Über das Lesen
Was lesen wir gern? Warum lesen wir es gern?

Wie Honig so süß war bisher der einzige historische Roman, den ich geschrieben habe. Er spielt in den 1860er Jahren in Amerika, kurz vor und während des Bürgerkrieges, der beispielsweise in dem berühmtesten Liebesroman aller Zeiten, »Vom Winde verweht«, die Kulisse bildet.

Ehrlich gesagt hatten wir hier bei el!es immer den Eindruck, dass historische Romane bei Lesben nicht sehr gefragt sind. Es gibt ja auch kaum welche, in denen Lesben eine Rolle spielen. In historischen Romanen spielt normalerweise vor allen Dingen die Zeit eine Rolle, in der sie spielen, die Epoche. Was in Deutschland meistens eher das Mittelalter ist, wenn man sich die erfolgreichsten historischen Romane so anschaut.

Einer der bekanntesten historischen Romane ist beispielsweise Der Name der Rose, der im tiefsten, dunkelsten Mittelalter spielt und auch als Film ein großer Erfolg war. Dann gibt es auch noch die Bücher von Noah Gordon oder Ken Follett, die zu Weltbestsellern wurden. Oder eben die historischen „Frauenromane“, die insbesondere bei Leserinnen beliebt sind (ich weiß nicht, ob überhaupt ein Mann je so etwas liest), weil die Hauptfigur eine Frau ist, die – oft historisch wenig glaubhaft – heldenhaft um ihr Überleben kämpfen muss.

Was mich an diesen Romanen immer ärgert, ist, dass die Autorinnen – meistens sind es ja Autorinnen, nicht Autoren – die Frauen des Mittelalters so darstellen, als wären es Frauen von heute. Sie sind oft gebildet, können zumindest lesen und schreiben (was im Mittelalter kaum jemand konnte), denken wie heute, reden wie heute, handeln wie heute. Und darauf beruht dann die Geschichte. Das ist aber natürlich nur wieder meine persönliche Vorliebe für historische Korrektheit, die mir da einen Streich spielt. 😉

Eigentlich ist es ja schön, dass es heutzutage viele Frauen – wie beispielsweise auch die Autorinnen dieser Romane – gibt, die sich anscheinend gar nicht mehr vorstellen können, dass eine Frau im Mittelalter oft weniger wert war als ein Stück Vieh. Dass sie vielleicht noch nicht einmal die Zwanzigerjahre ihres Lebens erreichte oder überlebte, weil sie schon vorher an den Geburten starb, die sich eine an die andere reihten. Unter sanitären Umständen, die eher an einen Schweinestall erinnerten oder sogar einer waren.

Eine lesbische Frau – denn auch die muss es damals gegeben haben, rein theoretisch – hatte überhaupt keine Vorstellung davon, dass sie lesbisch sein könnte, weil niemand auch nur auf den Gedanken gekommen wäre. Eine Frau bekam ihr erstes Kind, sobald sie ihre Periode bekam und damit fruchtbar wurde. Ob sie statt eines Mannes lieber eine Frau an ihrer Seite gehabt hätte, das stand überhaupt nicht zur Debatte. Und eventuell starb sie schon bei der ersten Geburt oder dann bei der zweiten, dritten, vierten, mit achtzehn, neunzehn, zwanzig.

Allein schon deshalb ist es fast unmöglich, einen glaubhaften lesbischen historischen Roman zu schreiben, der im Mittelalter spielt. Man könnte sich natürlich auch eine spätere Zeit aussuchen, denn nach dem Mittelalter kam die sogenannte „Neuzeit“, die die Zeit ab dem 16. Jahrhundert bis zum 19. Jahrhundert umfasst, das wäre also auch die Zeit, in der Wie Honig so süß spielt. Danach, ab dem 20. Jahrhundert, bezeichnet man die Epoche als „Neueste Geschichte“, das ist die Zeit, die viele von uns noch erlebt haben. Es gibt immer wieder Diskussionen darüber, ob man einen Roman, der in der Zeit des ersten oder zweiten Weltkriegs spielt, nicht auch schon als historischen Roman bezeichnen könnte, denn gerade im 20. Jahrhundert hat sich das Leben doch sehr verändert, aber eigentlich endet die Bezeichnung Historischer Roman mit dem Jahr 1899.

