1

»Nein, es tut mir leid. Das können Sie nicht als Werbungskosten absetzen.« Nathalie seufzte innerlich. In ihrem Beruf als Steuerberaterin wurde sie oft die absurdesten Dinge gefragt.

Einerseits, weil die Leute keine Steuern zahlen wollten, andererseits aber auch, weil das Ganze so kompliziert war, dass da niemand mehr durchblickte. Selbst sie als Steuerexpertin hatte da hin und wieder Probleme.

Dennoch liebte sie ihren Beruf, weil sie gern mit Zahlen umging und sich auch freute, wenn sie ihr Wissen anwenden konnte, um Menschen zu helfen, die sonst vom Staat gnadenlos ausgenommen worden wären.

Bei diesem Kunden hier war jedoch eher das Gegenteil der Fall. Er nahm seinerseits den Staat gnadenlos aus. Oder versuchte es zumindest. Wollte sogar das Cabrio seiner Geliebten in seiner Ferienwohnung als Werbungskosten absetzen.

Werbung wofür? Für seine Potenz?

Aber auch solche Kunden hatten ein Recht auf korrekte Beratung. Davon lebte Nathalie schließlich.

Manchmal träumte sie jedoch davon, selbst im Cabrio am Meer herumzufahren und nicht mehr pfennigfuchserisch alles aus einer Steuererklärung herauszuholen, was herauszuholen war. Auch wenn ihr das durchaus Spaß machte.

Allerdings war Spaß nicht unbedingt das, was ihr Leben bestimmte. Sie war immer mehr ein Pflichtmensch gewesen. Grundsätzlich.

Weil sie es zu Hause so gelernt hatte. Und wohl auch, weil es ihr tatsächlich lag. Ihr Bruder hatte diese Pflichtauffassung nie übernommen, obwohl er genauso erzogen worden war wie sie.

Doch was auch immer der Unterschied zwischen ihnen war, das hatte Nathalie meistens nicht berührt. Sie war ihren Weg gegangen, ganz egal, was sich ihr in den Weg stellte, und auch ganz egal, was andere davon hielten.

Ihre Mutter hätte lieber eine Tochter gehabt, die mit Puppen spielte, doch Nathalie hatte von klein auf lieber mit Zahlen gespielt. Es machte ihr Spaß, ihr Taschengeld nicht auszugeben, sondern sich auszurechnen, was sie sich damit kaufen könnte. Wie viel ihr übrig blieb, weil sie es sich nicht gekauft hatte.

Viele ihrer Altersgenossen und auch ihr Bruder gaben ihr Taschengeld aus, sobald sie es bekamen. Es war sofort weg. Nathalie hatte jedoch am Ende der Woche meistens immer noch alles übrig.

Dann gab sie es vielleicht aus, direkt bevor das neue Taschengeld kam. So hatte sie immer das Gefühl, genügend Geld zu haben, wenn sie sich etwas kaufen wollte. Obwohl sie es erst einmal nicht tat.

Diese Art von Beherrschung hatte alle erstaunt. Besonders bei einem Kind von sechs Jahren. Aber für Nathalie war das Vergnügen, Geld zu besitzen, es immer wieder zählen zu können, wenn sie das wollte, es immer sehen zu können, wenn sie ihr kleines, perlenbesticktes Portemonnaie öffnete, einfach wichtiger.

Sie war – so sagte einmal ihre Lieblingstante lachend zu ihr – ein richtiger Onkel Dagobert. Was ihre Tante allerdings noch gesagt hatte, war, dass sich das sicher bald auswachsen würde. Das wäre so eine Art Kindheitsobsession. Manche Kinder wären eben so, aber das würde nicht anhalten.

Damit hatte sie sich allerdings geirrt. Es wuchs sich nicht aus. Was sogar ihre Tante eines Tages akzeptieren musste.

Deshalb war es auch keine Überraschung gewesen, als sie sich für ihren Beruf entschied. Steuerberaterin schien für alle mehr als passend zu sein.

