Für einen Augenblick schien der Rauschgoldengel, der allerdings jetzt etwas staubig aussah, Nein sagen zu wollen, doch dann holte sie tief Luft. »Mein Wagen hat dahinten den Geist aufgegeben«, erklärte sie und wies die Straße entlang, woher sie gekommen war. »Und ich muss nach Langley.«
Sydney fragte sich, wo ihr Hüne geblieben war. Der hätte sie sogar nach Langley tragen können. Aber anscheinend hatte er sie nach der sicherlich leidenschaftlich verbrachten Nacht sich selbst überlassen. Netter Kavalier.
»Daher komme ich gerade«, sagte Sydney. »Ich bin auf der Suche nach dem Lager der Traveller. Sie wissen nicht zufällig, wo das ist?«
Mackenzie runzelte die Stirn. »Die Traveller? Die sind hier?«
»Anscheinend«, sagte Sydney. »Aber Sie wissen dann wohl auch nicht, wo sie sind.«
»Nein.« Mackenzie zuckte die Schultern. »Tut mir leid.«
»Wenn Sie wollen, können Sie gern einsteigen«, sagte Sydney. »Aber ich fahre jetzt noch nicht nach Langley zurück. Ich muss erst zum Lager.« Mackenzies fragend gehobene Augenbrauen veranlassten sie dazu, fortzufahren: »Es könnte sein, dass sie die Teile haben, die an meinem Motorrad fehlen. Sie haben sie möglicherweise abgebaut, meinte Ted. Wenn ich sie zurückkriege, kann ich weiterfahren.«
Erstaunt lachte Mackenzie auf. »Von den Travellern etwas zurückkriegen? Glauben Sie wirklich, dass Sie das schaffen?« Sie öffnete die Tür und stieg ein. »Aber das würde mich auch interessieren, wie Sie das machen wollen.«
»Sie trauen mir wohl gar nichts zu, hm?«, fragte Sydney schmunzelnd, legte den Gang ein und fuhr weiter.
»Immerhin weiß ich jetzt, dass Sie nicht deshalb liegen geblieben sind, weil Ihnen das Benzin ausgegangen ist«, erwiderte Mackenzie. »Dadurch haben Sie einen Punkt zurückgewonnen.«
»Wie großzügig«, entgegnete Sydney amüsiert. »Sie vergeben Punkte?«
»Manchmal«, bestätigte Mackenzie. »Wie soll man Fremde sonst beurteilen? Man weiß nichts von ihnen.« Sie machte eine kleine Pause. »Während man von den Einwohnern alles weiß.«
Sydney hatte das Gefühl, dass in Mackenzies Stimme, als sie diese Aussage machte, eine gewisse Unzufriedenheit lag. Das bestätigte den Eindruck, den sie zuvor schon gehabt hatte. Wenn sie alles von den anderen Einwohnern wusste, wussten die auch alles von ihr. Manche Leute mochten das, andere nicht so.
Aus irgendeinem Grund dachte Sydney, dass Mackenzie das nicht mochte. Nicht immer und überall jedenfalls. Sie wollte ihre Geheimnisse haben, hatte sie vielleicht auch, und es war ihr gar nicht recht, wenn jemand dahinterkam.
Leider hatte Sydney keine Zeit, sich damit zu beschäftigen, sie hatte ihre eigenen Probleme. Aber es wäre ganz nett gewesen, einmal Zeit für eine Frau zu haben, die außergewöhnlicher zu sein schien, als das in so einer kleinen Stadt erlaubt sein konnte.
»Kann ich mir vorstellen.« Sie nickte und warf einen Blick vom Lenkrad zu ihrer neuen unerwarteten Mitfahrerin hin. »Sie wohnen schon Ihr ganzes Leben hier?«
»Nicht ganz.« Mackenzie schüttelte den Kopf. »Erst seit meinem achten Lebensjahr. Da sind meine Eltern bei einem Unfall gestorben. Mein Onkel und meine Tante haben mich danach aufgenommen. Meine Tante ist die Schwester meiner Mutter.«
»Ach so.« Die Stimmung war umgeschlagen, wie Sydney merkte. Von einer leichten, fast flirtigen gegenseitigen Neckerei in eine ernstere Atmosphäre. »Tut mir leid.«
»Ist schon lange her«, sagte Mackenzie. »Aber danke. Und Sie?« Sie wandte den Kopf zu Sydney. »Haben Sie Verwandte hier?«
Die Frage traf Sydney etwas überraschend. Sie musste überlegen, was sie antworten sollte. »Nein«, sagte sie. »Ich fahre hier nur so rum. Ist eine schöne Gegend.«
»Drüben auf der anderen Seite aber genauso«, entgegnete Mackenzie klarsichtig. »Und Sie kommen doch von drüben. Ihr Akzent . . .«
»Ja, sicher.« Sydney nickte. Dann lächelte sie belustigt. Das erinnerte sie an etwas. »Im Gegensatz zu Ihnen bin ich nicht so gut mit Akzenten. Sie scheinen ja mehrere zu beherrschen.«
Nun wirkte die andere überrascht. »Woher –? Ach so.« Anscheinend erinnerte sie sich jetzt auch.
