11

»Oh, du hast einen Vogel.«

Nathalie dachte, sie hätte sich verhört und drehte sich erbost um. »Wie bitte?«

»Du hast einen Vogel.« Die kostümierte Gestalt, die sie zuvor im Supermarkt getroffen hatte, wies auf den Käfig in Nathalies Auto, das direkt vor dem Penny-Markt parkte.

Leider hatte sich jemand in der zweiten Reihe davorgestellt, und Nathalie kam nicht raus. Sie musste warten, bis der Besitzer des Wagens zurückkam. Was sie allein schon wütend gemacht hatte. Und dann kam auch noch diese . . . dieser . . . Was immer es auch war.

»Einen Wildvogel«, ergänzte die Gestalt leicht fragend. »Kennst du dich damit aus?«

Warum habe ich mich zum Warten nicht einfach in den Wagen gesetzt? dachte Nathalie.

Aber es war schwierig gewesen einzusteigen, so nah hatte der andere Wagen an ihrem geparkt. Und über den Beifahrersitz konnte sie nicht einsteigen, weil da der Vogelkäfig stand.

»Was geht Sie das an?«, fauchte sie deshalb ungnädig. Dieses komische Wesen hatte ihr gerade noch gefehlt!

»Nichts. Gar nichts.« Das Wesen lächelte, und erneut spürte Nathalie den Charme, den das ausstrahlte. Warum auch das noch? Was sollte das? Das brauchte sie jetzt nicht. Und es verwirrte sie maßlos. »Ich habe viele Vögel aufgezogen«, fuhr das Geschöpf der Nacht fort, »als ich noch bei meinen Eltern gewohnt habe. Sie haben einen Garten. Deshalb kenne ich mich da ein bisschen aus.«

»Sie?« Nathalie musterte das Wesen von einem anderen Stern von oben bis unten und versuchte, es sich in einem Garten vorzustellen, mit dreckigen Händen in der Erde buddelnd. Sie konnte es nicht. »Sie kennen sich mit Wildvögeln aus?« Das klang sogar noch ungläubiger, als sie es innerlich empfand.

»Ich sehe nicht so aus, meinst du?« Die Federn des Kostüms vibrierten durch die Luft, als das Wesen die Schultern zuckte. »Und dabei bin ich schon so oft Paradiesvogel genannt worden.« Sie lachte.

Was Nathalie auch gedacht hatte. Aber . . . »Das . . .« Ihr Gesichtsausdruck spiegelte ihre Verwirrung sicherlich wider. Doch das wollte sie nicht. Sie verwandelte ihre Züge in eine steinerne Maske. »Das hat doch nichts mit Wildvögeln zu tun.«

»Eher weniger, da hast du recht.« Die große, schlanke Gestalt lächelte auf sie hinunter. Dann blickte sie sich wie suchend um. »Wohnst du hier in der Nähe? So ein Vogel ist das Autofahren nämlich nicht gewöhnt.«

»Ach ja?« Langsam musste diese Unverschämtheit ein Ende haben! Und dabei duzte diese . . . dieses . . . was auch immer sie auch noch die ganze Zeit! Hatte sie ihr das erlaubt? Hatte sie nicht gemerkt, dass Nathalie demonstrativ beim Sie geblieben war?

Bestimmt hatte sie das bemerkt. Aber sie hatte es einfach ignoriert. Sie war arrogant und ignorant.

»Daran kann ich jetzt auch nichts ändern.« Nathalie verschränkte die Arme vor der Brust. »Und auf ungebetene Ratschläge kann ich gut verzichten, dankeschön.« Das klang höchst sarkastisch und herablassend. Die meisten Leute hätten sich davon abschrecken lassen.

Nicht jedoch diese Gestalt. Sie lachte. »Ich bitte um Entschuldigung.« Ironisch verbeugte sie sich vor Nathalie.

So eine erotische Stimme . . . Nathalie spürte sie wie die Wellen einer leichten Stromspannung durch ihren ganzen Körper laufen. Was sollte das denn jetzt?

Dass sie nicht wegkonnte, machte sie noch wütender. Sie wollte sich nicht mit dieser außerirdischen Erscheinung unterhalten, aber sie wurde von den Umständen dazu gezwungen. So etwas hasste sie.

Wäre sie allein gewesen, hätte sie einfach gehen können. Aber sie hatte den Vogel im Auto. Der sowieso schon vor lauter Angst erstarrt war. Sie konnte ihn nicht sich selbst überlassen. Dann war er vielleicht tot, wenn sie zurückkam.

