Mit den beiden Gläsern in der Hand ging sie in das zurück, was die Immobilienmaklerin beim Verkauf des Hauses voller Stolz in der Stimme Salon genannt hatte.
Ein Zimmer, um Gäste zu empfangen. In einem wunderbaren Art-déco-Stil gestaltet wie das ganze Haus. Es stammte aus den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts.
Rabea hatte diesen sogenannten Salon praktisch noch nie benutzt. Sie wechselte meistens nur zwischen Arbeitszimmer und Schlafzimmer, obwohl das Haus wesentlich mehr Zimmer besaß.
Die großzügige Weitläufigkeit genoss sie zwar, ebenso wie die des Parks, der sie vor unerwünschten Blicken schützte, auch vor denen gewisser Paparazzi, die einzelnen Zimmer bedeuteten ihr jedoch bis auf ihr eigenes Arbeitszimmer nichts.
Am liebsten hätte sie sich in das Arbeitszimmer auch noch eine Couch und ein Bett hineingestellt, sodass sie es gar nicht mehr verlassen musste. Das wäre dann jedoch etwas eng geworden.
Ein anderes Zimmer wollte sie aber auf keinen Fall zu ihrem Arbeitszimmer machen, weil sie gleich beim ersten Anblick gespürt hatte, dass dieses Zimmer ihr Zimmer war. In keinem sonstigen wollte sie arbeiten oder hatte das Gefühl, überhaupt arbeiten zu können.
Und so wechselte sie zum Schlafen ins Schlafzimmer.
Das Einzige, was sie zusätzlich in ihrem Arbeitszimmer hatte unterbringen können, war eine Corbusier-Liege, die zuvor im Salon gestanden hatte.
Auf der erholte sie sich zwischendurch oder ließ ihre Gedanken schweifen, dachte über den weiteren Verlauf ihrer aktuellen Geschichte nach.
Manchmal nahm sie auch ihren Laptop auf den Schoß und arbeitete auf der Liege, die bei ihrer Erfindung noch Chaiselongue genannt worden war. Was ihrer Eleganz und Außergewöhnlichkeit wesentlich mehr entsprach.
Es kamen Rabea hier andere Gedanken als am Schreibtisch. Auch wenn sie sich das nicht erklären konnte.
Bevor sie den Salon wieder betrat, straffte sie ihre Schultern. Sie wollte sich gegen Alexis’ Anblick wappnen. Er würde sie erneut erschüttern, das wusste sie.
Schon damals bei ihrer ersten Begegnung, als sie ineinander hineingelaufen waren, hatte sie dieses Kribbeln gespürt, das nur eins bedeutete. Durch die Umstände hatte es sich verflüchtigt, aber nun hatten sich die Umstände geändert.
Sie überschritt die Schwelle – in diesem alten Haus gab es tatsächlich bei jeder Tür eine Schwelle, die sich etwas vom Boden erhob – und ging in den Salon hinein, trat mit den beiden Gläsern auf Alexis zu.
»Ihr Wasser«, sagte sie und wollte Alexis das stille Wasser reichen, aber da hatte Alexis schon die Hand ausgestreckt und nach dem Mineralwasser gegriffen.
Rabea blieb gar nichts anderes übrig, als ihr das Glas zu überlassen, wenn sie sich nicht lächerlich machen wollte, und so blieb sie mit dem Leitungswasser in der Hand zurück.
Das würde sie nicht trinken können, aber noch einmal in die Küche gehen und sich selbst auch ein Glas Mineralwasser holen wollte sie auch nicht.
Alexis nahm einen Schluck. »Ah, wunderbar bei dieser Hitze«, bemerkte sie genüsslich ausatmend. »Auch wenn es hier im Haus angenehm kühl ist. Klimaanlage?«
»Gute Bausubstanz«, erwiderte Rabea. »Früher hat man Häuser nicht aus Pappmaché gebaut.«
»Sie haben dieses Haus aber nicht selbst gebaut, oder?«, fragte Alexis.
»Das Haus ist hundert Jahre alt!« Diesmal hatte Rabea ihre Empörung nicht verbergen können, so schnell war sie in ihr aufgestiegen.
