»Und du weichst mir aus.« Von Danis Schreibtisch aufstehend stellte Manu das fest. »Was ein Beweis dafür ist, dass etwas war. Mit Lea oder wem auch immer.«
»Mit Lea war nichts«, sagte Dani. »Du kannst sie ja anrufen, wenn du mir nicht glaubst. Sie würde es dir bestimmt nicht verschweigen, wenn etwas gewesen wäre.«
»Ich kriege es schon raus«, drohte Manu mit einem letzten Blick in Danis Gesicht. »Das da«, sie wies mit einem ausgestreckten Finger fast genau auf Danis Nase, »kommt nicht von selbst.«
Auf einmal hatte Dani das Gefühl, sie hätte irgendeinen Fleck an der Nase, Schokolade um den Mund geschmiert wie ein kleines Kind oder sonst etwas. Aber sie wusste genau, dass da nichts war.
Doch Manu hatte etwas bemerkt, das nicht abzustreiten war: Das Wochenende mit Triz war nicht ohne Folgen geblieben.
Auch wenn es nicht die Folgen waren, die man üblicherweise darunter verstand.
8
»Das ist das erste Mal seit über zwanzig Jahren, dass ich am Single-Tisch sitze.«
Dani hätte sich fast an ihrem Sekt verschluckt, als sie diese Worte hörte. Sie hätte doch nicht zu dieser Veranstaltung gehen sollen.
Aber es war eine geschäftliche Veranstaltung, und ihr Boss hatte darauf bestanden. Sie sollten potenzielle Kunden mit ihren Mediendesign-Fähigkeiten beeindrucken, um neue Aufträge hereinzuholen. Das Leben war hart in der heutigen wettbewerbsorientierten Zeit.
»Es ist nur ein Abendessen«, erwiderte sie freundlich, weil diese Frau sie nicht im Entferntesten interessierte und sie nicht in etwas Privates hineingezogen werden wollte, das sie nun wirklich überhaupt nichts anging. »Hat Ihnen die Präsentation gefallen?«
Die Frau war in Fraukes Alter, aber im Gegensatz zu Frauke war sie in ihren jüngeren Jahren wohl eine Art Femme fatale gewesen. Oder hatte sich dafür gehalten.
Dieses Bild wollte sie immer noch aufrechterhalten. Sie war ein bisschen geschminkt und frisiert wie eine Schauspielerin aus dem vergangenen Jahrhundert. Was sie auch gewesen war, wenn auch ohne großen Erfolg. Was sie trug, war nicht von der Stange, sondern von einem Modedesigner, der sich teuer dafür bezahlen ließ. Alles an ihr schrie Geld!
Deshalb hatte Danis Boss sie zu ihr an den Tisch gesetzt. Sie und ihr Mann besaßen eine Filmproduktionsfirma, die ein Riesenbudget für Mediendesign hatte. Lieber hätte Dani sich von solchen Aufträgen ferngehalten, aber eine Frau musste tun, was sie tun musste, um Geld zu verdienen.
»Die Präsentation?« Claudia Maletzki tat, als wüsste sie gar nicht, wovon Dani sprach. Sie war mit ihren Gedanken ganz woanders. Mit einem stechenden Blick ihrer leicht wässrigen blauen Augen fixierte sie Dani. »Sind Sie schon mal verlassen worden?«
Dani schluckte. Das war ja ein schöner Einstieg in den Abend. »Ist das nicht jeder schon mal?«, wich sie aus.
»Sie sind das vielleicht gewöhnt«, bemerkte Claudia Maletzki höchst respektlos und unhöflich, leerte ihr Glas und winkte der Kellnerin, um ihr nachzuschenken. An diesem Abend war alles, was man aß und trank, umsonst, und reiche Leute liebten so etwas. »Ich nicht.«
Wie bekomme ich sie nur von dieser Schiene weg? dachte Dani leicht verzweifelt.
Frau Maletzkis Privatangelegenheiten gingen sie nicht das Geringste an. Und außerdem kreuzten sie sich auf höchst unerwünschte Weise mit ihren eigenen. Zum Schluss heulte diese selbstverliebte Best Agerin sich noch bei ihr aus, statt über neue Aufträge nachzudenken. Und das war das Letzte, was Dani jetzt gebrauchen konnte.
Vielleicht hatte sie Erfolg, wenn sie es einfach ignorierte. »Sie haben noch nie mit unserer Firma zusammengearbeitet?«, fragte sie.
Sie wusste, dass es so war, aber Feststellungen verschreckten manche Kunden, also formulierte man es als Frage. Das hatte sie bei einem der vielen Seminare gelernt, auf die ihr Boss sie geschickt hatte. Sie wollte einfach nur Mediendesignerin sein, aber er wollte mehr aus ihr machen. Er fand, dass sie einen guten Eindruck bei Kunden hinterließ, sie in die richtige Stimmung versetzte, und hätte sie deshalb lieber im Verkauf gesehen.
