Alexis folgte ihr und war überrascht, wie hell das Zimmer war. Es war, als ob sich in diesem dunklen Haus eine Pforte zum Himmel öffnete.
»Das ist . . .«, sie drehte sich ein wenig hin und her, um das große Zimmer erfassen zu können, »schön. Ein schönes Zimmer.«
»Kam mit dem Haus«, sagte Rabea. »Ich benutze es fast nie.«
»Das ist schade.« Erneut lächelte Alexis sie an, und erneut wandte Rabea sich abrupt von ihr ab. »Ich würde in dieses Zimmer gern Freunde einladen, wenn ich so eins hätte.«
»Vermutlich haben Sie viele Freunde«, raunzte Rabea. »Ich nicht.«
Warum wundert mich das jetzt nicht? dachte Alexis.
»Ja, ich habe viele Freunde«, antwortete sie auf Rabeas Mutmaßung. »Und Freundinnen natürlich auch.«
Ließ das Rabea stutzen? Argwöhnte sie etwas hinter dieser Aussage?
»Sicher«, sagte sie jedoch nur, öffnete die Tür an einem Art-déco-Schrank, schloss sie dann aber gleich wieder. »Ach so. Sie wollten ja nur Wasser.«
»Ich trinke, was Sie trinken«, bot Alexis rasch an. »Bitte machen Sie sich meinetwegen keine Umstände.«
Frostig warf Rabea einen Blick über die Schulter zurück. »Sie sind ein Umstand«, sagte sie.
Himmel! dachte Alexis. Warum bin ich bloß hergekommen?
Aber nun war sie einmal da und musste da durch. Eine andere Wahl hatte sie wohl nicht.
Sie breitete leicht die Arme aus. »Ich kann nur noch einmal mein Bedauern ausdrücken. Ich wollte Sie wirklich nicht stören.«
»Sie hätten anrufen können«, schnappte Rabea. Dann lachte sie leicht spöttisch. »Aber ich hätte vermutlich nicht abgenommen.«
»Dann hätte sich der Anruf ja gar nicht gelohnt«, sagte Alexis. »Also ist es doch gut, dass ich direkt vorbeigekommen bin.«
Rabea drehte sich auf dem Absatz um, warf einen kurzen Blick auf Alexis, den Alexis nicht einordnen konnte, und ging dann durch eine zweite Tür aus dem Zimmer hinaus.
Vielleicht in die Küche, um ein Glas Wasser zu holen.
7
Meine Güte! Rabea hätte sich das Wasser, das sie gerade in ein Glas fließen ließ, genauso gut – und vielleicht sogar lieber – über den Kopf gießen können, um sich abzukühlen. Hitze wallte durch ihren Körper, und sie wusste ganz genau, dass das nicht am Wetter lag.
Was hatte sie nur geritten, diese Frau hereinzulassen? In ihr ureigenstes privates Reich, das sie so gegen Eindringlinge verteidigte?
So richtig wusste sie das nicht. Es war eben einfach geschehen.
Rabea hatte die Klingel gehört und eigentlich gar nicht aufmachen wollen. Letztendlich hatte sie dann doch auf ihren Handy-Bildschirm geschaut, der das Bild, das die in einem Baum versteckte Kamera aufnahm, wiedergab, und war zur Salzsäule erstarrt. Sie hatte Alexis sofort erkannt.
Und diese Person, die da nun draußen vor der Rabea schützenden Umfriedung stand, war wirklich die letzte Person, die sie sehen wollte.
Über die Unverschämtheit, dass Alexis einfach so vor ihrer Haustür – oder eher vor ihrer Schlupftür – auftauchte, ohne sich vorher angemeldet zu haben, hätte Rabea sich stundenlang aufregen können.
Sie hätte einfach an ihrem Schreibtisch sitzenbleiben können, gar nicht reagieren müssen. Und doch war sie nach einer Weile aufgestanden und langsam zur Tür gegangen.
Selbst dort hatte sie noch gezögert, den Knopf für die Gegensprechanlage zu betätigen, und auch in diesem Fall hatte sich ihre Hand gehoben, ohne dass sie sich daran erinnern konnte, ihr den Befehl dazu gegeben zu haben. Zum Schluss drückte ihr Finger genauso unbewusst den Knopf.
