Über das Schreiben
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Der eine oder die andere hat sich das vielleicht schon einmal gefragt. Gerade im Zusammenhang mit Selfpublishing ist immer wieder von Lektorat die Rede – beziehungsweise vom schmerzhaft zu fühlenden Fehlen eines solchen. Was man meistens an Rechtschreib- und Grammatikfehlern festmacht, von denen viele Bücher, die kein Lektorat durchlaufen haben, übersät sind.

Das jedoch wäre eher ein fehlendes Korrektorat. Ein Korrektorat korrigiert – wie schon das Wort sagt – Fehler. Tippfehler, Rechtschreibfehler, Kommafehler (das sind auch Rechtschreibfehler, aber die meisten wissen das wahrscheinlich nicht), auch weitere Interpunktionsfehler wie z.B. die oftmals falsche Interpunktion bei Dialogen (erklärt einem ja auch keiner in der Schule, wie das richtig geht) und weitere Fehler, die nichts mit dem Inhalt des Buches zu tun haben, nur mit der richtigen Form, der richtigen Schreibweise oder auch der korrekten Zeitenfolge innerhalb eines Satzes.

Ein Lektorat hingegen geht weiter. Da geht es sozusagen ans Eingemachte. Dort wird der Inhalt angeschaut, die Logik, die Charaktergestaltung, der Spannungsbogen, der Stil und vieles andere mehr.

Annika Bühnemann macht des Öfteren Beispiellektorate, und da habe ich mal eins ausgesucht, weil sie das sehr schön vorführt:


 

Jedes Lektorat ist natürlich anders, aber ich finde, hier sieht man sehr schön, wie sich der Text durch das Lektorat verändert. Wie er durch dieses kurze Lektorat (nur des Anfangs) verbessert wird. Und das Lektorat hier geht noch nicht wirklich in die Tiefe. Annika Bühnemann macht das ja nur als Beispiel und auch nur die ersten Sätze beziehungsweise Absätze. Soweit sie eben in der kurzen Zeit kommt.

Man sieht hier aber sehr deutlich, wie zeitaufwändig ein Lektorat ist. Wenn man sich nun vorstellt, dass das quasi nur ein Husch-Husch-Lektorat ist, zu Vorführzwecken, dass hier gerade nur einmal die ersten Ideen der Lektorin schnell und ohne viel Nachdenken umgesetzt werden, kann man sich vorstellen, was es bedeutet, wenn das jetzt ein wirkliches Lektorat wäre.

Jede Lektorin macht mindestens drei Durchläufe bei einem Lektorat. Zuerst einmal liest sie das Ganze, macht Anmerkungen, versucht sich einen Überblick über die Geschichte, den Ablauf, die Charaktere, deren Beziehungen untereinander, deren Hintergrund usw. zu verschaffen, dann geht sie beim zweiten Mal so ähnlich wie Annika Bühnemann hier durch den Text, bringt Kommentare für die Autorin an, ändert Formulierungen, stellt eventuell Szenen und Kapitel um, streicht, ergänzt vielleicht hier und da etwas. Normalerweise sollte solche Ergänzungen jedoch die Autorin aufgrund der Hinweise der Lektorin vornehmen.

Dann kommen die Ergänzungen und Bearbeitungen von der Autorin zurück, die die Lektorin dann überprüfen und einarbeiten muss. Sind alle Überarbeitungen von der Autorin korrekt und gut umgesetzt, geht es für die Lektorin in Phase 3: das Endlektorat. Sind die Überarbeitungen der Autorin noch nicht ausreichend oder hat sie vielleicht durch die Anregungen der Lektorin neue Ideen gehabt, wozu sie etwas Neues geschrieben hat, geht es im Prinzip wieder zurück in Phase 2. So lange, bis Autorin und Lektorin mit dem Ergebnis zufrieden sind.

In Phase 3 wird der Geschichte der Endschliff gegeben. Das heißt, die Lektorin liest das ganze Buch noch einmal sozusagen mit der Lupe, überprüft alles bis ins letzte Detail. Ob jetzt alles korrekt ist, ob die Logik nicht durch Änderungen wie zum Beispiel Verschiebungen von Szenen oder Kapiteln eventuell plötzlich nicht mehr stimmt, ob die Charaktere sich verändert haben und nicht mehr richtig passen, ob der Spannungsbogen sich wirklich von Anfang bis Ende ohne Unterbrechung spannt und noch eine ganze Menge mehr.

Wenn Phase 3 abgeschlossen ist, geht das Buch noch ins End-Korrektorat, denn manchmal verliert man beim Lektorat und bei vielen Änderungen den Überblick über die „einfachen“ Fehler wie Tipp- oder Kommafehler oder auch mal eine Formulierung. Deshalb sollte das zum Schluss noch mal jemand mit frischen Augen anschauen, der den Text bisher noch nicht gelesen hat.

Nach dem letzten Korrektorat, das auch mehrere Durchläufe erfordert, mindestens zwei, eventuell auch drei, wird das Buch dann gesetzt und geht in Druck. Und dann sollten hoffentlich weder inhaltliche noch Rechtschreib-, Grammatik- oder Tippfehler enthalten sein.

Trotz aller Sorgfalt kann man immer mal einen Fehler übersehen, aber wenigstens sollte nicht das ganze Buch damit gespickt sein, wie das im Selfpublishing manchmal leider so ist, weil es eben weder ein Lektorat noch ein Korrektorat gibt.

