Das allein war schon ein Grund, sich dieser Frau zu entziehen. Abgesehen davon, dass sich Rabea beim Schreiben eine völlig andere Figur vorgestellt hatte. Eine Frau, die schon etwas durchgemacht hatte in ihrem Leben. Kein Kind, das gerade erst von der Schule kam. Selbst wenn es eine Schauspielschule war.

Sie wollte Alexis’ Hand, die immer noch an ihrem Revers lag, nicht berühren, also drehte sie sich um und machte ein paar Schritte zum Ausgang hin.

Über die Schulter warf sie noch einmal »Schmeiß sie raus!« in die Tiefe der Halle. »Oder ich ziehe meine Zustimmung zur Verfilmung zurück!«

Damit verließ sie das Set.

3

»Wie bitte?« Rabeas Gesichtsausdruck zeigte ungläubige Empörung. »Das kann ja wohl nicht wahr sein!«

»Ist es aber«, bestätigte Christoph am Telefon. »Das wusste ich schon am Set, aber ich konnte es dir nicht sagen, weil du so schnell weg warst.«

»Ich glaube es einfach nicht.« Hätte Rabea nicht schon an ihrem Schreibtisch gesessen, wäre sie vermutlich mit einem dicken Plumpser in den Ledersessel gefallen. »Es ist doch mein Buch. Meine Geschichte.«

»Ja, das ist sie«, bestätigte Christoph. »Aber du hast für die Umsetzung als Film alle Rechte abgegeben. Hat dir das dein Anwalt nicht gesagt? Das war vermutlich bei all deinen Verfilmungen so.«

»Anwalt.« Rabea rollte die Augen. »Der meinte, es wäre alles in Ordnung. Um solche Dinge kümmere ich mich nicht. Ich muss Bücher schreiben.«

Es klang besänftigend, als Christoph sagte: »Und du schreibst gute Bücher. Sehr gute Bücher.«

»Woher willst du das wissen?«, bemerkte Rabea sarkastisch. »Du liest sie ja noch nicht einmal.«

»Ich kenne den Inhalt und ich kenne die Dialoge«, stellte Christoph klar. »Und ich kenne Inhalt und Dialoge anderer Bücher. Da kann ich vergleichen. Du bist gut.«

»Na, vielen Dank.« Rabea ließ ein hohles Geräusch hören. »Dafür kann ich mir viel kaufen.«

Christoph lachte. »Für das Geld, das du für die Filmrechte bekommen hast, kannst du dir eine ganze Menge kaufen.«

»Aber offenbar keinen Einfluss auf die Besetzung.« Das machte Rabea erneut wütend.

»Nein, das nicht«, gab Christoph zu. »Aber bitte . . . Denk doch einmal darüber nach. Beurteilst du ein Buch nach dem Cover oder nach dem Inhalt? Bei einem Film ist es genauso.«

»Und bei einer Schauspielerin wie Frau . . . Savalas?« Rabeas ironischer Unterton war unüberhörbar. »Sie wird nicht einfach zehn oder fünfzehn Jahre älter von heute auf morgen. Und wenn man ihr noch so viel Schminke ins Gesicht schmiert.«

»Sicher, da hast du recht«, stimmte Christoph ihr bei. »Aber sie ist wirklich die richtige Wahl, glaub mir.«

»Schläfst du mit ihr?«, fragte Rabea nun doch. Das hier war nicht die Öffentlichkeit, es war ein privates Gespräch.

»Wie willst du wissen, ob ich dir die Wahrheit sage?«, fragte er zurück. »Aber wenn du bereit bist, mir zu glauben: Nein, das tue ich nicht. Ich habe nicht nur sie für die Rolle getestet. Sie war einfach die Beste. Diejenige, die sofort in das Szenario passte.«

»Wenn du es sagst . . .« Rabea seufzte. »Anscheinend geht mich das ja alles nichts an. Obwohl mein Name auf dem Filmplakat steht und der Titel des Films mit dem Titel des Buches identisch ist.«

»Bitte, Rabea, sei nicht böse«, bat er. »Es wird ein guter Film. Das verspreche ich dir.«

Damit nicht im Geringsten zufrieden schüttelte Rabea den Kopf. »Ich werde nicht mehr ans Set kommen und mir die Katastrophe ansehen«, entgegnete sie knapp. »Also kannst du schalten und walten, wie du willst, ohne dass ich dir dazwischenfunke. Und dieser . . . Alexis.«

Sie legte mit einem lauten Geräusch auf, indem sie gleichzeitig das Handy auf den Tisch warf.