Weshalb sie jetzt an diesem Tisch saß und nicht bei sich zu Hause, um darüber nachzudenken, was am letzten Wochenende passiert war. Außer dem Sex. Der hatte allerdings den größten Teil der Zeit eingenommen, das musste sie zugeben. Obwohl sie es währenddessen kaum bemerkt hatte. Zum Schluss hatte sie sich über ihr eigenes Durchhaltevermögen gewundert. Schließlich war sie nicht mehr . . . wie sollte man das formulieren . . . im Training?
»Hat mich einfach verlassen. Findet mich auf einmal langweilig. Nach über sechsundzwanzig Jahren und zwei Kindern!« Claudia Maletzki schüttete das nächste Glas Sekt in einen anscheinend unersättlichen Schlund.
In gewisser Weise konnte Dani sie zwar verstehen und ihre Situation nachvollziehen – bis auf die Kinder –, aber sollte sie sich jetzt auf ein Gespräch darüber einlassen? Das würde zu absolut nichts führen. Was ihr Boss wünschte und was Dani angeblich so gut konnte, war, die Kunden in eine gute Stimmung zu versetzen, nicht in eine heulende. Dabei kam kein Geschäftsabschluss heraus.
»Das sieht man Ihnen aber nicht an«, sagte sie.
So etwas wirkte bei Frauen wie Claudia Maletzki immer. »Denken Sie wirklich?« Sie strich sich das festtoupierte Haar zurück, als könnte sie es bewegen.
»Aber natürlich«, versicherte Dani ihr. »Sie sehen doch selbst, wie Sie aussehen. Wer kann schon mit Ihnen konkurrieren?«
Sie musste zugeben, dass sie hierbei jetzt durchaus von ihrer eigenen Erfahrung profitierte. An diesem Wochenende hatte sie gemerkt, wie gut Komplimente taten. Vor allem, wenn man sie lange nicht gehört hatte. Triz hatte sie damit überhäuft. Alles bis auf ein Ich liebe dich war dabei gewesen.
Das hatte Dani jedoch auch gar nicht erwartet. Auch wenn sie auch das von Frauke schon lange nicht mehr gehört hatte. Von Triz hätte es sie jedoch vielleicht sogar eher erschreckt. Es hätte unecht gewirkt.
Sie hatte von vornherein gewusst, dass was auch immer mit Triz sein konnte, es nicht auf Liebe hinauslief. Danach suchte Triz nicht, und es wäre fatal gewesen, das von ihr zu erwarten. Das hätte nur zu einer Enttäuschung geführt.
Alles andere jedoch konnte man von Triz haben. Sogar im Überfluss. Sie war eine wunderbare Liebhaberin, vermittelte unbeschreibliche Gefühle und gab einer Frau das Gefühl, im Moment das einzig Wichtige für sie zu sein. Das Zauberwort war im Moment, denn dauerhaft waren diese Gefühle nicht. Aber in dem Augenblick, in dem Triz sie ihr vermittelte, hatte Dani sie sehr genossen.
»Alle sagen mir immer, wie jung ich aussehe«, unterbrach Claudia Maletzki ihre Gedanken. »Dabei behaupte ich nie, dass ich jünger als dreiundvierzig bin.« Wieder diese Geste mit dem Haar, die man für einen Flirtversuch hätte halten können.
Dani hätte fast nach Luft geschnappt. Bei der Zahl war wohl mindestens ein Zehner verrutscht. Auch viel Make-up konnte das nicht vertuschen. Im Gegenteil. Es betonte das wahre Alter so sehr, dass Claudia Maletzki sogar älter aussah, als sie war.
Da sie ihr das nicht sagen konnte, lächelte Dani nur.
»Mein Mann natürlich nicht«, fuhr Claudia Maletzki ins alte Fahrwasser zurückgleitend fort. »Er hat mich durch eine Jüngere ersetzt. Ein junges Ding von fünfundzwanzig. Können Sie sich das vorstellen?« Noch ein Sektglas verlor seinen Inhalt, als sie es den anderen, die schon ihre Speiseröhre benetzt hatten, hinzufügte. »Ich sollte einen Film darüber machen.«
Die gibt es doch schon tausendfach, dachte Dani. Aber »Ja, warum tun Sie das nicht?« war das, was sie sagte. »Das wird bestimmt viele Leute interessieren. Ich könnte mir da einiges für das Mediendesign vorstellen.«
»Ja?« Claudia Maletzki sah sie auf einmal an, als würde sie sie das erste Mal sehen. Als nähme sie jetzt erst wahr, dass Dani überhaupt da war und nicht eine Wand, zu der sie sprach. »Das könnten Sie?«
»Aber sicher«, sagte Dani. »Warum unterhalten wir uns nicht morgen darüber? In Ihrem Büro oder in meinem?«
Claudia Maletzki stützte ihren Ellbogen auf den Tisch und legte in einer übertrieben schauspielerischen Manier ihr Kinn in die Hand, bevor sie Dani tief in die Augen sah. »In meinem«, hauchte sie, als wäre es ein Verführungsangebot. »Um elf?«
»Sehr gern«, lächelte Dani.
So sehr auch immer das eine Lüge war.
Aber eine Frau musste tun, was sie tun musste.
ENDE DER FORTSETZUNG