Rabea schnappte nach Luft. Das war doch dieses . . . Scriptgirl!
Das war sie jedoch offensichtlich nicht, denn sie lehnte sich lässig, geradezu lasziv mit ihrem geschmeidig langen Körper an den Rahmen der Tür und steckte sich eine Zigarette an.
So blieb sie eine Weile stehen und ließ ihren Schlafzimmerblick – den sie wirklich extrem gut beherrschte – auf die Kamera wirken.
»Danke!«, rief der Regisseur.
Rabea war ganz erschlagen von diesem Blick, den die junge Frau, mit der sie zuvor zusammengestoßen war, nun wie eine Lampe abschaltete.
»Und? Wie findest du sie?« Mit einem erwartungsvollen Gesichtsausdruck wandte der Regisseur sich an Rabea.
»Wen?«, fragte Rabea, indem sie ihre Stimme fast auf ein Flüstern senkte, damit sie nicht kratzte.
»Na sie!« Er wies mit weit ausholender Geste auf die Kulissentür, die jetzt allerdings wieder geschlossen war. »Eine Neuentdeckung. Es ist ihr erster Film als Hauptdarstellerin.«
»Hauptdarstellerin?« Jetzt krächzte Rabeas Stimme tatsächlich, weil sie vor Empörung vergessen hatte zu flüstern. »Sie?«
»Ja, ich weiß. Sie ist noch sehr jung«, erklärte der Regisseur. »Aber sie hat eine Mordsausstrahlung. Das musst du zugeben.« Er hob den Arm und winkte in die Kulissen. »Alexis! Kommst du mal bitte her?«
Wie aus dem Dunkel der Nacht trat Alexis aus dem Schatten des Beleuchtungskegels ins Licht und kam dann zu ihnen herüber.
»Ich möchte dir die Autorin des Bestsellers vorstellen, nach dem wir diesen Film drehen«, begrüßte er die junge Frau. »Rabea Cotillard.« Er wies auf Rabea. »Alexis Savalas.« Nun wies er auf die Schauspielerin.
Das Gesicht von Alexis blieb unbewegt, als sie Rabea die Hand hinstreckte. »Guten Tag.«
Obwohl Rabea das lieber nicht getan hätte, folgte sie der Aufforderung, Alexis die Hand zu geben, um gewisse Regeln der Höflichkeit einzuhalten.
Sie hatte den Schlag schon erwartet, als ihre Hände sich berührten, und zog deshalb ihre eigenen Finger so schnell wie möglich zurück. »Guten Tag, Frau Savalas.«
»Ach, sagen Sie doch Alexis«, forderte Alexis sie auf. »Sie sind so viel älter als ich.«
Oh. Der Schlag war fast noch härter als der zuvor an ihrer Hand. Ob das die Rache für ihren Zusammenstoß war? Und Rabeas Süffisanz?
»Sie hingegen müssen gerade erst die Schule verlassen haben«, gab sie trocken und wie sie hoffte unbeeindruckt erscheinend zurück.
Alexis lachte leise. Auf einmal begannen ihre wie dunkle Kristalle schimmernden Augen zu sprühen. »Nicht gerade«, erwiderte sie mit ihrer volltönenden, jetzt aber offensichtlich mit Absicht leicht vibrierenden Stimme. »Aber es ist sicher nicht so lange her wie bei Ihnen.«
Endlich bekam der Regisseur mit, dass hier etwas nicht stimmte. »Kennt ihr euch?«, fragte er von einer zur anderen blickend.
»Nein«, sagte Rabea sofort. »Wir sind nur vorhin am Eingang . . .«
». . . etwas unglücklich zusammengestoßen«, nahm Alexis ihr das Wort aus dem Mund, als Rabea kurz stockte. »Es war meine Schuld.«
Für eine Sekunde verhielt Rabea sprachlos. »Ja, es war Ihre«, bestätigte sie dann, so lässig sie konnte, während Alexis’ Nähe ihr heiße Schauer durch den Körper jagte. »Das Ungestüm der Jugend.«
Bei dieser letzten Bemerkung nahm sie das heimliche Aufblitzen in Alexis’ Augen wahr und zog eine gewisse Befriedigung daraus.
Wahrscheinlich hatte das junge Ding angenommen, dass Rabea zuvorkommend zugeben würde, dass es nicht das Ungestüm der Jugend, sondern Rabeas Ärger über diesen zu einem Verkehrshindernis mutierten Autofahrer gewesen war. Aber das konnte sie sich abschminken.
