»Muss das sein?« Immer noch war Nathalie erbost und musterte dieses komische Zwitterwesen von oben bis unten. Gut gemachte Brüste. Aber die waren natürlich nicht echt.

»Tut mir leid.« Die Stimme hatte einen erotischen Hauch. Das war vermutlich Absicht, aber damit konnte dieser junge Mann – denn es war bestimmt ein Mann, hatte Nathalie nun entschieden, da in diesem Lokal nur Männer tanzten – bei ihr nicht landen. »Ich konnte mich leider nicht umziehen zwischen meinen Auftritten, weil ich schnell noch einkaufen gehen musste.«

Was für eine banale Erklärung, aber vermutlich die Wahrheit. Ein wenig Charme konnte sie diesem schwulen Bühnenkünstler nicht absprechen, das musste Nathalie zugeben. Aber gleichzeitig wunderte sie sich, dass sie auf einmal für männlichen Charme, schwul oder nicht, empfänglich war. Wahrscheinlich lag das an der Verkleidung, die die Zuordnung zu einem Geschlecht schwierig machte. Das verwirrte sie.

»Schon gut.« Nathalie wollte nur raus hier und sich nicht noch mit diesen Paradiesvögeln der Nacht herumschlagen, die ganz sicher nicht in ihre Welt gehörten.

Sie hatte noch nie eine solche Show besucht, wie sehr andere auch davon schwärmten. Ihr gaben als Frauen verkleidete Männer auf der Bühne einfach nichts. Auch dieser junge Mann hier, der so charmant wirkte, dass er selbst ihre Empörung beruhigte, nicht.

Sie streckte sich nach der Dose, die sehr weit oben im Regal stand und die sie gerade hatte herunterholen wollen.

»Darf ich?« Das farbenfrohe Geschöpf neben ihr musste sich nicht strecken, um die Dose zu erreichen, nahm sie einfach und hielt sie ihr hin. »Bitte.«

Das kann ich schon selbst, hätte Nathalie am liebsten gesagt, aber das hätte sie nur noch länger hier in diesem Markt aufgehalten, der ihr zum Teil Schauer über den Rücken jagte.

Es war ein ganz normaler kleiner Supermarkt, aber was sich hier versammelte, traf man sonst wohl selten auf einem Haufen. Penner, die sich ihren Schnaps holten, eher bürgerlich aussehende Menschen wie Nathalie, die Gemüse und Spülmittel einkauften oder ähnliche Dinge des täglichen Bedarfs, und dann auch solche Paradiesvögel wie der junge Mann mit dem federbesetzten Glitzerkostüm und den hochhackigen Schuhen, der ihr die Dose gereicht hatte. Und das waren noch lange nicht alle.

Weil sie dem allen möglichst rasch entkommen wollte, nahm sie die Dose entgegen, ohne den Kommentar aus ihrem Kopf auszusprechen, und nickte lediglich knapp.

»Danke«, quetschte sie zwischen zusammengepressten Lippen hervor und machte sich schnell davon zur Kasse.

10

Komisches Teil, dachte Lisa. Und sie meinte damit Nathalie.

Während sie ganz nebenbei ihre Einkäufe erledigte, denn sie kannte den Penny-Markt in- und auswendig, weil sie fast immer hier einkaufte, ging ihr die Frau, der sie mit der Dose geholfen hatte, nicht mehr aus dem Kopf.

Lisa war keine große Köchin, aber dennoch legte sie Wert auf gutes Essen. Sie aß zwar fast immer dasselbe, mit kleinen Variationen, aber das kochte sie selbst. Es war kein großer Aufwand, und es schmeckte einfach besser.

Viele ihrer Kollegen aßen in Restaurants, manche sogar noch bei Muttern zu Hause, und ab und zu tat Lisa das auch, zum Essen ausgehen, aber meistens kochte sie in ihrer kleinen Dachwohnung und fühlte sich wohl dabei.