Annika Bühnemann ist wie gesagt auch Selfpublisherin, und sie beherrscht die deutsche Sprache offensichtlich, weiß genau, was sie tut, deshalb kann man sagen, dass nicht alle Selfpublisher so sind, dass sie sich nicht um dieses Thema kümmern. Aber leider sehr, sehr viele. Annika Bühnemann ist da eher eine Ausnahme.

Viele halten ein Lektorat wohl aber auch für überflüssig, weil sie eben gar nicht wissen, was das ist. Meistens wird Lektorat mit Korrektorat verwechselt oder gleichgesetzt, also viele Leute meinen, bei einem Lektorat werden nur Rechtschreibfehler und so etwas beseitigt. Wie oben gezeigt und beschrieben, ist ein Lektorat aber weit mehr. Es kann aus einem schlechten Buch sogar ein gutes Buch machen.

Warum werden die Bedeutung und auch der Aufwand eines Lektorats so oft unterschätzt? Logischerweise haben die meisten Leute damit gar nichts zu tun, denn die meisten Leute schreiben keine Bücher (obwohl man heute teilweise den Eindruck hat, fast jeder schreibt ein Buch, aber der Eindruck ist falsch). Und dann ist es eben auch die Selbsteinschätzung der meisten Leute, die tatsächlich schreiben, dass sie die deutsche Sprache (oder auch die englische oder was immer die Sprache ist, in der sie schreiben) ausreichend beherrschen. Was bei den meisten leider nicht der Fall ist.

Kann sich irgendjemand, der das noch nie versucht hat, vorstellen, wie viele Wochen so ein Lektorat dauert? Wenn man einmal schaut, wie wenig Annika Bühnemann bei diesem sehr oberflächlichen Lektorat, das nur eine Probe sein soll und nicht in die Tiefe geht, in der Zeit des Videos schafft?

Und mit Wochen meine ich nicht ein, zwei Stunden am Tag für ein oder zwei Wochen, ich meine viele (6-8) Stunden jeden Tag, mehrere Wochen lang. Manchmal dauert ein Lektorat sogar Monate. Es kommt ja auch auf die Länge des Buches an. Und auf das, was die Autorin oder der Autor kann.

Wie man an dem Beispiellektorat hier oben in dem Video sieht, kann dieser Autor so gut wie gar nichts. Da würde ein Lektorat bedeuten, dass man praktisch alles umschreiben muss und dass es sehr, sehr lange dauert, bis aus diesem Wust ein Buch werden kann.

Erst nach all diesem Aufwand also ist ein Buch druckreif oder sagen wir mal veröffentlichungsreif, weil heute viele Bücher ja gar nicht mehr gedruckt werden.

Ein Lektorat erfordert ungeheuer viel Konzentration, viel Wissen über die Sprache, aber auch Sprachgefühl. Natürlich muss man die Rechtschreibung und Grammatik aus dem FF beherrschen (man stelle sich mal vor, man müsste praktisch jedes Wort im Duden nachgucken, dann würde ein Lektorat Jahre dauern 😉), auch Stilistik, Redewendungen (es gibt fast unendlich viele davon), die Herkunft der Wörter (nennt sich Etymologie), damit die Lektorin die Verwendung eines Wortes oder eines Ausdrucks im Kontext des Buches richtig einordnen kann, eventuell auch beurteilen kann, ob die Autorin das Wort vielleicht falsch verwendet, und so weiter, und so fort.

Wenn man sich also klarmacht, was ein Lektorat alles beinhaltet und wie umfangreich es ist, was man alles wissen und beachten muss, sollten Lektorinnen eigentlich zu den bestbezahlten Berufsgruppen gehören. Was leider nicht so ist. Viele arbeiten für einen Hungerlohn, wenn man das, was man für ein Lektorat bezahlt bekommt, einmal auf die Arbeitsstunden umrechnet. Und da die meisten Lektorinnen heutzutage selbständig sind, gibt es oft auch weder Feierabend noch Wochenende noch viel Urlaub. Wenn man krank ist, arbeitet man auch, weil man es sich nicht leisten kann, seine Termine nicht einzuhalten. Ein harter Job auf alle Fälle. Und ein undankbarer Job, weil kaum jemand weiß, wie viel Arbeit das ist.

Deshalb finde ich es gut, wenn in einem solchen Beispiellektorat wie hier in dem Video wenigstens einmal ansatzweise gezeigt wird, wie aufwändig es ist, ein Buch zu lektorieren und daraus ein gutes Buch zu machen. Das schüttelt man nicht mal einfach so aus dem Ärmel oder macht das in ein, zwei Stunden so nebenbei, wie manche anscheinend denken. 

Es ist darum sicherlich auch kein Wunder, dass viele Selfpublisher sich das sparen. Ich persönlich finde das natürlich eine Katastrophe, denn ich liebe die deutsche Sprache, und diese permanente Vergewaltigung der Sprache, die da in vielen Büchern heute vor sich geht, tut mir in der Seele weh.

Aber ich weiß auch, dass ich damit quasi einer aussterbenden Gattung angehöre. 😉 Sprache scheint heute nicht mehr so wichtig zu sein wie früher. Heute ist es wichtiger, dass man „Likes“ kriegt oder „geteilt“ wird, dass man möglichst viele „Follower“ oder „Subscriber“ hat, denen man sich mit einem „Selfie“ vor seinen (Selfpublishing-)Büchern präsentieren kann. Noch nicht so lange her, dass niemand verstanden hätte, was das überhaupt heißt. 😎

Aber tempora mutantur – und das muss man akzeptieren.

Wenn sich die Zeiten nicht ändern würden, und wir auch nicht mit ihnen, wäre es ja auch schlimm. 🧐