Aha. Suchend blickte Alexis sich um. Es gab also nicht nur eine Gegensprechanlage, sondern anscheinend irgendwo auch eine Kamera. Wo immer die versteckt sein mochte. Denn sie entdeckte sie nicht.
Sie beugte sich wieder zu der Lochplatte. »Störe ich? Ich würde gern mit Ihnen sprechen, Madame Cotillard.«
»Frau reicht«, knurrte Rabea. »Ich bin keine Französin. Meine hugenottischen Vorfahren haben den Namen mitgebracht.«
»Ein außergewöhnlicher Name«, bemerkte Alexis leicht lächelnd.
»Wollen Sie sich bei mir einschmeicheln?«, fragte Rabea. »Oder sich nur entschuldigen?«
»Entschuldigen?« Ganz automatisch entfuhr dieses Wort Alexis’ Lippen. »Wofür entschuldigen?«
»Jetzt tut sie auch noch so, als wüsste sie von nichts.« Es klang, als ob Rabea zu jemand anderem sprach, nicht zu Alexis.
»Das weiß ich tatsächlich nicht«, bestätigte Alexis. Sie machte eine kleine Pause. »Aber könnten wir uns nicht persönlich unterhalten? Durch diese Löcher hier ist das nicht sehr angenehm.«
»Was interessiert es mich, was für Sie angenehm ist oder nicht?«, schnappte Rabea.
Sehr freundlich war sie wirklich nicht. Aber das hatte Alexis ja schon gewusst. »Frau Cotillard. Bitte«, sagte sie. »Darf ich hereinkommen?«
Eine Weile war es still. Dann plötzlich drang wieder ein Knistern hinter den Löchern hervor. »Warum?«, fragte Rabea. »Wir haben nichts zu besprechen. Sie haben Ihren Job doch noch. Was wollen Sie also?«
Alexis schluckte. Das war schwieriger, als sie es sich vorgestellt hatte. »Ich will . . .«, setzte sie an. Dann korrigierte sie sich. »Ich möchte Sie verstehen.«
In wie kurzer Zeit sich Absichten doch ändern konnten. Eben hatte sie das noch nicht gewollt. Aber jetzt kam es ihr auf einmal so selbstverständlich über die Lippen, als hätten sie nur darauf gewartet.
Vielleicht hatte diese Antwort Rabea Cotillard genauso stutzen lassen wie Alexis selbst. Jedenfalls hatte ihre Aussage erneut eine anhaltende Stille zur Folge.
Dann plötzlich ertönte ein Summen, begleitet von einem Klicken, und das kleine Gittertor sprang auf.
Kurz zögerte Alexis, dann hob sie die Hand und schob die metallene Schlupftür von sich weg. Sie war schwer, und sie konnte tatsächlich nur hindurchschlüpfen, bevor das Gewicht das kleine Tor wieder ins Schloss zog.
Sie hätte sich auch gleich einen Burggraben mit Zugbrücke einbauen lassen können, dachte Alexis. Hat denselben Effekt.
In diesem Moment bezweifelte sie sehr, dass es die richtige Entscheidung gewesen war herzukommen. Aber ob es so einfach war, durch dieses kleine Tor wieder hinauszukommen?
Sie blickte zurück. Es war erneut fest in seiner metallischen Umgebung verankert. Und über diesen hohen Zaun zu klettern wäre doch ein gar nicht so einfaches Unterfangen gewesen.
Nun ja. Sie seufzte und tat ein paar Schritte auf den Steinplatten, die den Weg zum Haus anzeigten. Dann blieb sie wieder stehen und versuchte, mehr als nur ein weißes Schimmern von dem im Hintergrund liegenden Gebäude zu erhaschen.
Aber immer noch verstellten ihr dunkelgrüne Bäume die Sicht.
Also folgte sie einfach dem Weg, bis sich plötzlich die Fassade des Hauses vor ihr auftat.
Die Bäume reichten ganz an das Haus heran, was Alexis an die Beschreibung des Hexenhäuschens aus Hänsel und Gretel erinnerte. Mitten im Wald gelegen, fast unsichtbar zwischen den Bäumen versteckt.
Möglicherweise war das hier tatsächlich einmal Wald gewesen, und wer auch immer dieses Haus erbaut hatte, hatte viele der Bäume unberührt gelassen.
Ob das Rabea gewesen war? fragte Alexis sich.
