Lea und Swetlana – neben Manu ihre besten Freundinnen – hatten sie zwar auch zu dem einen oder anderen überreden wollen, aber deren Kreise waren ebenfalls nicht unbedingt Danis Kreise.
Swetlana kannte hauptsächlich Künstlerinnen und Künstler, deren zum Teil höchst exzentrische Verhaltensweisen die Widerstandsfähigkeit von Danis etwas angegriffenem Nervenkostüm im Moment schnell überschritten, obwohl sie sonst wahrlich nicht empfindlich war.
Und Lea war beim Fernsehen. Sie war Redakteurin, schrieb Texte, las die Nachrichten oder auch die Begleittexte aus dem Off zu ihren eigenen Dokumentationen oder Features. Sie hatte eine außergewöhnlich interessante, weiche und dunkle Stimme. Was ihr schon viele Heiratsanträge eingebracht hatte. Hauptsächlich von Männern. Aber auch einige von Frauen waren dabei gewesen.
Manchmal fragte Dani sich, welches Ego das größere war, das von Künstlern oder das von Fernsehredakteuren. Wahrscheinlich hielten sie sich die Waage.
Sie hatte sich immer sehr gut mit Lea und Swetlana verstanden, sie unternahmen viel gemeinsam und hatten viel Spaß, aber mit keiner der beiden hätte sie sich eine Beziehung vorstellen können. Da suchte sie eine Frau mit mehr . . . Ruhe. Die nicht ständig etwas beweisen musste.
Sowohl Swetlana als auch Lea hatten ihre Affären, aber sie schienen gar nicht darauf aus zu sein, jemanden für die Dauer zu finden. Es war alles nur kurzfristiger Spaß.
Solange sie mit Frauke zusammen gewesen war, hatte Dani das nicht gestört. Es war immer klar gewesen, dass es bei ihr eine gewisse Grenze gab, weil sie eine quasi verheiratete Frau war. Die jeden Spaß mitmachte, aber nur bis zu einem gewissen Punkt.
Eine quasi verheiratete Frau. Dann war sie jetzt wohl eine quasi entheiratete Frau. Das Quasi hatte sich nicht geändert.
»Darf ich dir den Star des Abends vorstellen?«, hörte sie plötzlich Swetlanas aufgedrehte Stimme, die dann immer einen kleinen Kiekser bekam, der sich zu dem leichten russischen Akzent gesellte. »Unsere Meisterfotografin Patrizia Demarchelier.«
Ich kaufe nichts, hätte Dani gern gesagt, weil Swetlana immer darauf aus war, etwas zu verkaufen, und sie nur deshalb ihre Künstler irgendwelchen anwesenden Gästen vorstellte.
Aber als sie aufblickte, sah sie in ein unerwartet sympathisches Gesicht. Niemals hätte sie das mit diesen Bildern in Verbindung gebracht.
Grüne oder graugrüne Augen – das konnte sie bei dieser Beleuchtung gar nicht so genau erkennen – unter einer Welle rotbraunen Haares blitzten sie intelligent und neugierig an.
Tatsächlich nur einer Welle. Einer einzigen. Die aber wirklich wallend. Der Rest war kurzgeschnitten. Eine recht extravagante Frisur.
Das passte zu einer Künstlerin, die Bilder schoss oder eher erschuf, die in ihrer Art auch ziemlich extravagant waren.
»Das ist Dani«, stellte Swetlana mit ihrer kieksenden Stimme vor. »Wir kennen uns schon ewig. Und sie ist gerade verlassen worden.«
Damit drehte sie sich um und rauschte in die Ausstellung zurück.
Während Dani noch verdutzt dastand, lachte Patrizia leise auf. »Damit wäre dann ja wohl alles klar.« Sie lächelte Dani an. »Patrizia ist nur der Name, der in meinem Pass steht. Meine Freunde nennen mich Triz.«
»Deine Freundin auch?«, fragte Dani etwas spitz.
Wieder lachte Triz. »Keine feste«, sagte sie. »Aber ja, meine Freundinnen auch.«
»Sorry.« Entschuldigend verzog Dani einen Mundwinkel. »Ich war nicht wirklich wild darauf, hierherzukommen. Lea und Swetlana haben mich praktisch hergeschleift. Das hat nichts mit dir zu tun.«
»Das heißt, du stehst nicht auf Kunst?«, fragte Triz. »Oder Fotografie?«
»So . . .«, Dani räusperte sich, »würde ich das nicht sagen.«
»Aha.« Triz nickte und stützte sich mit beiden Ellbogen auf den Stehtisch, während sie anscheinend überlegte. »Du stehst nicht auf meine Bilder«, stellte sie dann fest.
