Folgte sie ihr also nicht schon? Sie hatte sie sich ausgedacht, wenn sie akzeptierte, dass Chloe ihr Alter Ego war. Dass Chloe Chloe war.
»Du bist dir nicht sicher«, behauptete Chloe nun. »Du hast schon einmal darüber nachgedacht, wie es überhaupt sein kann, dass du dir so etwas ausdenken kannst.«
Abweisend verzog Rabea die Mundwinkel. »Das gehört zu meinem Beruf. Das weißt du ganz genau. Ich muss über solche Dinge nachdenken.«
»In der Form, in der du es getan hast?« Die Frage wirkte provozierend und doch auch so logisch.
Sicherlich, mit Logik hatte Rabea nie ein Problem gehabt. Mit Gefühlen vielleicht schon eher, aber mit Logik nie.
»Weißt du was?«, fuhr sie auf, ohne zu wissen, ob sie es nur in Gedanken tat oder tatsächlich so, dass auch andere es hätten hören können. »Du kannst mich mal!«
Mit beiden Händen schlug sie hart auf ihren Schreibtisch, drückte sich gleichzeitig hoch.
»Gute Nacht!«
Und damit verließ sie das Zimmer.
6
»Wieso regst du dich so darüber auf?«, fragte Christoph. »Sie hat ihren Willen ja nicht bekommen.«
Verdrossen runzelte Alexis ihre schöne, glatte, jugendliche Stirn. »Ich bin es nicht gewöhnt, so abgelehnt zu werden«, erklärte sie unzufrieden. »Und dann auch noch ohne Grund. Nur weil sie irgendwelche . . . Vorurteile hat.«
»Haben wir die nicht alle?« Christoph ließ seine Augen genervt zur Decke wandern. »Kein Mensch ist ohne Vorurteile. Wir geben es nur meistens nicht zu.«
»Sie auch nicht.« Etwas geistesabwesend knabberte Alexis an ihrer vollen Unterlippe herum. »Sie hält es für eine objektive Entscheidung. Ihrer Meinung nach passe ich nicht für die Rolle, und das war es für sie.«
»Das ist ihr gutes Recht.« Gleichgültig zuckte Christoph die Schultern. »Sie ist die Autorin, und sie hatte eben eine andere Vorstellung von dir. Ich meine, von der Figur, deren Rolle du jetzt spielst. Das ist sehr oft so bei Romanverfilmungen.«
»Mag ja sein«, entgegnete Alexis widerstrebend, »aber mir gefällt das nicht. Und ich kann es auch nicht akzeptieren. Ich will wissen, warum sie mich ablehnt. Ich habe ihr doch nichts getan. Wir kennen uns überhaupt nicht.«
»Du bist in sie hineingelaufen.« Christoph lachte leise. »Für sie ist das wahrscheinlich so etwas wie Majestätsbeleidigung.«
»Sie ist in mich hineingelaufen«, korrigierte Alexis. »Um das mal klarzustellen. Sie kam hereingerauscht wie eine Dampframme. Ich konnte überhaupt nicht ausweichen.«
Christophs Lachen verwandelte sich in ein Grinsen. »Vermutlich spielt das für sie keine Rolle. Hass und Liebe liegen nah beieinander. Das ist nun einmal so.«
»Hass?« Alexis’ Gesicht verzog sich überrascht und verständnislos. »Liebe?«
»Du weißt doch, dass sie auf Frauen steht. Oder nicht?«, fragte Christoph.
Für einen Augenblick wusste Alexis nicht, wie sie reagieren sollte. »Nein«, erwiderte sie dann gedehnt. »Das wusste ich noch nicht.«
»Dann weißt du’s jetzt.« Christophs Antwort klang knapp und endgültig. »Du bist eine schöne junge Frau. Sie ist eine«, er räusperte sich, »nicht mehr ganz so junge Frau, die empfänglich für die Reize junger Frauen ist. Und die oft auch bekommt, was sie will. Du hast ihr sozusagen ihr Orange verpatzt.«
»Ihr was?« Fragend und auch verblüfft hob Alexis’ tiefe, dunkle Stimme sich etwas an. Dieser Ausdruck sagte ihr gar nichts. Da brauchte sie eine Erklärung.