Ihre Familie lebte weit entfernt, sich von jemand anderem bekochen zu lassen war also sowieso keine Option, und Junkfood hasste sie. Sie schüttelte sich nur, wenn sie daran dachte, dass es Leute gab, die sich ausschließlich von Hamburgern oder Pizza to go ernährten. Meistens sah man das den Leuten auch an, denn diese Art von Ernährung führte schnell dazu, dass man Pölsterchen ansetzte.

Da Lisa sich als Sportlerin betrachtete, denn das Tanzen war sehr anstrengend und erforderte ständiges Training, war das auf keinen Fall das, was sie wollte. Die Kostüme waren zu eng, um irgendetwas zu verstecken. Und sie wollte auf der Bühne gut aussehen.

Viele ihrer schwulen Kollegen störte es nicht, wenn man ihre Bäuche sah, vor allem die älteren, die Zarah Leander und Co. auf der Bühne imitierten. Nicht tanzten, sondern nur so taten, als würden sie singen, während die Stimme der verehrten jeweiligen Diva im Hintergrund ablief und sie nur die Lippen dazu bewegten.

Für Lisa kam das jedoch nicht infrage. Tanzen war nicht nur ihr Beruf. Sie tanzte aus Leidenschaft. Und sie war stolz darauf, dass sie einen Körper hatte, der ihr das erlaubte. Doch dieser Körper erforderte Arbeit, wenn man ihn behalten wollte.

Wenn sie sich aus Dosen ernähren würde . . . Wieder musste sie an diese Frau denken, die das anscheinend tat. Sie sah nicht so aus, als ob ihr an Essen überhaupt etwas lag. Ihr Körper war so hager, dass die Knochen hervorstachen.

Nicht dass sie unattraktiv war. Das war Lisa sofort aufgefallen. Sie hatte etwas . . . Verlorenes gehabt. Fast etwas Durchsichtiges, Ätherisches. Einige von Lisas Kollegen hätten alles dafür gegeben, so auszusehen.

Als Lisa ihr geholfen hatte, hatte sie gemerkt, wie unangenehm das dieser Frau war. Entweder war sie es nicht gewöhnt, dass man ihr half, oder sie hatte grundsätzlich etwas dagegen, mit Menschen in näheren Kontakt zu kommen.

Dann war der Penny-Markt bei Nacht allerdings der falsche Ort. Lisa musste schmunzeln. Sie hatte diese Frau noch nie hier gesehen, und sie selbst kam regelmäßig her zum Einkaufen. Ob sie gerade erst zugezogen war und deshalb so verloren wirkte? Weil sie niemanden kannte und unsicher war?

Auf jeden Fall gehörte sie nicht in die Kategorie Menschen, mit denen Lisa normalerweise zu tun hatte. Und das machte sie interessant. Schon immer hatte Lisa alles Neue, Unbekannte gereizt. Sie musste es erforschen.

Wenn ihre Vermutung zutraf und diese Frau neu in der Stadt war, konnte sie ihr vielleicht einiges zeigen?

Wieder verzogen ihre Lippen sich zu einem Schmunzeln. Die Frau hatte Lisa nicht einordnen können, das hatte sie ihr angesehen. Und das war ja auch der Sinn dieses ganzen Kostüms. Es sollte die Geschlechterunterschiede verschwinden lassen, die Illusion einer androgynen Welt erzeugen, in der man nicht genau wusste, wer Männlein und wer Weiblein war. Wo alles möglich war und man selbst entschied, als was man sich betrachtete, seinen Gefühlen folgte.

Aber obwohl die Frau sie nicht hatte einordnen können, war Lisa sich ziemlich sicher, dass sie ihre Reize durchaus wahrgenommen hatte. Ihre Augen hatten länger als nötig auf Lisas Brüsten verweilt, die durch das Kostüm hervorgehoben wurden.

Da ließ sich ganz bestimmt etwas machen.

Vielleicht trafen sie sich ja einmal wieder.

Angela Danz: Rosen für Nathalie

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