»Das könnte doch dieser Peter sein«, vermutete Simi. »Kommt nach Jahren mal wieder vorbei.«
»Nö. Er isses nich’.« Entschieden schüttelte Nele den Kopf. »So viel hab ich gesehen. Den erkenn ich selbst von Weitem.«
»Dann hast du doch gesehen, wer es ist«, meinte Simi und wollte hineingehen.
Etwas unzufrieden schürzte Nele die Lippen. »Nicht genau«, sagte sie. »Aber ich glaube . . .«, sie beugte sich verschwörerisch vor, »es ist eine Frau.«
Uninteressiert zuckte Simi die Achseln. »Dann ist es vielleicht seine Frau. Er hat sie jetzt auch für den Campingplatz begeistert.«
Neles Lippen spitzten sich zu kleinen Dächern. »Mir hat er immer erzählt, keine zehn Pferde würden sie herbringen. Deshalb war er ja hier. Um sich mal Ruhe von ihr zu gönnen. Weil ein Campingplatz das Letzte ist, wo sie hingehen würde. Muss eine ziemlich verwöhnte Zicke sein.« Sie legte den Kopf schief. »Es ist ein Lexus«, ergänzte sie, als würde sie ein Geheimnis verraten.
Verwirrt runzelte Simi die Stirn. »Was ist ein Lexus?«
»Ihr Auto«, sagte Nele. »Ein Lexus. So ein . . .«, sie schnippte mit den Fingern, weil sie nach einem Wort suchte, »SUV nennt man das glaube ich. Ein Schiff. Und teuer. Sehr teuer. Nur reiche Leute können sich so was leisten.«
Simis Lippen zuckten. »Ja und? Was geht uns das an? Sie kann es sich offenbar leisten, so einen Wagen zu fahren. Warum sollte sie nicht?«
»Also hier, auf dem Campingplatz –«, setzte Nele an.
Aber Simi unterbrach sie. »Hier auf dem Campingplatz kommen sie auch mit solchen Schiffen an. Das ist doch nichts Neues.«
»Aber es ist ein Lexus«, murrte Nele verstimmt. »Und er hat keine Anhängerkupplung.«
»Um das zu sehen, musst du ja nah dran gewesen sein«, meinte Simi zwar durchaus etwas amüsiert, aber mittlerweile doch auch ziemlich genervt.
Sie verlor nicht leicht die Geduld, aber sie sah, wie der Kater um die Sträucher herumstrich. Er hatte bestimmt Hunger. Sie wollte endlich reingehen und ihn fressen lassen.
»Ich habe ein Fernglas«, verkündete Nele beleidigt.
»Ich weiß«, nickte Simi. »Aber sagtest du nicht, das wäre, um Vögel zu beobachten?«
»Ja, natürlich.« Nele zog sich etwas verschnupft zurück. »Deshalb habe ich ja gesehen, wie sie ankam. Weil ich Vögel beobachtet habe.«
»Aha.« Simi musste nun doch wieder schmunzeln. Nele blieb eben Nele. »Dann geh doch hin und sag ihr Guten Tag. Sie wird sich bestimmt freuen, wenn sie jemand begrüßt.«
Das schien Nele aber nicht zu gefallen. Sie wollte lieber klatschen und tratschen. Das machte mehr Spaß als die vielleicht ernüchternde Wahrheit zu erfahren. Die unter Umständen tatsächlich darin bestand, dass Peters Frau sich endlich entschlossen hatte, sich ihm anzuschließen, und nur hergekommen war, um aufzuräumen.
»Igitt, da schleicht wieder dieser Kater rum!«, schrie Nele plötzlich und wollte schon auf ihn zulaufen, um ihn zu vertreiben.
Simi fiel ihr in den Arm. »Lass ihn«, hielt sie sie auf. »Ich habe ihm etwas zu fressen hingestellt. Er frisst aber nicht, solange hier jemand ist.«
»Warum fütterst du dieses Monster auch noch?«, fragte Nele indigniert. »Er ist so was von hässlich. Wenn er nichts zu fressen kriegt, verhungert er vielleicht, und wir sind ihn los.«
»Genau das möchte ich verhindern«, sagte Simi, jetzt mit festerer Stimme.
Nele war manchmal schon eine Plage. Aber auf der anderen Seite auch äußerst hilfsbereit. Wenn es nicht gerade um den Kater ging.
»Ich gehe jetzt in den Wagen«, fuhr Simi fort. »Und entweder du gehst auch oder du kommst mit rein. Damit er seine Ruhe hat.«
»Ich geh ja schon.« Besänftigend hob Nele die Hände. »Aber ich versteh dich einfach nicht. Ich bin ja wirklich gutmütig, aber du . . . du bist irgendwie . . . zu gutmütig.« Sie warf einen Blick zu dem Kater hin, der immer noch mit seinem einen Auge unter den Sträuchern hervorschielte, seinen Blick starr auf die Schüsseln geheftet. »Und er ist so hässlich!«, schloss sie ihre Ausführungen ab, als wäre das ein Beweis für irgendwas.
