Eine Figur wie Alexis Savalas tat das jedoch nicht.
»Ich liebe Trenchcoats. Pah!«, stieß Rabea geringschätzig hervor. Wie diese . . . Schauspielerin mit ihrem Finger über Rabeas Revers gefahren war . . . Und wie sie dabei gerochen hatte . . .
Wild schüttelte Rabea den Kopf. Diesen Gedanken musste sie sofort wieder loswerden. Der hatte hier nichts zu suchen.
Eine Alexis Savalas hatte hier nichts zu suchen.
Nicht in ihrem Film und nicht in ihrem Hirn.
4
»Was möchtest du gern als Nächstes tun, hm?« Ein wenig biss sich Rabea auf die Lippe, während sie darüber nachdachte, was die Antwort auf ihre Frage sein könnte.
Die sich nicht auf sie selbst bezog, sondern auf eine ihrer Figuren.
Selbstverständlich war das eine rhetorische Frage. Keine Frage, auf die sie eine Antwort erwartete.
Doch diesmal kam eine. »Warum magst du sie nicht?«, hörte sie eine Stimme in ihrem Kopf. »Ich mag sie ganz gern.«
Verblüfft zuckte Rabea zusammen und sah sich dann um. Sie war allein in ihrem Arbeitszimmer. Anders konnte es auch gar nicht sein. Sie lebte allein in diesem großen Haus. Und Besuch hatte sie auch nicht.
Nach ein paar Sekunden schüttelte sie den Kopf und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
»Du willst nicht antworten?«
Das ist doch nicht – Diesmal stand Rabea auf, ging zum Fenster und blickte hinaus. Da draußen musste jemand sein.
Aber ihr suchender Blick fand nichts als Bäume, Sträucher und Wiese in ihrem eigenen Garten. Kein Mensch hatte sich hereingeschlichen.
Das war auch gar nicht so einfach möglich, denn das Grundstück war von einem hohen Zaun umgeben. Wollte jemand sie besuchen, musste er oder sie am Tor klingeln, um hereingelassen zu werden.
Wieder schüttelte sie den Kopf, begab sich jedoch nur zögernd an ihren Schreibtisch zurück, wobei sie sich mehrmals umsah.
»Hast du Angst?«
Abrupt blieb Rabea stehen und wirbelte so auf dem Absatz herum, dass sie fast alles im Zimmer gleichzeitig erfassen konnte, inklusive des Fensters.
»Was soll das?« Sie fand sich selbst höchst albern, als sie das fragte, aber diese Frage wollte einfach heraus, auch wenn gar niemand da war, an die sie sie stellte. Vielleicht stellte sie sie tatsächlich an sich selbst.
»Natürlich tust du das. Du bist ich.«
»Bitte?« Rabeas Augenbrauen schossen in die Höhe und blieben eine Weile da.
»Was meinst du, mit wem du immer deine Diskussionen führst, wenn du einen Roman schreibst?«, fragte die Stimme, der Rabea keinen bestimmten Tonfall und keine bestimmte Tonhöhe zuordnen konnte. Sie kam wie aus einem Nebel. »Mit mir. Es muss einen Gegenpart geben, sonst funktioniert das nicht.«
»Ich kann das ganz allein«, behauptete Rabea entschieden und hoch überzeugt. »Jeder Mensch kann das. Und eine Schriftstellerin besonders. Sonst wäre sie nicht viel wert.«
Ja, war sie denn nicht mehr ganz richtig im Kopf, dass sie hier eine Diskussion mit etwas – mit jemandem? – anfing, von dem sie noch nicht einmal genau wusste, wer oder was das war?
Kurz kam ihr der Gedanke, ob sie langsam verrückt wurde. Aber ein solcher Gedanke war nichts, das sich lange in ihrem Kopf halten konnte.
»Vielleicht sollte es das«, kommentierte das die Stimme, die nun immer mehr weiblich erschien. »An solchen Gedanken wächst man.«
»Dreist bist du gar nicht, was?« Unwillkürlich antwortete Rabea, aber sie wusste nicht, ob sie es laut aussprach. Das konnte sie im Moment gar nicht mehr unterscheiden.