»Ich . . . Bitte . . .« Langsam wusste Dani nicht mehr, was sie sagen sollte. »Ich bin wirklich keine gute Jury für so etwas. Tatsächlich habe ich keine Ahnung von Fotografie. Deshalb ist mein Urteil völlig bedeutungslos.«
»Nicht für mich«, widersprach Triz. »Sie gefallen dir nicht, und ich möchte, dass sie gefallen.« Ein leises Lächeln umspielte ihre sinnlichen Lippen. »Aber ich mache dir keine Vorwürfe. Sie sind schon ziemlich . . . herausfordernd. Je nachdem, wie man zu so etwas steht –«
»Ich habe nichts gegen Sex«, unterbrach Dani sie schnell. »Auch nichts gegen erotische Bücher, Bilder oder Filme. Wahrscheinlich liegt es nur daran, dass –« Diesmal unterbrach sie sich selbst.
Kurz musterte Triz sie, wartete, dass sie weitersprechen würde. »Dass du gerade verlassen worden bist?«, fragte sie dann. »War der Sex so schlecht?«
Heftig schüttelte Dani den Kopf. »Darum ging es . . . geht es nicht.« Sie fand diese Triz schon ziemlich direkt dafür, dass sie sich gerade erst kennengelernt hatten. Aber dem hatte wohl Swetlana mit ihrer Vorstellung Tür und Tor geöffnet. »Es ist nur . . . erst zwei Wochen her. Nach vierzehn Jahren. Und alle tun so –«
Mit einem unterdrückten Glucksen platzte Triz in ein zuerst schallendes, dann ebenfalls unterdrücktes Lachen heraus. »Vierzehn Jahre?«, fragte sie etwas angestrengt über ihren Atem hinweg. »Ihr wart vierzehn Jahre zusammen?«
»Ja.« Irritiert schaute Dani sie an.
»Also bist du immer noch verheiratet?« Triz’ Augenbrauen verschwanden unter der wilden Haarwelle auf ihrer Stirn.
Dani schüttelte den Kopf. »Nein, wir waren nie –«
»Sie hat nicht gewollt?«, vermutete Triz aus irgendeinem unerfindlichen Grund genau richtig.
Um einen möglichst neutralen Gesichtsausdruck bemüht nickte Dani, obwohl sich in ihr ein ziemlicher Tumult nach oben zu kämpfen versuchte.
»Dachte ich mir«, sagte Triz. Sie spitzte die Lippen. »Als Fotografin habe ich einen ganz guten Blick für Menschen. Und du siehst mir nach jemandem aus, der nichts dagegen hätte zu heiraten.«
»Nein, hätte ich nicht«, erwiderte Dani unbehaglich mit trotzig zusammengepressten Lippen. Langsam ging ihr diese Frau doch etwas auf den Geist. »Und können wir das Thema damit jetzt bitte beenden?«
»Könnte ich dich bitte fotografieren?«, fragte Triz wie aus der Pistole geschossen zurück, als hätte sie nur auf eine Gelegenheit gewartet, das zu fragen. Womit sie das Thema definitiv von einer Sekunde auf die andere beendet hatte.
»Fotografieren? Mich?« Erstaunt blickte Dani sie an. Dann schweifte ihr Blick durch die Galerie. »So?«
Triz lachte. »Das ist eine Art, wie ich fotografiere. Aber nicht nur.« Sie beugte sich vor. »Du hast ein sehr interessantes Gesicht.« Durchdringend wie mit einer Linse lächelte sie in Danis Augen. »Ein sehr schönes Gesicht. Was ich dir aber sicher nicht sagen muss.«
Dani spürte das bekannte Kribbeln, das sie schon seit einiger Zeit nicht mehr gespürt hatte. Und schon gar nicht bei einer Fremden. Triz’ Blick drang tief in sie ein, als würde sie ein Röntgenbild von ihr machen. Als hätte sie auf den Auslöser ihrer Kamera gedrückt, um Danis Bild unauslöschlich in sich zu speichern. Für immer.
Aber das allein konnte doch nicht dafür ausreichen . . . Nach vierzehn Jahren. Sich so schnell von Fraukes Bild, von ihrer ausschließlich auf sie beschränkten Zuneigung zu verabschieden. Bisher hatte sie das immer bestritten.
Doch es kam auf die Umstände an. Wie sie gerade merkte. Triz’ Augen sahen sie mit einer Intensität an, die sie bei Frauke lange vermisst hatte.