Andererseits sah das Haus älter aus als Rabea. Hätte sie es erbaut, hätte der Stil ein anderer gewesen sein müssen, ein modernerer.
Aber so viel verstand Alexis von Baustilen nun auch wieder nicht. Vielleicht irrte sie sich.
Zögernd trat sie an die schwere hölzerne Eingangstür – Eiche vermutlich –, die zurückgesetzt unter einem großen Vordach versteckt lag, heran. Dunkel und abweisend wie schon der Park.
Sollte sie klopfen? Eine Klingel sah sie hier nicht.
Doch da öffnete sich die Tür schon, und Rabea stand im Rahmen.
»Frau Savalas«, sagte sie, wobei ihre Stimme scharf und abweisend klang. Warum hatte sie dann überhaupt aufgemacht? »Sie stören mich beim Schreiben.«
»Das tut mir leid.« Ein entschuldigendes Lächeln erschien ganz automatisch auf Alexis’ Gesicht. »Bitte glauben Sie mir, das wollte ich bestimmt nicht.«
»Was haben Sie denn gedacht, was eine Schriftstellerin so den ganzen Tag tut?«, fragte Rabea von oben herab, obwohl sie dafür zu Alexis hinaufschauen musste.
»Natürlich.« Alexis nickte. »Das hätte ich mir denken können. Ich bitte um Verzeihung.«
Tief atmete Rabea durch. »Frauen wie Sie«, ihr Blick schweifte von oben bis unten über Alexis’ Körper, »sind nicht zum Denken geschaffen, das ist mir klar.«
Eine solche Beleidigung hatte Alexis jetzt nicht erwartet, auch wenn sie sich darauf hätte einstellen sollen nach allem, was sie schon mit Rabea erlebt hatte.
Deshalb stand sie eine Minute nur stumm da. Sie wusste wirklich nicht, was sie sagen sollte.
»Na, kommen Sie schon rein«, sagte Rabea da plötzlich, trat einen Schritt zurück und gab damit den Eingang frei. »Wenn Sie schon einmal da sind . . .«
Auch das hatte Alexis jetzt nicht unbedingt erwartet, aber fast wie Gretel, die der Hexe arglos ins Hexenhäuschen folgte, fühlte sie sich in dieses dunkle Haus hineingezogen.
Als sie die Schwelle übertreten hatte, fiel die schwere Tür dann auch unheilschwanger ins Schloss.
Mit einer Hand auf der Klinke stand Rabea da und betrachtete Alexis erneut. »Also? Was wollen Sie?«
Von dieser direkten Frage, die sie mittlerweile gar nicht mehr so leicht zu beantworten fand, überrascht, reagierte Alexis zuerst einmal nicht. Dann zuckte sie die Schultern. »Das habe ich doch schon gesagt. Ich möchte wissen . . .«, sie räusperte sich leicht, »ich möchte verstehen, warum Sie mich nicht mögen.«
»Schon wieder!« Auffahrend warf Rabea die Hände in die Luft. »Hört das denn nie auf?«
»Wie?« Leicht fragend legte Alexis den Kopf schief. »Wie meinen Sie das?«
»Ach, was soll’s.« Rabea winkte ab. »Kommen Sie schon. Bietet man in solchen Fällen nicht etwas zu trinken an? In meinen Romanen tue ich das jedenfalls immer.« Sie verzog schief einen Mundwinkel. »Im realen Leben bin ich nicht so . . . sozial.«
Nein, das kann man wirklich nicht sagen, dachte Alexis.
»Danke«, sagte sie. »Ich nehme gern ein Glas Wasser. Es ist ziemlich heiß heute.«
Obwohl es ihr eigentlich kalt den Rücken runterlief in diesem Haus, war draußen tatsächlich strahlendstes Sommerwetter. Doch der blaue Himmel konnte sich durch die fast schwarz erscheinenden Baumkronen nicht bis hier hinein durchsetzen.
»Wasser.« Rabea blieb stehen und sah sie anscheinend erstaunt an. »Sie wollen tatsächlich Wasser?«
»Wenn Sie so freundlich wären.« Alexis lächelte.
Sie wusste, wie ihr Lächeln auf Leute wirkte. Und hatte Christoph nicht gesagt, Rabea Cotillard stände auf Frauen? Dann musste es auf sie doppelt wirken.
Ob es das tat, konnte Alexis jedoch nicht erkennen, denn abrupt wandte sich Rabea ab und ging schnell durch eine Diele und einen Flur ihr voraus in ein großes Zimmer.
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