Weil sie selbst keinen Mann fand, jedenfalls schien das in ihrem Alter und mit ihrer Ausstrahlung eines grauen Mäuschens unwahrscheinlich, hätte sie so gern an Nathalies Liebesleben teilgenommen. Nur hatte Nathalie auch keins. Oder nur selten und in großen Abständen.

Ordentlich, wie sie war, hatte Frau Kleinschmidt die Rosen bereits in einer Vase untergebracht, die sie jetzt zu Nathalies Schreibtisch trug. »Wo soll ich sie hinstellen?«

»Nirgendwo hin.« Fast angewidert hob Nathalie die Hand. »Nehmen Sie sie weg. Am besten gleich in den Abfall.«

Enttäuscht blickte Frau Kleinschmidt auf die wie Rubine strahlenden Blüten. »Das wäre aber schade.«

»Meinen Sie?« Mit einer verächtlichen Armbewegung schlug Nathalie ihr fast die Vase aus der Hand, die sie ihr hinhielt. »Wenn Sie wollen, können Sie sie gern mit nach Hause nehmen. Ich will das Zeug nicht mehr sehen.«

Frau Kleinschmidts eben noch enttäuschter Gesichtsausdruck verwandelte sich in einen ungläubig erfreuten. »Wollen Sie sie wirklich nicht haben?«

»Nein, will ich nicht.« Ablehnend zog Nathalie die Nase kraus. »Nehmen Sie sie schon weg!«

»Sofort.« Mit begeistert verzogenem Gesicht hob Frau Kleinschmidt die Vase hoch, um sie bis zum Feierabend auf ihren eigenen Schreibtisch zu stellen.

Nathalie sah ihr kopfschüttelnd nach. Das war bestimmt dieser BWL-Typ gewesen, den sie gestern auf dem Empfang der Steuerberatervereinigung getroffen hatte. Eine völlig überflüssige Veranstaltung und ein völlig überflüssiger junger Mann, dem man die Spießigkeit schon von Weitem ansah. Dachte er etwa, Nathalie würde die Mutter seiner ebenso spießigen Kinder werden?

Doch ohne noch länger darüber nachzudenken, wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu, vergaß schnell, was es sonst auf der Welt noch so gab, denn das interessierte sie nur wenig.

»Ich gehe dann, Frau Dengler.«

Ruckartig fuhr Nathalies Kopf hoch. Frau Kleinschmidt stand startbereit in der Bürotür, und sie war immer auf die Minute pünktlich, also musste es bereits – »So spät schon?«, fragte sie.

Frau Kleinschmidt nickte. »Sie sind immer noch sicher, dass ich die Blumen mitnehmen kann?«

»Oh ja, da bin ich sicher!« Nathalie atmete tief durch. »Schönen Abend, Frau Kleinschmidt.«

»Ihnen auch, Frau Dengler. Und noch mal vielen Dank.« Frau Kleinschmidt strahlte wie ein Honigkuchenpferd, als sie mit dem nun wieder sorgfältig verpackten Rosenstrauß abzog, der noch ein wenig tropfte.

3

Nachdem Frau Kleinschmidt gegangen war, arbeitete Nathalie eine Weile ungestört vor sich hin.

Im Gegensatz zu ihrer Sekretärin machte sie nie pünktlich Feierabend. Zu Hause erwartete sie ja auch nichts Interessantes, nur eine leere Wohnung.

Ein dumpfes Geräusch ließ ihren Blick auf einmal zum Fenster wandern. Daher schien es gekommen zu sein. Allerdings konnte sie nicht genau feststellen, woher. War da irgendetwas heruntergefallen? Hier im Zimmer sah sie nichts.

Das Fenster war nicht nur ein Fenster, es war eine Fenstertür. Und davor befand sich ein kleiner Balkon. Da es ein altes Haus war, war der nicht sehr ausladend, und er lag direkt an der Straße, sodass es ohnehin kein Vergnügen gewesen wäre, darauf zu sitzen. Benzingestank und Lärm hielten sie zuverlässig davon ab.

Doch manchmal trat Nathalie hinaus, wenn sie sich vom Treiben auf der Straße ein wenig von der Arbeit ablenken wollte. Die Augen ausruhen, die sich zu lange auf den Bildschirm konzentriert hatten.

Mit einem fragenden Gesichtsausdruck bewegte sie sich zur Tür. Vielleicht hatten da Kinder etwas hinaufgeworfen? Einen Ball?

Das konnte sie sich zwar nicht so richtig vorstellen, aber die Leute kamen manchmal auf die unwahrscheinlichsten Ideen. Ihr Büro befand sich direkt auf St. Pauli, da war man vor Überraschungen nie sicher.

Der Scheibe war nichts passiert, also konnte der Aufprall, den sie gehört hatte, nicht so schlimm gewesen sein. Es hatte nicht geklirrt, nur dumpf gescheppert.

