Das brachte manchmal auch unerfreuliche Reaktionen mit sich, aber die ignorierte sie. Es betraf sie höchstens in der Sekunde, in der es geschah. Danach war es schnell wieder aus ihrem Gedächtnis entschwunden.

Sie trug niemandem etwas nach. Aber sie suchte den Kontakt mit Leuten, die ihr etwas nachtrugen, auch nicht.

Aus einem ihr unerfindlichen Grund gab es Leute, die neidisch auf sie und ihr Leben waren. Sie selbst war niemals neidisch und konnte das deshalb nicht verstehen.

Die Auswirkungen verstand sie jedoch sehr gut. Diese Leute taten das Gegenteil von dem, worum Lisa sich bemühte. Sie versuchten, andere Leute zu verletzen, sie niederzumachen, sie kleinzuhalten, ihnen ihren Willen aufzuzwingen. Diese Leute waren sehr unangenehme Zeitgenossen, mit denen sie nichts zu tun haben wollte.

Sie betrat die Garderobe, die sie sich mit mehreren anderen teilte. Einzelgarderoben gab es im Wildest Dreams nicht, und alles war ziemlich eng. Ein paar Spiegel nebeneinander, vor jedem Spiegel eine Batterie von Schminkutensilien, eher funktional als künstlerisch. Das Künstlerische begann zwar beim Schminken, aber richtig kreativ wurden die Burlesquetänzerinnen erst auf der Bühne.

Da Lisa die einzige biologische Frau war, hätte sie eigentlich Anspruch auf eine Einzelgarderobe gehabt, jedenfalls in einem konventionellen Umfeld, aber im Grunde spielte das hier keine Rolle. Sie zogen sich alle voreinander um, und niemand fand etwas dabei.

Am Anfang hatten Lisa dabei einige neidische Blicke wegen ihrer von Natur aus vorhandenen Brüste gestreift, aber mittlerweile hatten sich alle so daran gewöhnt, dass nicht einmal das mehr stattfand. Sie waren alle Kolleginnen, auch wenn alle anderen bis auf Lisa als einzige Ausnahme männlichen Geschlechts waren.

Da Lisa zu spät kam, saßen alle anderen – bis auf Dominik, der sich noch mehr verspätete als Lisa – schon vor den Spiegeln und malten Augenbrauen, tuschten Wimpern, trugen Lidschatten auf und zogen Lippen nach.

»Na Schätzchen, du bist aber spät dran heute«, schmunzelte ihre Sitznachbarin Divina, die im richtigen Leben auf den fantasielosen Namen Horst getauft worden war. »Ist man gar nicht gewöhnt von dir.«

»Abwechslung ist das halbe Leben.« Freundlich lächelte Lisa sie an. »Zu viel Routine macht so vorhersehbar.«

»Da hast du recht.« Divina seufzte und betrachtete die Menge der Wimperntusche, die sie aufgetragen hatte, kritisch im Spiegel, indem sie sich ganz nah zwischen die vielen Lichtquellen, die um die Fläche herum angebracht waren, vorbeugte. »Als Frau darf man nie vorhersehbar sein. Dann wird man schnell langweilig.«

»Du doch nicht.« Lisa lachte. »Du könntest nie langweilig sein.«

»Vielleicht ist auch das Leben langweilig«, gab Divina gleichgültig zurück. Sie presste ihre Lippen zusammen und ließ sie sich wieder öffnen, um den Lippenstift gleichmäßig zu verteilen. »Ganz sicher sogar. Ich lebe sowieso nur auf der Bühne.«

Während Lisa sich zu schminken begann, dachte sie darüber nach, ob es für sie nicht genauso war. Das tat sie normalerweise nicht, aber heute schien jeder ein bisschen nachdenklich drauf zu sein. Das färbte anscheinend auf sie ab.

Das Leben auf der Bühne war ein völlig anderes als das, was den Rest des Tages ausmachte. Es unterschied sich so sehr, dass sie manchmal das Gefühl hatte, in zwei verschiedenen Welten zu leben.

Welten, die sich kaum berührten. Wenn sie zu arbeiten anfing, gingen andere Leute bereits schlafen. Leute, die am nächsten Tag am frühen Morgen wieder arbeiten mussten, wenn Lisa noch schlief. Die Welt des Tages und die Welt der Nacht.

Ihre Welt war weit mehr die der Nacht. Für sie war der Tag nur die Zeit, die man überbrücken musste, um in die Nacht zu kommen. Wenn das Leben anfing.

Die Welt des Tages war gewöhnlich, banal, nichtssagend. Dazu gehörten beispielsweise solche profanen Dinge wie Einkaufen. Was sie wegen Dominik jetzt verpasst hatte. Und nach der Vorstellung war es zu spät. Dann hatte selbst der Penny-Markt auf der Reeperbahn schon geschlossen.

Sie hatte aber auch keine Lust, sich morgen Nachmittag schon vor dem Frühstück anzuziehen und zum Einkaufen hinauszugehen. Was sie jedoch tun musste, wenn sie frühstücken wollte, da sie nichts mehr im Haus hatte.