In ihr zitterte immer noch ein wenig die Wut, aber sie nahm ab. Sie hasste dieses Gefühl der Hilflosigkeit. Sollte sie doch noch einmal einen anderen Anwalt oder eine andere Anwältin fragen? Hatte das irgendeinen Sinn?

Vermutlich nicht. Sie glaubte Christoph im Grunde ja schon. Bisher hatte es nie Probleme gegeben bei den Verfilmungen, deshalb war ihr der Vertragstext eigentlich schnuppe gewesen. Sie hatte eine Menge Geld bekommen, und die Filme waren . . . na ja, nicht so, wie sie sie gedreht hätte, aber an und für sich schon okay.

Die Schauspielerinnen und Schauspieler wären vielleicht nicht ihre erste Wahl gewesen, doch auf diesem Gebiet kannte sie sich nicht aus. Praktisch nie entsprachen die Darsteller dem äußeren Abbild der Figuren, wie sie sie sich beim Schreiben vorgestellt hatte.

Zuletzt spielte das aber keine Rolle. Für die Umsetzung ihrer Geschichten hatte es gereicht.

Wie eine Alexis Savalas ihre Geschichte umsetzen sollte, das war ihr ein Rätsel. Sie konnte ihre Zeilen ja nicht in einem Sack sprechen.

Auf einmal umspielte ein diabolisches Lächeln Rabeas Lippen. Vielleicht wäre das besser gewesen.

Für Thriller musste man sich immer böse Sachen ausdenken. Deshalb war Rabea an böse Gedanken gewöhnt. Sie lebte mit ihnen, sie schrieb sie hin, und sie störte sich in keiner Weise daran.

Sollte sie einfach einen Thriller mit Alexis Savalas als Hauptperson schreiben? Wofür wäre sie besser geeignet, als Serienmörderin oder als Opfer?

Für Rabeas mentale Rache wäre Opfer natürlich besser gewesen. Das Dumme an Opfern war nur, dass sie meistens nicht lange lebten. Im Gegensatz zum Serienkiller.

Das – so musste sie ehrlich vor sich selbst zugeben – passte aber nun wirklich nicht zu dieser Alexis. Noch weniger als die Rolle, die sie jetzt zugesprochen bekommen hatte.

Rabea dachte an ihr großes Vorbild Patricia Highsmith. An wen erinnerte man sich aus ihren Büchern? An Ripley. Kannte man den Namen irgendeines Opfers überhaupt?

Der Mörder war vielleicht nicht direkt eine Sympathiefigur, aber da die Autorin ihn anscheinend wesentlich besser verstand als seine oft als bedeutungslos dargestellten Opfer, wurde auch das Publikum in diese ihre Sichtweise hineingezogen. Das beabsichtigte man schließlich als Autorin.

Rabea tat das auch. Ihre Hauptfiguren mussten nicht primär sympathisch sein, aber man musste ihre Motive nachvollziehen können.

Es gab genügend Personen im realen Leben, bei denen Rabea durchaus verstanden hätte, wenn jemand diese Menschen vom Leben zum Tod befördert hätte. Sie selbst tat das jedoch nur in ihren Büchern. So eine Tat tatsächlich auszuführen, darüber hatte sie nie nachgedacht. Das wäre ihr sehr surreal erschienen.

Wohingegen es ihr in ihren Büchern überhaupt nicht surreal erschien. Dort erschien es ihr realer als in der Wirklichkeit. Das war ihre Welt.

Vielleicht war das das Problem. Dieses Kind, diese Alexis gehörte zur realen Welt, und in der lebte Rabea nur bedingt. In ihr konnte sie kaum beeinflussen, wie andere Menschen sich verhielten, wie sie sprachen, was sie dachten, welche Schlüsse sie daraus zogen.

In ihren Büchern konnte sie das immer. Jede Figur konnte nur das tun, denken, beabsichtigen oder als Glaubenssatz formulieren, was Rabea sich für diese Figur ausgedacht hatte. Ob die Figur zum Täter oder Opfer wurde, war Rabeas Entscheidung. Wie sie sich bis dahin verhielt, ebenso. Nichts blieb dem Zufall überlassen oder war unerwartet. Alles folgte Rabeas Plan.

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