»Ist was passiert dabei?«, fragte der Regisseur. Besorgt betrachtete er vor allem Alexis’ makelloses Gesicht.
»Nein, nichts«, erklärte die, lächelte ihn an und übertrug dieses Lächeln dann auch auf Rabea.
Es war ein Wahnsinnslächeln, aber es war eindeutig nicht echt. In der Beziehung war sie auf jeden Fall eine gute Schauspielerin. Wenn dieses Lächeln von der Kamera aufgezeichnet wurde, musste es die Leute im Zuschauerraum erschlagen.
Kurz dachte Rabea an die Figur, die sie sich ausgedacht hatte und die Alexis jetzt spielen sollte. In Rabeas Buch war es eine Mittdreißigerin gewesen. Dieses Kind hier –
»Sie passt nicht, Christoph«, äußerte sie mittlerweile schon ziemlich gereizt, sich nun ganz auf den Regisseur konzentrierend, damit sie sich überhaupt konzentrieren konnte. »Sie ist viel zu jung für die Rolle.«
Er runzelte die Stirn. »Ich wusste, dass du das sagen würdest«, bemerkte er. »Aber sie hat die Ausstrahlung. Alles andere ist doch nicht so wichtig.«
Am liebsten hätte sie Christoph gefragt: »Schläfst du mit ihr?«, aber so weit wollte sie es in aller Öffentlichkeit dann doch nicht treiben.
Der Grund, warum diese Alexis für die Rolle besetzt worden war, war ja auch völlig nebensächlich. Sie passte einfach nicht.
Und diese Ansicht wiederholte Rabea noch einmal. »Sie passt nicht. Willst du das etwa bestreiten? Hast du mein Buch überhaupt gelesen?«
»Mein Regieassistent hat es für mich zusammengefasst«, erwiderte er. »Und die Drehbuchleute haben einige deiner Dialoge übernommen. Sie fanden sie sehr gut.«
»Das weiß ich«, schnappte Rabea. »Ich schreibe hervorragende Dialoge. Daran muss nichts geändert werden.«
»Na ja . . .« Regisseur Christoph Holzer versuchte offensichtlich, eine direkte Antwort zu vermeiden.
»Nichts na ja«, feuerte Rabea nun wirklich erbost zurück.
Denn sie wusste, dass nicht nur sie fand, dass ihre Dialoge erste Sahne waren. Jeder Drehbuchautor sollte sich danach die Finger lecken. Die wenigsten konnten es genauso gut wie Rabea.
»Sie passt nicht. Schmeiß sie raus!«
»Das . . . Rabea . . .« Entsetzt starrte er sie an. »Das geht nicht. Sie hat einen Vertrag, und die meisten Szenen, in denen sie auftritt, sind schon auf sie zugeschnitten. Das gibt Verzögerungen, kostet ein Vermögen –«
»Man könnte mich älter schminken«, mischte sich da völlig unerwartet Alexis ein. »Das ist doch kein Problem. Und außerdem . . .«, sie trat ganz nah auf Rabea zu, »wollte ich Sie sowieso noch fragen, wie Sie sich die Figur vorgestellt haben. Vielleicht könnten Sie mir das . . . persönlich erklären?«
Hätte sie etwas dazu gesagt, hätte Rabea zugeben müssen, dass Alexis sie mit diesem Vorschlag völlig überrumpelt hatte. Doch so etwas gab sie niemals zu.
»Wie stellen Sie sich das denn vor?« Aufgebracht trat sie einen Schritt zurück, um der irritierenden Nähe von Alexis zu entkommen.
Was aber nicht viel nützte, denn ein Meter mehr oder weniger, das machte nichts aus. Alexis’ Ausstrahlung schaffte es locker bis zur Ausgangstür des Sets. Und die war mindestens fünfzig Meter entfernt.
Jetzt hob sie eine Hand und strich mit einem Finger auf eine geradezu liebevolle Art über das Revers von Rabeas Mantel. »Ich liebe Trenchcoats«, hauchte sie mit ihrer tiefen und dunklen, so erotisierenden Stimme.
Ich muss hier weg! In Rabea machte sich fast so etwas wie Panik breit. Noch nie war eine Frau so selbstverständlich in ihren persönlichen Raum eingedrungen, ohne dass Rabea es ihr erlaubt hatte.
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