Schon als Alexis ihren Namen nannte, mit dieser tiefen, dunklen Stimme, die so erotisierend wirkte, war es um Rabeas Beherrschung im Prinzip geschehen gewesen. Doch das wollte sie auf keinen Fall zeigen.
Also gab sie sich so hart und abweisend, wie sie konnte. Vielleicht würde das ja Alexis vertreiben.
Doch das hatte es nicht getan. Die Jugend kannte kein Kapitulieren. Wenn Alexis etwas wollte, war sie offenbar genauso wie Rabea. Aufgeben war keine Option.
Als Rabea diese Gemeinsamkeit erkannte, begann ihr Kopf zu schwirren. Was wollte Alexis wirklich? Rabea stalken? Sich an ihr rächen?
Im Grunde genommen hatte Rabea ihr doch nichts angetan. Sie hatte es versucht, das ja, aber es hatte nicht geklappt.
Und zum Schluss war das schließlich ihr gutes Recht gewesen als Autorin des Buches, das da verfilmt wurde. Das zumindest musste diese junge Barschönheit doch einsehen.
Merkwürdigerweise sah Rabea Alexis tatsächlich oft auf einem Barhocker sitzen wie Lauren Bacall früher in irgendeinem Schwarz-Weiß-Film, einen Whisky schlürfend und die langen Beine verführerisch übereinandergeschlagen.
Niemals hätte sie natürlich zugegeben, dass Alexis immer einmal wieder in ihren Gedanken war. Rabea vertrieb sie daraus, so schnell sie konnte, aber dass Alexis zurückkam, konnte sie nicht verhindern.
Sie kam in ihre Gedanken, wie sie jetzt an den Zaun des Parkgeländes gekommen war. Unangemeldet, unaufgefordert und störend.
Rabea atmete tief durch. Das war sie in erster Linie, dieses junge Ding: eine Störung. Eine Störung in Rabeas fast immer gleichem Tagesablauf, der mit Schreiben begann und mit Schreiben endete. Da hatte niemand anderer Platz als sie selbst und ihre Figuren.
So etwas interessierte eine junge Ballschönheit wie Alexis natürlich nicht. Für sie war die Welt ihr ureigenstes Besitztum. Ihr Spielplatz, ihr angestammtes Geburtsrecht. Wenn man jung war, sah man das ja oft noch so.
Ihren eigenen Spielplatz hatte Rabea in ihre Bücher verlegt, weil die Welt leider nicht so war, wie man sie sich als junger Mensch oft noch vorstellte. Deshalb erschuf Rabea sich ihre eigene Welt, ihre eigenen Welten, immer wieder aufs Neue.
Dort konnte sie schalten und walten, wie sie wollte. Niemand hielt sie davon ab, eine Welt zu erschaffen, wie sie selbst sie sich wünschte, aber nie vorgefunden hatte.
Wünschte sie sich tatsächlich eine Welt voller Serienkiller? Für einen Moment überlegend zog sie die Augenbrauen zusammen, sodass sich eine steile Falte dazwischen bildete.
Nein, das tat sie nicht, aber es war ihr Bild von der Welt, dass sie voller böser Dinge war. Voller böser Menschen. Voller böser Taten. Voller Enttäuschungen, von denen sie genug in ihrem Leben gehabt hatte. Das brauchte sie nicht mehr.
Sie jammerte deshalb nicht herum, verfiel nicht in Depressionen oder machte irgendjemandem Vorwürfe aufgrund dessen, aber sie hatte sich zurückgezogen.
Zurück in ihr eigenes Reich, ihre eigenen Welten, in denen sie niemand stören sollte. In die sie niemanden hereinließ, wenn sie es vermeiden konnte, weil sie nur ihr gehörten.
Und dann kam da so eine Alexis an . . .
Aber was konnte sie, Rabea, jetzt noch daran ändern? Sie hatte den Fehler gemacht. Die Tür geöffnet.
Sie nahm ein zweites Glas und goss sprudelndes Mineralwasser hinein. Stilles Wasser mochte sie nicht.
Doch das Leitungswasser hatte eine so gute Qualität, dass sie es Gästen durchaus anbieten konnte. Wie jetzt auch Alexis. Nach Aussagen vieler Leute schmeckte es sogar besser als stilles Wasser aus Flaschen.
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