Die Stimme lachte. »Genauso dreist wie du. Ich bin du.«
»Bist du nicht!« Empört hob Rabea die Hände, als suchte sie etwas, worauf sie einschlagen konnte.
»Oh doch.« Die Stimme blieb ganz ruhig, wirkte aber äußerst amüsiert. »Denk nur mal eine Weile darüber nach. Aber jetzt hätte ich gern eine Antwort auf meine Frage.«
»Welche Frage?« Rabea runzelte die Stirn. Sie wusste wirklich nicht, was die andere – oder sie selbst? – meinte.
»Die Frage, die ich dir am Anfang gestellt habe. Ich mag sie ganz gern. Warum magst du sie nicht?«
Die Albernheit dieser ganzen Situation begann, Rabea zu reizen. Vielleicht konnte sie das für einen Roman verwenden. Solche Gespräche führte sie öfter in ihrem Kopf, das stimmte. Nur dass sie sie normalerweise nicht mit einer Stimme führte, die nicht ihre eigene war.
»Wen meinst du?«, tat sie harmlos. Konnte sie sich selbst – innerlich lachte sie ungläubig auf – hinters Licht führen?
Konnte sie nicht.
»Du weißt ganz genau, wen ich meine. Alexis.«
»Alexis.« Herablassend stieß Rabea die Luft aus. »Wer ist Alexis?«
»Also jetzt hör aber auf«, sagte die Stimme.
Rabea seufzte. »Na gut. Ich weiß, wer Alexis ist, aber sie hat keine Bedeutung.«
»Stimmt nicht.« Nun klang die Stimme kindlich hämisch. Sie hätte genauso gut Ätsch sagen können.
»Wieso stimmt das nicht?«, fragte Rabea und stellte alle Gedanken bezüglich der Albernheit dieser Situation in die Ecke. Sie begann, sie zu genießen. »Da ich sie nicht rausschmeißen lassen kann, habe ich mit der Situation abgeschlossen. Ich will nichts mehr von ihr hören und sehen.«
»Abgeschlossen fühlt sich das für mich nicht an«, kam die Antwort. »Dann würdest du keine Rachegedanken hegen. Du magst sie nicht. Dabei ist sie eine schöne, eine sehr schöne junge Frau, der du normalerweise schon den einen oder anderen Blick schenken würdest. Und mehr.«
Unentschlossen schüttelte Rabea den Kopf. Das war ja gar nicht das Problem. Rabea hätte nicht sagen können, dass sie Alexis nicht mochte. Sie hätte zum Beispiel sehr gern mit ihr geschlafen.
Aber Alexis passte eben nicht. Nicht für die Rolle, nicht für Rabeas Leben.
»Vergiss nicht, dass ich alles hören kann, was du denkst«, sagte die Stimme. »Ich bin in deinem Kopf. Ich bin du.«
»Bist du nicht!«, widersprach Rabea noch einmal vehement. »Dann könnten wir nicht verschiedener Meinung über Alexis sein.«
»Warum nicht?«, fragte die andere. Andere?
Die Verwirrung in Rabea wuchs immer mehr an, und wenn sie etwas nicht mochte, dann war das Verwirrung. Sie liebte Eindeutigkeit.
»Wir müssen als Autorin immer die Perspektive wechseln«, ging es in ihrem Kopf aber schon weiter. »Wir müssen alle Aspekte beleuchten.«
»Wir?« Rabea zuckte hoch. »Es gibt kein Wir. Hier bin nur ich.«
»Das denkst du aber auch nur.« Eine kleine Pause schien diesen Satz zu betonen, damit er richtig einsinken konnte. »Ich bin dein Ripley. Und Patricia und Ripley waren auch eins.«
Mit einem leisen Lachen verschwand die Stimme aus ihrem Kopf.
Es dauerte ein paar Minuten, bis Rabea sich von diesem Abgang, der wie der Schlussakkord nach einem Bühnenauftritt in ihr nachklang, wieder erholt hatte.
»Ripley?«, stotterte sie dann fast.
Ripley war kein Opfer gewesen, sondern ein Serienmörder, der nur zum eigenen Vorteil mordete. Dem andere Menschen völlig egal waren. Vor allem, wenn sie ihm im Weg standen.
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