Sie öffnete die Tür und sah auf den kleinen Balkon hinaus. Da lag ein Vogel. Er war nicht tot, denn er bewegte sich, versuchte, sich wohl aufzurappeln, war aber anscheinend ziemlich benommen.

Nathalie hatte keine Erfahrung mit Tieren, mit Vögeln schon gar nicht, deshalb wusste sie nicht, was sie tun sollte. War das überhaupt nötig? Wahrscheinlich würde der Vogel sich doch von selbst wieder erholen. Auch wenn sie sich nicht damit auskannte, aber wild lebende Tiere waren da bestimmt nicht so empfindlich.

Warum der Vogel allerdings gegen ihr Fenster geflogen war, hier mitten in der Stadt, das war ihr ein Rätsel. Das war noch nie passiert. Und Rätsel waren etwas, das sie überhaupt nicht mochte. Ein Rätsel war ein ungelöstes Problem. Probleme waren jedoch dazu da, gelöst zu werden.

Deshalb runzelte sie fast ungewollt die Stirn, als sie über das Problem nachdachte. War das ein junger Vogel, der noch nicht wusste, wo er langfliegen musste?

Sie konnte es ihm nicht ansehen. Für sie sah er aus wie jeder andere Vogel, sie konnte da keinen Unterschied im Alter feststellen.

Doch zum Schluss interessierte sie das alles nicht wirklich. Es war nur lästig, sich mit so etwas beschäftigen zu müssen. Sie sollte hineingehen und ihn in Ruhe mit seinen Kopfschmerzen fertigwerden lassen, damit er so bald wie möglich verschwand und das Problem sich damit in Luft auflöste. Leicht genervt schloss sie die Tür wieder und ging zurück an ihren Schreibtisch.

Danach wanderte ihr Blick bei der Arbeit mehrmals zum Fenster, aber sie sah ihn nicht abfliegen. Warum sie sich überhaupt Gedanken darüber machte . . . Was ging sie das an?

Nun ja, es war ihr Balkon. Und ihr Fenster. Aber deshalb war sie noch lange nicht verantwortlich für die Dummheit eines Vogels, der entweder nicht richtig fliegen oder nicht richtig gucken konnte.

Nachdem sie ein paar Berechnungen für eine Kundin angestellt hatte, die zu wenig verdiente, um viel investieren zu können, weshalb sie mehr Steuern zahlte als der Cabriobesitzer, mit dem Nathalie zuvor telefoniert hatte, schloss sie die Unterlagen und fragte sich erneut, was mit dem Vogel war. War er jetzt doch gestorben? Dann musste sie seine . . . Leiche wohl entsorgen, bevor sie zu stinken anfing.

Also ging sie mit einem leichten Zögern zur Tür, hielt an, blieb stehen und überlegte. Sie konnte natürlich auch warten, bis die Putzfrau es tat. Die würde ja bald kommen.

Schon drehte sie sich halb auf dem Absatz um, da riss sie sich zusammen und straffte ihre Schultern. Wer war sie denn? Dass sie sich vor einem toten Vogel fürchtete? Sonst fürchtete sie doch nichts und niemanden.

Sie fürchtete sich ja auch nicht. Es war einfach nur unangenehm, sich mit so etwas beschäftigen zu müssen. Unangenehm und lästig.

Doch schon während sie das dachte, öffnete sie die Fenstertür und blickte hinaus. Der Vogel hatte sich aufgerappelt. Er hockte am Boden und versuchte zu fliegen, brachte es aber höchstens zu einem wackligen Hüpfer. Einer seiner Flügel hing bis zum Steinboden des kleinen Balkons herunter.

Angela Danz: Rosen für Nathalie

1 »Nein, es tut mir leid. Das können Sie nicht als Werbungskosten absetzen.« Nathalie seufzte...
Weil sie selbst keinen Mann fand, jedenfalls schien das in ihrem Alter und mit ihrer Ausstrahlung...
Zwar hatte Nathalie keine Ahnung von Tieren, aber das legte wohl die Vermutung nahe, dass er sich...
Geld spielte in ihrem Alltag keine große Rolle. Sie hatte gerade mal genug zum Leben, aber das...
»Dem können wohl selbst wir uns nicht entziehen.« Unbekümmert lachte Lisa ihn an. »Ich denke gar...
Das brachte manchmal auch unerfreuliche Reaktionen mit sich, aber die ignorierte sie. Es betraf...
Glücklich war sowieso der falsche Ausdruck. Wer konnte schon sagen, was Glück war, wie sich das...
»Muss das sein?« Immer noch war Nathalie erbost und musterte dieses komische Zwitterwesen von oben...
11 »Oh, du hast einen Vogel.« Nathalie dachte, sie hätte sich verhört und drehte sich erbost um....
Aber nein, diese Frau hatte nicht den Eindruck gemacht, als wäre sie brutal. Und warum hatte sie...
14 »Es war ein seltsames Gefühl, das Lisa befiel, als sie dieses Büro betrat, dann weiterging zur...
Mittlerweile hatte sie einiges daran machen lassen, sodass es repräsentativ genug war für ihren...