Doch jetzt musste sie zuerst einmal dieses Gespräch beenden, denn das brachte nichts. »Sie müssen Geld ausgeben, um Geld zu sparen«, fuhr sie deshalb fort. »Investieren. Am besten in Immobilien oder sonstige bleibende Werte. Oder Schulden machen, das geht auch.«

»Habe ich nicht schon genug Schulden?«, fragte er. »Aber es ist sicher kein Problem, noch mehr von der Bank zu bekommen. Mein Anlageberater hat mich letztens schon genervt.«

»Dann sollten Sie seinen Rat annehmen«, schlug Nathalie vor. »So kommen Sie fast auf null.«

»Das ist mein Ziel.« Er lachte. »Keine Steuern zahlen. Dieser Staat soll keinen Cent von mir bekommen. Dann schon lieber die Bank.« Im Hintergrund hörte man ein Geräusch. »Gut, ich komme«, rief er hallig in den Raum. »Ich habe jetzt ein Meeting«, sprach er daraufhin wieder in den Hörer zu Nathalie. »Und dann rufe ich meinen Anlageberater an. Danke für den Tipp! Sie hören von mir.« Damit legte er auf.

Bei solchen Kunden hatte Nathalie das Gefühl, das System wurde auf den Kopf gestellt. Der Mann war Millionär, aber er zahlte weniger Steuern als irgendeine Kassiererin bei Aldi. Und wollte gar keine zahlen.

Dafür bezahlte er allerdings seiner Steuerberaterin einen schönen Batzen. Das störte ihn nicht. Auch nicht die Zinsen an die Bank. Es ging ihm nicht um Geld an sich, das er nicht ausgeben wollte.

Er wollte einfach nur keine Steuern zahlen. Das ging ihm gegen die Ehre.

In gewisser Weise konnte Nathalie das verstehen, denn auch sie selbst verdiente sehr gut, zahlte jedoch kaum Steuern, weil sie alle Tricks kannte, mit denen man das verhindern konnte. Legale Tricks, die voll im Rahmen der Gesetze lagen. Die Leute, die diese Gesetze gemacht hatten und immer noch machten, hatten wirklich nicht die geringste Ahnung.

Bei ihrem Spiel mit dem Staat kam Nathalie sich manchmal so vor wie damals als Kind. Als sie immer alle anderen hatte schlagen wollen, weil sie ihr Geld am längsten behielt.

Der Staat gab Geld für Sachen aus, für die Nathalie niemals Geld ausgegeben hätte. Und das wollte sie nicht unterstützen. In der Beziehung verstand sie Kunden wie denjenigen, mit dem sie gerade telefoniert hatte, gut.

Wenn man keine Kontrolle darüber hatte, wie und wofür das eigene Geld ausgegeben wurde, gleichzeitig aber dazu gezwungen wurde, Teile seines hart verdienten Einkommens dafür zur Verfügung zu stellen, vermittelte das ein schlechtes Gefühl.

Deshalb vermittelte ihr jeder Cent, den sie für sich oder ihre Kunden an Steuern sparte, ein ähnlich gutes Gefühl wie damals ein Blick in ihr kleines perlenbesticktes Portemonnaie, das man ihr als Kind geschenkt hatte.

2

»Was ist das?« Stirnrunzelnd betrachtete Nathalie den Rosenstrauß, der plötzlich in ihrem Türrahmen erschienen war. Dahinter war ihre Sekretärin, die ihn trug, kaum zu sehen.

»Die sind gerade für Sie gekommen.« Frau Kleinschmidts Stimme klang wesentlich erfreuter als Nathalies.

»Das habe ich mir beinah schon gedacht.« Nathalie rollte mit den die Augen in Richtung ihrer Mitarbeiterin. »Und wer hat sie geschickt?«

Frau Kleinschmidt kam mit einem nur unzureichend unterdrückten Schmunzeln im Gesicht ins Büro und blickte Nathalie an. »Das müssten Sie doch besser wissen als ich.«

In ihren Augen lag der neugierige Ausdruck einer alten Jungfer, die nichts mehr liebte als Liebesromane, die in ihrer Nachbarschaft stattfanden. Sie war keine alte Jungfer, sie war geschieden, aber das schon sehr lange, und irgendwie kam das wohl auf dasselbe heraus.

»Ich weiß von gar nichts, Frau Kleinschmidt.« Nathalie versuchte, ihren Gesichtsausdruck zu beherrschen, aber die Neugier ihrer Mitarbeiterin ging ihr auf die Nerven.

Angela Danz: Rosen für Nathalie

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