Vielleicht lag es daran, dass ihre Eltern Griechen waren. Auch wenn sie selbst in Deutschland geboren war. Sehr spezielle deutsche Ausdrücke wurden bei ihnen zu Hause oft nicht benutzt.
Doch Christoph winkte nur ab. »Vergiss es. Ein alter Song, der mir gerade so durch den Kopf ging.«
Das schien so, als würde sie keine weitere Aufklärung bekommen, dachte Alexis, und deshalb hakte sie auch nicht mehr nach. Es war wirklich nicht wichtig.
»Ich will, dass sie mich so akzeptiert, wie ich bin. Nicht so, wie sie mich gern hätte«, sagte sie.
Fast brach Christoph in ein Lachgewitter aus. Er schien das alles sehr amüsant zu finden. »Kind, du bist noch so jung!«
Damit drehte er sich um und ließ sie stehen.
Tief in Gedanken versunken starrte Alexis vor sich hin.
Es gab Dinge, die sie einfach nicht verstehen konnte. Menschen, die sie einfach nicht verstand.
Möglicherweise hatte das etwas mit ihrer Jugend zu tun – den Gedanken wies sie nicht zurück –, aber in diesem Fall glaubte sie das nicht.
Da war irgendetwas an ihr, Alexis, das Rabea Cotillard an jemand anderen erinnert hatte. Auf diese Person hatte Cotillard reagiert, nicht auf Alexis, davon war sie überzeugt.
Und das wollte – und konnte – Alexis nicht so stehenlassen.
⬥
Wenn sie sich verstecken will, ist sie hier gut aufgehoben, dachte Alexis, als sie vor dem hohen Zaun stand, der das Grundstück umgab. Es hatte etwas von Fort Knox. Hat sie das nötig?
In dieser Art hatte sie noch nie über Rabea nachgedacht. Alles an Gefühlen, was sie bisher für diese ihr wildfremde Frau aufgebracht hatte, war nur negativ gewesen. Sie wollte sie nicht verstehen, sie wollte von ihr anerkannt werden, weiter nichts.
Als sie am Zaun entlangging, einer hochaufragenden Metallkonstruktion mit Spitzen oben auf den Metallstreben, die lebensgefährlich aussahen, schweifte ihr Blick durch den Garten. Jedenfalls durch das, was sie von der Straßenseite her davon sehen konnte.
Ein Garten war das eigentlich nicht. Es war mehr ein Park. Ein dunkelgrüner Park, der fast an den Schwarzwald erinnerte. Baum an Baum, eine regelrechte Phalanx, die die Sicht auf das Haus verdeckte. Nur ganz hinten sah Alexis ein weißes Schimmern.
»Und wie komme ich jetzt da rein?«, fragte sie sich selbst.
Aber da kam sie schon bei einer ungefähr zwei Meter hohen Gittertür an, die in die Metallumfriedung eingelassen war. Gerade groß genug, dass eine Person hindurchgehen konnte.
Wenn dieses Tor zu Rabea Cotillards Märchenschloss geöffnet werden würde. Falls es geöffnet werden würde.
Was würde Rabea tun, wenn sie Alexis erkannte? Würde sie sie überhaupt hereinlassen?
»Das muss sie«, beschloss Alexis und drückte auf den Klingelknopf, der sich nur sehr unauffällig von einer Metallstrebe abhob. Beides war Schwarz in Schwarz gehalten.
Zuerst einmal tat sich so lange nichts, dass sie bereits erneut klingeln wollte, aber als ihr Finger schon fast über dem Knopf schwebte, hörte sie ein Summen oder eher ein Knistern. Eine Gegensprechanlage.
»Ja?«, klang es unwirsch daraus hervor.
Nun ja, vielleicht war es nicht unwirsch. Nur die Tonqualität war ziemlich schlecht. Da konnte man Gefühle in einer Stimme kaum beurteilen.
»Guten Tag«, meldete Alexis sich. »Hier ist Alexis.« Nun sah sie auch etwas, das wie ein mit einer Löcherplatte abgedeckter Lautsprecher aussah. Sie beugte sich in dessen Richtung und brachte ihren Mund nah an die Löcher. »Alexis Savalas.«
»Das sehe ich«, knurrte die Stimme.
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