»Na gut.« Schicksalsergeben, wenn auch immer noch gereizt verschränkte sie die Arme. »Wenn ich dich nicht loswerden kann, muss ich dich wohl akzeptieren.«

Das Lachen kehrte zurück. »Das Thema hatten wir heute doch schon mal, oder nicht? Nur bezog es sich da nicht auf mich.«

Selbstverständlich wusste Rabea, worauf die Stimme in ihrem Kopf anspielte, aber sie wollte es nicht wissen.

»Damit bin ich durch. Das ist erledigt«, erwiderte sie scharf. »Und da es für mich erledigt ist, sollte es das auch für dich sein. Denn du bist ja ich. Angeblich.«

Ziemlich zufrieden mit ihrer Eloquenz begann sie, leicht sardonisch zu lächeln.

»Ein Punkt für dich«, gab die Stimme in ihrem Kopf zu. »Eine logische Denkerin warst du ja schon immer. Sonst könntest du diese Bücher gar nicht schreiben.«

»Na also.« Rabeas Zufriedenheit wuchs. Wenn eine Strategie nichts brachte, musste man seine Taktik eben ändern. »Sind wir uns doch einmal einig.«

»Das sind wir im Prinzip immer.« Die Stimme klang langsam wie eine Stimme, die Rabea bekannt vorkam. »Kann gar nicht anders sein.«

»Wenn du meinst.« Bloß keinen Streit vom Zaun brechen. In Rabeas Kopf fügte sich ein Kaleidoskop von Gedanken zusammen, das sie gut für ihren Roman gebrauchen konnte.

Gut gelaunt zu sein beim Schreiben brachte nichts für einen Thriller. Man sollte die bösen Gedanken der eigenen Figuren auch nachvollziehen können. Sonst konnten sie für die Leserinnen und Leser unglaubwürdig wirken.

»Unter diesen Voraussetzungen musst du doch aber einsehen, dass du mich jetzt nicht beim Schreiben stören darfst.« Rabeas Mundwinkel zuckten, denn sie hatte das Gefühl, diese Argumentation war ein guter Einfall. Und auf ihre guten Einfälle war sie immer stolz. In diesem Fall vielleicht sogar besonders. »Das ist kontraproduktiv. Es bringt uns beiden nichts.«

Diesmal kam die Antwort nicht so schnell, wie sie es bisher immer getan hatte. Als ob die Stimme überlegen müsste.

»Du bist schlau«, erklang sie dann fast wie mit einem bedrohlichen Unterton. »Sehr schlau.«

»Genauso schlau wie du, oder?« Tatsächlich kam sich Rabea in diesem Augenblick sehr schlau vor.

Sie musste dieses andere Ich – oder was sich da für ihr anderes Ich hielt – irgendwie austricksen. Sonst würde sie nicht weiterkommen.

Nun kehrte das Lachen zurück. Es war eine Art charmantes Lachen, wie es vielleicht von Ripley hätte stammen können, wenn er den Eindruck hatte, dem anderen weit überlegen zu sein.

»Okay.« Eine kleine Pause ließ Rabea schon annehmen, dass dies den Schluss ihrer Unterhaltung – oder was auch immer das hier war – darstellte. Aber das tat es nicht. »Du willst mich austricksen. Warum nicht?«

»Ach komm schon. Spiel nicht die beleidigte Leberwurst. Das steht dir nicht.« Rabeas Lächeln verwandelte sich in ein Grinsen.

Diese Worte hatte sie nicht gerade eben erst erfunden, sondern sie hatte sie tatsächlich schon einmal gehört. Bezogen auf sich.

Und als absolut unzutreffend beurteilt. Sie? Eine beleidigte Leberwurst? Nie im Leben. Das war etwas für geistige Kleinlichter.

»Du hast natürlich recht«, stimmte ihr das, was auch immer da in ihrem Kopf war, unerwartet zu. »Geistige Kleinlichter. Schöne Wortschöpfung.« Sie lachte.

Das fand Rabea auch, aber auf der anderen Seite ärgerte es sie, dass ihr virtuelles Gegenüber sich gar nicht über ihre, Rabeas, Provokation aufregte. Schließlich hatte Rabea das beabsichtigt. Sie hätte eine empörte Reaktion erwartet.