»Oh, Entschuldigung.« Mit ihrem bezaubernden Lächeln nickte Alexis Rabea leicht zu. »Selbstverständlich sind Sie nicht so alt. Das wollte ich nicht damit sagen.«
»Na, vielen Dank.« Unwillkürlich nahm Rabea einen Schluck von dem Wasser aus dem Glas, das sie noch in der Hand hielt, und hätte sich fast geschüttelt.
»Bitte . . .« Nun legte Alexis beide Hände um ihr Glas und sah sie mit einem geradezu flehenden Ausdruck in den Augen an. »Haben Sie Geduld mit mir. Ich bin nicht hergekommen, um Sie zu ärgern. Wirklich nicht.«
Kann ich das glauben? dachte Rabea nur. Sie sagte es nicht.
Zu sehr war sie fasziniert von Alexis’ Augen, in denen die samtige Dunkelheit des nächtlichen Mittelmeerhimmels schimmerte. Griechenland musste schön sein. Und brachte offenbar sehr schöne Menschen hervor, wie Alexis bewies.
Rabea war noch nie in Griechenland gewesen. Sie fuhr nicht gern in Urlaub. Ihre Abenteuer erlebte sie zu Hause. Meistens in ihrem Arbeitszimmer, manchmal aber auch in ihrem Schlafzimmer.
»Wie lange leben Sie schon in Deutschland?«, fragte sie.
Leise lachte Alexis auf, was vibrierende Schwingungen in Rabea erzeugte, die ihre Knie weich werden ließen. »Ich bin hier geboren. Meine Eltern sind schon lange vor meiner Geburt hergekommen. Sie haben ein griechisches Restaurant.«
Was auch sonst? dachte Rabea und sagte es wieder nicht.
Dabei hätten solche Bemerkungen Alexis doch vielleicht vertreiben können. Wollte sie das gar nicht?
»Natürlich willst du das nicht«, hörte sie da auf einmal eine Stimme in ihrem Kopf, die sie jetzt gerade überhaupt nicht gebrauchen konnte.
»Verschwinde!«, knurrte Rabea unterdrückt. »Du hast hier nichts zu suchen.«
»Oh. Ja. Selbstverständlich.« Alexis stellte ihr Glas ab und sah Rabea an. »Ich gehe.«
Habe ich das tatsächlich laut ausgesprochen? In Rabeas Nacken stellten sich alle Härchen auf. »Nein.« Ohne darüber nachzudenken, griff sie nach Alexis’ Arm, als die an ihr vorbeiging, um zur Tür zu gelangen. »Sie habe ich nicht gemeint.«
Erstaunt blickte Alexis sie an und sah sich dann im Zimmer um. »Sonst ist hier niemand.«
Für einen kurzen Augenblick schloss Rabea die Augen und öffnete sie gleich wieder. »Nein, sonst ist hier niemand«, bestätigte sie. »Nur meine schriftstellerische Imagination. Verzeihen Sie bitte. Ich wollte das nicht laut sagen. Es war wirklich nicht an Sie gerichtet.«
Zweifelnd ließ Alexis den Blick ihrer dunklen Augen ein paar lange Sekunden auf Rabea ruhen. Sie sagte nichts mehr. Dann wanderte derselbe Blick auf ihren Arm, den Rabea immer noch festhielt.
Im gleichen Moment bemerkte Rabea, wie ihre Hand zu kribbeln anfing. Nein, nicht nur ihre Hand, ihr ganzer Arm. Oder hatte er das schon die ganze Zeit getan? Jeden Sekundenbruchteil, seit Rabea Alexis berührt hatte?
Doch obwohl sie es bemerkte, konnte sie ihre Hand nicht von Alexis fortziehen, die Verbindung nicht auflösen. Es war, als hätte sie jemand aneinandergekettet oder sogar aneinandergeklebt. Mit unauflöslichem Sekundenkleber.
Alexis beugte sich zu Rabea hinunter und küsste sie leicht auf die Wange. »Hast du es wirklich nicht so gemeint?«, fragte sie leise.
Das Vibrieren, das in ihrer Stimme lag, schien auf einmal Rabeas ganzen Körper zu durchziehen.
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