Allerdings hatte sie Pausen zwischen ihren Auftritten. Und da war der Penny-Markt noch geöffnet. Die Pausen waren lang genug, um einkaufen zu gehen. Mehrere Auftritte ihrer Kolleginnen, bis sie wieder dran war. Und der Penny-Markt lag gleich um die Ecke.

Dennoch tat sie das nicht gern, denn für diese kurze Zeit konnte sie sich nicht abschminken oder umziehen. Sie musste so gehen, wie sie war. Wie ein Paradiesvogel.

Das fiel auf der Reeperbahn zwar weniger auf als an einigen anderen Orten der Welt, aber es fiel dennoch auf. Und manchmal wurde man dann von Betrunkenen oder irgendwelchen Männern, die meinten, sie könnten sich ein schnelles Vergnügen verschaffen, angepöbelt.

Na ja, das konnte sie entscheiden, wenn es so weit war.

Sie beugte sich zum Spiegel vor und tuschte ihre Wimpern.

Die profane Tätigkeit des Einkaufens hatte sie – wie die ganze schnöde Welt da draußen – schon wieder vergessen.

7

»Nathalie wusste nicht, wie das gekommen war, aber auf einmal fühlte sie sich für diesen Vogel verantwortlich. Der Arzt hatte seinen Flügel geschient, und das arme Tier, das nicht wusste, wie ihm geschah, fühlte sich todunglücklich. Es saß mit hängendem Flügel in seinem Käfig, hatte anfangs noch versucht, daraus zu entkommen, dann aber vor lauter Erschöpfung alle Versuche aufgegeben.

Der Käfig war nur eine Leihgabe, weil die Mitarbeiterin des Arztes Mitleid mit ihr gehabt hatte. Auch hatte sie Nathalie ein wenig Futter mitgegeben und sie angewiesen, das zweite Schälchen immer mit Wasser gefüllt zu halten. Bis jetzt hatte der Vogel sich allerdings geweigert, zu fressen oder zu trinken.

Mittlerweile war es so spät geworden, dass Nathalie jedoch Hunger bekommen hatte. Normalerweise wäre sie in ein Restaurant gegangen, aber mit dem Vogel im Wagen wusste sie auf einmal nicht mehr, was sie tun sollte. Sie wollte ihn nicht allein im Wagen lassen, und in ein Restaurant mitnehmen konnte sie ihn auch nicht.

Sie hätte nach Hause fahren können, aber dort in der Vorstadt, in dem Viertel, in dem sie wohnte, gab es weder Restaurants noch Einkaufsmöglichkeiten. Vor allem nicht zu dieser späten Stunde.

»Meinst du, ich kann dich ein paar Minuten alleinlassen?«, sprach sie den teilnahmslosen Vogel in seinem Käfig an. »Es dauert nicht so lange wie ein Restaurantbesuch, aber ein paar Minuten brauche ich schon.«

Er wirkte, als hätte er sie nicht gehört. Aber selbst wenn er sie gehört hatte, hätte er sie wohl kaum verstanden. Sie schalt sich selbst eine Närrin, dass sie ihn überhaupt angesprochen hatte. Was war denn nur auf einmal mit ihr los?

Sie war nicht sehr gut in unbekannten Situationen, das wusste sie durchaus, und das musste es sein. Sie kannte Steuerunterlagen und Steuergesetze, jeden Schlupfwinkel in dem trockenen Papier, aber mit lebenden Dingen, lebenden Menschen vor allem, hatte sie so ihre Probleme. Die waren ihr einfach zu unberechenbar. Für Nathalie musste alles immer geordnet und gleichförmig sein, damit sie glücklich war.

Angela Danz: Rosen für Nathalie

1 »Nein, es tut mir leid. Das können Sie nicht als Werbungskosten absetzen.« Nathalie seufzte...
Weil sie selbst keinen Mann fand, jedenfalls schien das in ihrem Alter und mit ihrer Ausstrahlung...
Zwar hatte Nathalie keine Ahnung von Tieren, aber das legte wohl die Vermutung nahe, dass er sich...
Geld spielte in ihrem Alltag keine große Rolle. Sie hatte gerade mal genug zum Leben, aber das...
»Dem können wohl selbst wir uns nicht entziehen.« Unbekümmert lachte Lisa ihn an. »Ich denke gar...
Das brachte manchmal auch unerfreuliche Reaktionen mit sich, aber die ignorierte sie. Es betraf...
Glücklich war sowieso der falsche Ausdruck. Wer konnte schon sagen, was Glück war, wie sich das...
»Muss das sein?« Immer noch war Nathalie erbost und musterte dieses komische Zwitterwesen von oben...
11 »Oh, du hast einen Vogel.« Nathalie dachte, sie hätte sich verhört und drehte sich erbost um....
Aber nein, diese Frau hatte nicht den Eindruck gemacht, als wäre sie brutal. Und warum hatte sie...
14 »Es war ein seltsames Gefühl, das Lisa befiel, als sie dieses Büro betrat, dann weiterging zur...
Mittlerweile hatte sie einiges daran machen lassen, sodass es repräsentativ genug war für ihren...