Aber so ging es ihr mit vielen ihrer Figuren. Sie wollte sie in eine bestimmte Richtung lenken, wollte, dass sie bestimmte Dinge taten oder dachten, und dann entwickelten sie ein Eigenleben, wurden zu unerwartet autonomen Gestalten. Dann musste eher Rabea ihnen folgen als diese Charaktere ihr.

Bisher hatte sie das noch nie gestört. Im Gegenteil, es bedeutete, dass Rabea die Geschichte nicht mehr von außen betrachtete, sondern mitten in ihr drin war. Dadurch ergaben sich ganz andere Möglichkeiten, ganz andere Perspektiven, die sie zuvor vielleicht gar nicht in Betracht gezogen hatte.

Auf einmal stutzte sie. Hatte sie gerade gedacht, dass diese Stimme in ihr eine Figur war? Wie eine Gestalt aus ihren Romanen? Eine Persönlichkeit, die sie, Rabea, erschaffen hatte? Mit Absicht?

»Was dachtest du denn?«, reagierte diese Persönlichkeit auf Rabeas unausgesprochene Fragen.

Aber was musste sie schon aussprechen, wenn es doch nur Gedanken waren, die sich in ihr ein Duell lieferten? Nichts davon brauchte eine Übersetzung in eine Welt mit Augen, Ohren und Lippen, die Wörter formen konnten.

Erneut lachte das in ihrem Kopf, was Rabea nicht einordnen konnte. »Du denkst so oft an Ripley und du weißt trotzdem nicht, wer ich bin?«

»Ich dachte, du bist ich«, antwortete Rabea ganz automatisch. »Hast du das nicht die ganze Zeit behauptet?«

»Das stimmt ja auch«, bestätigte die Stimme, die eigentlich gar keine Stimme war, sondern nur ein Gedankenstrom in Rabeas Kopf. »Jede der Figuren, die du je erfunden hast, ist du. Und du bist sie.«

Unwillkürlich schüttelte Rabea den Kopf. »Das würde ich nicht so sagen. Meine Figuren sind mir sehr nah, solange ich über sie schreibe, das stimmt.« Sie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Aber danach widme ich mich neuen Figuren, die ich für meinen neuen Roman erfinde. Der alte ist dann abgeschlossen, und die Figuren, die darin eine Rolle gespielt haben, entfernen sich sehr schnell von mir. Weil die neuen ihren Platz einnehmen.«

Es war, als fände gerade ein Nicken in ihrem Kopf statt. Das war doch gar nicht möglich. »Ja, das weiß ich. Aber ich kann das nicht akzeptieren. Ich werde bleiben, das kann ich dir jetzt schon versichern.«

»Du bist keine Figur«, widersprach Rabea heftig und durchaus etwas süffisant. »Du hast noch nicht einmal einen Namen.«

»Chloe«, sagte die Stimme. »Ich habe einen Namen, und der ist Chloe.«

»Chloe?«, wiederholte Rabea ungläubig. Etwas aufgekratzt begann sie zu lachen. »Du willst Chloe sein? Und du behauptest, du wärst ich und ich wäre du? Sprich, ich wäre eine Serienkillerin?«

»Bist du das nicht?«, fragte Chloe. »Du tauchst in die Köpfe deiner Figuren ein, die ohnehin Geburten deines Kopfes sind, lenkst und beherrschst ihre Gedanken. Ohne dich haben sie keine. Du denkst dir ihre Morde aus und du begehst sie mit ihnen. Wie mit mir, auch wenn du in meiner Geschichte noch nicht so weit bist.«

Das machte Rabea zuerst einmal sprachlos. Falls sie überhaupt gesprochen hatte. Was sie bezweifelte.

Dann nickte sie. »In gewisser Weise hast du natürlich recht, das muss ich zugeben. Aber du weißt genau, dass es nicht dasselbe ist, sich einen Mord auszudenken wie einen zu begehen. In der realen Welt.«

»Bist du da so sicher?« Chloes Stimme hatte denselben süffisanten Klang, den auch Rabea zuvor ihren Gedanken beigelegt hatte.

»Also hör mal . . .« Rabea wollte dieser Argumentation nicht folgen, und doch wusste sie, dass es ihre eigene Argumentation war.

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