»Ja, genau«, sagte Sydney. »Als wir uns zum ersten Mal getroffen haben, vor Teds Werkstatt. Sind Sie Schauspielerin?«
Verblüfft lachte Mackenzie auf. »Schauspielerin? Ich?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Es macht mir nur manchmal Spaß, jemand . . .«, sie zögerte, »anderer zu sein.«
Hmhm, dachte Sydney. Hab ich’s mir doch gedacht. »Was machen Sie denn?«, fragte sie. »Beruflich?«
»Ich arbeite in der Bank«, sagte Mackenzie. »Als Kassiererin.« Sie stutzte kurz und lachte dann. »Aber wenn Sie mich überfallen wollen, das lohnt sich nicht. Ich habe kein Geld dabei.«
»So schätzen Sie mich ein?« Gespielt missbilligend schaute Sydney sie an. »Dass ich Sie überfallen würde?«
Mackenzie spitzte die Lippen. »Ich finde, Sie sind schwer einzuschätzen«, sagte sie dann. »Aber nein, das traue ich Ihnen wohl doch nicht zu.«
»Vielen Dank für Ihr Vertrauen.« Sydney verbeugte sich spöttisch. »Das ehrt mich ja geradezu.«
»So war es nicht gemeint«, erklärte Mackenzie trocken und zog damit ihre Steilvorlage wieder zurück. »Es war nur eine Feststellung.«
»Dann lassen Sie sich versichert sein, dass Ihre Feststellung zutrifft«, bestätigte Sydney schmunzelnd. »Ich hatte nicht vor, Sie zu überfallen. Ich will nur, dass mein Motorrad wieder fährt, damit ich hier wegkann.«
Ein Wagen kam in Sicht, der am Straßenrand geparkt oder eher liegengeblieben war.
»Ist das Ihr Auto?«, fragte Sydney und wies mit einer Hand darauf.
»Das meines Onkels und meiner Tante«, sagte Mackenzie.
»Na, der scheint ja noch mehr Jahre auf dem Buckel zu haben als meiner hier«, stellte Sydney fest. »Kein Wunder, dass er es nicht bis Langley geschafft hat. Haben Sie einen Abschleppdienst gerufen?«
Mackenzie zuckte die Schultern. »Nicht direkt einen Abschleppdienst. Meinen Cousin Hank. Mein Onkel und er sind heute Morgen nach Langley gefahren, um Farmbedarf einzukaufen. Mein Onkel war eher zurückgekommen. Ich sollte den Wagen nach Langley bringen, damit Hank ihn dann mit den Einkäufen wieder auf die Farm bringen kann. Jetzt muss er schauen, wie er das schafft.«
»Ist Ihr Cousin ungefähr zwei Meter groß mit fast genauso breiten Schultern?«, fragte Sydney.
Mackenzie lachte. Und diesmal dachte Sydney, dass es vielleicht doch keine so gute Idee gewesen war, sie mitzunehmen. Denn langsam schmolz dieses Lachen ihre Eingeweide.
Wenn sie diese Traveller tatsächlich fand, musste sie all ihre Sinne beieinander haben und konnte sich keinen hormongesteuerten Unterleib leisten, der sie davon ablenkte.
»Nicht ganz«, sagte Mackenzie. »Aber wie kommen Sie darauf?«
»Er hat Sie gestern Abend in der Bar abgeholt«, antwortete Sydney und merkte gleichzeitig, wie froh sie war, dass dieser Hank Mackenzies Cousin war und also wohl kaum ihr Lover oder ihr zukünftiger Ehemann. Obwohl sie das ja überhaupt nichts anging. »Da habe ich ihn gesehen.«
»Ja, Hank ist wie Superman in Blond«, schmunzelte Mackenzie. »Das macht die Farmarbeit. Für mich ist er wie ein großer Bruder. Er hat mich vom ersten Tag an, als ich auf die Farm kam, beschützt.« Sie lachte wieder leicht. »Auch wenn ich das gar nicht wollte.«
Sydney lachte auch. »So wie er aussieht, kann es jedenfalls nichts schaden, von ihm beschützt zu werden. Ich könnte mir vorstellen, dass das das Leben manchmal erleichtert.«
»Oder erschwert«, seufzte Mackenzie. »Ich kann mich durchaus um mich selbst kümmern.«
Auf einmal erschien eine Abzweigung an der Straße mit einem Schild. So eine Art Campingplatz wurde angezeigt. Vermutlich genau das Richtige für Traveller.
»Könnte das der Platz sein?«, fragte Sydney und wies durch die Windschutzscheibe nach vorn. »An dem die Traveller letzten Winter waren?«
»Weiß ich nicht genau«, sagte Mackenzie. »Aber das könnte sein, ja.«
Sydney bog ab, und sie folgten der Straße, die bald in eine Siedlung überging. Eine Siedlung bestehend aus Wohnwagen und großen Trucks. Wenn das nicht die Traveller waren, fraß Sydney einen Besen.
Allerdings waren es wesentlich mehr Wagen, als Sydney erwartet hatte. Der Clan war wohl größer, als sie sich das hatte vorstellen können. Das waren Dutzende von Wohnwagen und Trucks.
Trotzdem war es zum Schluss dann nur ein kleines Dorf, in dem jeder jeden kannte. Also sollte es nicht schwer sein, die Buckley-Jungs zu finden.
»Bleiben Sie vielleicht besser im Wagen«, sagte sie, als sie ihre Tür öffnete. »Wahrscheinlich werden die nicht erfreut sein, wenn ich meine Sachen zurückhaben will.«
»Und den ganzen Spaß verpassen?« Heftig schüttelte Mackenzie den Kopf, sodass ihre Haare fast eine blonde Corona um ihren Kopf bildeten, bevor sie wieder herunterfielen. »Davon träumen Sie ja wohl!« Sie öffnete ihre eigene Tür und sprang sogar noch vor Sydney hinaus.
ENDE DER FORTSETZUNG