Das konnte sie nicht akzeptieren nach allem, was sie dafür getan hatte, damit er überlebte. Jetzt sollte er sein Leben auch genießen können. Alles andere wäre unfair gewesen, und wenn eins Nathalie auf die Palme bringen konnte, dann Ungerechtigkeit.

Ein gehetzt aussehender Mann in Krawatte und Anzug kam aus dem Penny-Markt gestürmt.

»Ist das Ihr –« Wagen?, hatte Nathalie ihn anblaffen wollen, aber dazu kam sie gar nicht.

Er lief so schnell an ihr und dem Glitzerkostüm vorbei, als trüge er Scheuklappen, sah sie so wenig wie vermutlich den Rest der Umgebung.

Schon hatte er sich in sein Auto gesetzt und brauste davon.

Gegen ihren Willen fühlte Nathalie Dankbarkeit in sich aufsteigen und huschte eilig auf die andere Seite ihres eigenen Autos, schloss die Tür auf.

»Wenn du mal Hilfe brauchst mit dem Vogel, ich kann dir meine Nummer geben«, bot die außerweltliche Gestalt an. »Du kannst mich gern anrufen.«

»Das ist das Letzte, was ich tun würde!«

Mit einem so funkensprühenden Blick, dass er das Glitzerkostüm fast blass erscheinen ließ, stieg Nathalie in ihren Wagen und fuhr ab.

12

»Am nächsten Tag dachte Lisa auf einmal erneut an diese Frau mit dem Vogel, die sich aus Dosen ernährte. Dass ihr dieser Gedanke kam, dass sogar das Gesicht dieser Frau vor ihrem inneren Auge erschien, wunderte sie sehr.

Als sie gestern ins Wildest Dreams zurückgekehrt war, hatte sie nicht viel Zeit gehabt, über irgendetwas nachzudenken, denn ihr Auftritt stand schon vor der Tür. Auf den hatte sie sich dann erst einmal konzentriert.

Danach hatte Dominik sie noch einmal mit Beschlag belegt, denn er hatte Leon offensichtlich mit einem anderen in der Vorstellung gesehen und nur noch geheult: »Er liebt mich nicht mehr!«

Das war vermutlich der Fall, aber selbstverständlich hatte Lisa dem sofort widersprochen, um Dominik zu beruhigen. Als sie ihn endlich beruhigt hatte, war sie so müde, dass sie nur noch nach Hause wollte.

Beim Aufwachen heute Morgen, was so ungefähr um halb zwölf herum gewesen war, war ihr aber die Tüte des Penny-Marktes ins Auge gefallen, die sie gestern gar nicht mehr ausgepackt hatte. Und die hatte sie an diese merkwürdige Begegnung in ihrem Lieblingssupermarkt erinnert.

Diese kleine, so zerbrechlich wirkende Frau. Und dann dieses Temperament!

Lisa musste lachen, als sie an den funkelnden Blick dachte, mit dem die Vogelfrau sich verabschiedet hatte. Und auch schon ihre Wutanfälle davor. Anscheinend geriet sie schnell in Wut. Sobald sie etwas störte oder nicht nach ihrem Willen lief, explodierte sie.

Da habe ich ja noch Glück gehabt, dass sie mir nicht gleich alle Federn ausgerissen hat, als ich ihr mit der Dose helfen wollte, dachte Lisa amüsiert.

Lisa explodierte nie. Sie blieb immer sehr ruhig, selbst wenn etwas nicht so lief, wie sie es wollte. Sie fand, dass sich irgendeine Aufregung über vergängliche Dinge nicht lohnte. Und was war schon nicht vergänglich? Das ganze Leben war vergänglich. Also lohnte es sich nie, sich aufzuregen.

Für diese Frau, die dann mit ihrem Vogel im Wagen abgerauscht war wie bei einem filmreifen Abgang, sah das ganz bestimmt anders aus.

Warum regte sie sich so auf? Warum nahm sie die Dinge nicht einfach so, wie sie waren, wie Lisa es tat? Was hatte sie so wütend gemacht?

Hoffentlich tat sie dem Vogel nichts. Lisas Stirn runzelte sich leicht besorgt. Obwohl es sie nichts anging, machte sie sich doch Sorgen um das Tier.

Angela Danz: Rosen für Nathalie

1 »Nein, es tut mir leid. Das können Sie nicht als Werbungskosten absetzen.« Nathalie seufzte...
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14 »Es war ein seltsames Gefühl, das Lisa befiel, als sie dieses Büro betrat, dann weiterging zur...
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