Ob jedoch Mittelalter oder Neuzeit, die Lebensbedingungen für Frauen waren niemals gut, denn eine Frau wurde vor allem als Gebärmaschine betrachtet und als Arbeitstier. Ihr Leben war geprägt von Schwangerschaften, Geburten, Krankheiten, Auszehrung und Tod. Viel Zeit, sich Gedanken über die Welt oder gar die Liebe zu machen, hatte sie nicht.

Das galt jedoch nicht nur für die Frauen, sondern für alle Menschen damals. Das Leben wurde nicht von den eigenen Bedürfnissen bestimmt, nicht von dem eigenen Ich. Das gab es eigentlich überhaupt nicht. Erst im Jahr 1641 prägte der französische Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler René Descartes den Spruch Cogito, ergo sum, auf Deutsch: Ich denke, also bin ich. Das war quasi die „Entdeckung des Ichs“, das es vorher nicht gegeben hatte.

Und von da an begann die Entwicklung, die uns zu unserer heutigen ich-bezogenen Zeit geführt hat. Wenn Descartes das damals gewusst hätte . . . 😉 Damals hätte sich sicherlich niemand vorstellen können, dass es einmal so etwas wie Selfies geben könnte. 🤳 Dass es einmal eine Zeit geben könnte, in der das ICH des einzelnen alles überstrahlt, in der jeder sich für eine special snow flake hält. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wäre das für viele undenkbar gewesen.

Deshalb sind die meisten historischen Romane eigentlich keine wirkliche Abbildung der Lebensrealität der damaligen Bevölkerung. Würde man die tatsächlich abbilden, wäre das sehr trist und demotivierend, auf keinen Fall unterhaltsam, wie ein Roman nun einmal sein sollte. Die Ich-Bezogenheit, die sich in historischen Romanen widerspiegelt, weil die Autorinnen von der heutigen Welt ausgehen, weil sie sowieso nur schreiben können, weil sie eine Vorstellung von ihrem eigenen ICH haben, ist schon einmal eine grundsätzlich falsche Voraussetzung für jede Geschichte, die nicht im Heute spielt.

Dennoch sind historische Romane sehr beliebt. Auch wenn sie nicht die wirklichen historischen Lebensverhältnisse der Figuren abbilden, sind sie doch so eine Art „Lebendige Geschichte“. Eine Geschichte, die von einer Figur wie Robin Hood geprägt ist, hätte so nie stattfinden können, jedenfalls nicht so, wie sie uns heute durch Filme vermittelt wird. Aber sie präsentiert eine Idee, die für viele anscheinend sehr verführerisch ist. Obwohl niemand von uns auch nur einen Tag im Mittelalter überlebt hätte.

Da es jedoch historisch keine „lesbische Geschichte“ gibt, hatte ich immer das Gefühl, viele Lesben interessieren sich weit weniger für historische Romane als Heterofrauen, wo es ja eine große Gruppe an Leserinnen gibt, die für historische (Liebes-)Romane schwärmen. Immer, wenn wir einmal versucht haben, eine historische Geschichte herauszubringen, war das ein ziemliches Fiasko. Deshalb haben wir es dann gelassen.

Nun kamen aber damals zu Wie Honig so süß so nette Rezensionen, dass ich mich gefragt habe, ob das richtig war. Hätten wir vielleicht doch mehr historische Romane herausbringen sollen?

Abgesehen davon, dass das sehr nett ist, was die Leserinnen hier sagen und dass ich mich sehr für diese positiven Rezensionen bedanke 🤗, vermitteln mir diese Rückmeldungen auch den Eindruck, dass es vielleicht doch ein paar lesbische Leserinnen gibt, die sich für historische Romane interessieren. Vielleicht sollte ich einmal eine Fortsetzung von Wie Honig so süß schreiben. 😉 Oder vielleicht einen anderen Roman in der Art? Was meint Ihr? Sagt mir doch bitte auf Instragram oder Facebook Eure Meinung dazu.

Soll es mehr historische Liebesromane bei el!es geben?