Simi wartete, bis sie sich tatsächlich verzogen hatte, dann nahm sie die kleine Treppe in ihren Wagen hoch. »Du kannst kommen«, sagte sie lächelnd zu dem Kater. »Ich passe auf, dass dich niemand stört.«
Trotzdem wartete er, bis sie tatsächlich im Wagen verschwunden war, bevor er sich unter den Sträuchern hervortraute.
»Armer Junge«, flüsterte sie, während sie ihm aus dem Fenster heraus beim Fressen zusah. »Was haben sie dir nur angetan?«
4
Das kann ja wohl nicht wahr sein! dachte Madeleine, schon als sie auf den Campingplatz fuhr. Hier kann man doch nicht leben!
Aber es gab anscheinend eine ganze Menge Leute, die anderer Meinung waren. Kleinere und größere Wohnwagen standen hier, auch Wohnmobile, einige mit Vorzelten, manche sogar mit einem Vorgarten. Als ob es eine richtige Siedlung wäre, nicht nur ein Ziel für einen Wochenendausflug.
Auf jeden Fall war sie froh, dass sie einen SUV hatte, keinen normalen Pkw, als sie zu dem Platz, an dem Peters Wohnwagen stand, hinunterfuhr. Sie kam sich vor, als kämpfte sie sich durch einen Dschungel.
Peter hatte nicht genau gesagt, wann er das letzte Mal hier gewesen war, aber vor allen Dingen hatte er Madeleine auch nicht gesagt, dass er es nicht für nötig befunden hatte, jemanden damit zu beauftragen, Unkraut und wuchernde Sträucher zu entfernen, um wenigstens die Zufahrt freizuhalten.
Also pflügte sich ihr Lexus mit aller Gewalt durch das zugewachsene Grundstück, als wäre er ein Eisbrecher. Vermutlich hätte sie weiter oben aussteigen sollen, aber dann hätte sie gar nicht mehr gewusst, wie sie zu dem Wohnwagen, der mehr einem Dornröschenschloss glich, hätte hinkommen sollen.
Sie fuhr so nah wie möglich an das, was sie noch von dem Wohnwagen sehen konnte, heran, drückte auf den Stoppknopf für den Motor und blieb erst einmal entgeistert sitzen. Was hatte sie sich eigentlich gedacht, was sie hier erwarten würde?
Jedenfalls nicht das hier. Sie war noch nie auf einem Campingplatz gewesen, hatte noch nie auf einem Urlaub gemacht. Wie kam sie auch dazu? Wozu gab es Hotels?
Und wenn man aufs Land wollte, konnte man ein Landhaus mieten oder ein Chalet. Im Winter. Zum Skifahren.
Es gab keinen Grund, sich auf einem Platz wie diesem hier aufzuhalten. Keinen einzigen.
Oder doch. Es gab einen. Tatsächlich einen einzigen. Wenn man kein Geld hatte. In der Situation war sie bisher noch nie gewesen, deshalb waren ihr Campingplätze immer irgendwie absurd erschienen.
Wenn sie überhaupt darüber nachgedacht hatte. Warum sollte sie? Offensichtlich war das eine ganz andere Welt als die, in der sie lebte. Für ganz andere Leute als sie.
Aber nun war sie hier und musste sich auch zu diesen Leuten zählen. Selbst wenn es nur vorübergehend war. Nur vorübergehend.
Endlich konnte sie sich dazu überwinden auszusteigen. Sie war bei Peter im Büro vorbeigefahren und hatte sich den Schlüssel abgeholt. Beziehungsweise seine Sekretärin hatte ihn ihr überreicht. Peter war wie immer beschäftigt gewesen, in einer Besprechung.
Deshalb hatte er ihr auch keine weiteren Instruktionen mitgegeben. Vielleicht dachte er, sie wäre schon einmal auf einem Campingplatz gewesen und kannte sich aus. Oder es war ihm einfach egal.
Spätestens als Madeleine es geschafft hatte, sich bis zur Tür durchzukämpfen, den Wohnwagen aufzuschließen und die kleine Treppe, die hineinführte, zu überwinden, dachte sie, dass sie ein paar Instruktionen gut hätte gebrauchen können. Das Ganze hier war eine . . . Katastrophe.
Erneut blieb sie für ein paar Minuten regungslos stehen, wie sie zuvor ein paar Minuten lang in ihrem Auto gesessen hatte. Nicht nur das Grundstück um den Wohnwagen selbst war verwildert, das Innere des Wohnwagens auch. Vermutlich ein Ausdruck der zügellosen Freiheit, die Peter hier genossen hatte.