen diesen Körper. Gegen die Frau, die darin steckte . . . das war vielleicht etwas anderes. Aber darüber musste sie jetzt nicht nachdenken.