»Noch nicht«, sagte Mackenzie. »Aber wenn du willst, mache ich welchen.«

»Dieser Tee verdünnt mein Blut, bis ich gar keine Kraft mehr habe«, sagte ihre Tante. »Ich weiß nicht, was daran gut sein soll. Oder gesund.«

Das kannte Mackenzie schon. Ihre Tante trank Kaffee wie Wasser. Und er musste so stark sein, dass der Löffel darin stand. Kein Wunder, dass ihr etwas fehlte, wenn sie keinen bekam.

»Soll ich dir beim Anziehen helfen?«, fragte sie und reichte ihrer Tante eine Hand.

»Bin ich ein Baby?«, fragte ihre Tante gereizt zurück. »Nein, nein. Geh du in die Küche und mach Kaffee. Ich komme dann nach.«

Obwohl Mackenzie der Meinung war, dass ihre Tante sich noch etwas ausruhen sollte nach dem Sturz von der hohen Leiter, der sie bewusstlos am Boden zurückgelassen hatte, wusste sie, dass es sinnlos war, eine robuste Farmerin wie Anne Devlin von der Arbeit abhalten zu wollen. Im Bett zu liegen war die größte Strafe für sie, kein Vergnügen.

»Ist gut«, nickte sie deshalb, warf von der Tür her noch einmal einen Blick auf ihre Tante, die sich etwas mühsam, aber doch zielstrebig anzog, und ging in die Küche, um den Kaffee aufzusetzen.

»Du kannst den Truck nehmen«, bot ihr Onkel Will ein paar Stunden später an. »Hank kann ihn dann wieder zurückbringen. Er ist noch in der Stadt. Ich wollte nicht so lange warten, bis alles erledigt ist.«

An dem Blick, den er auf Anne warf, sah man, warum er zurückgekommen war. Er hatte sich Sorgen um sie gemacht.

»Ich kann noch hierbleiben«, sagte Mackenzie. »Bei der Arbeit helfen.«

»Du hast deine eigene Arbeit«, widersprach ihre Tante sofort. »Und mir geht es wieder gut. Die Knochen tun mir noch ein bisschen weh, das ist alles. Das verfliegt am besten bei der Arbeit. Also ist es gar nicht gut, wenn ich zu viel herumsitze, weil du alles tust.«

Da ihre Tante sich nichts gebrochen hatte – was ein Wunder war bei dem Sturz –, gab Mackenzie nach. Sie wusste, dass ihre Tante es hasste, sich überflüssig zu fühlen und bedient zu werden.

Sie würde sich die ganze Zeit mit ihr darum streiten müssen, wer einen Topf auf den Herd stellte oder einen Teller auf den Tisch, und zum Schluss würde ihre Tante gewinnen und Mackenzie nur herumsitzen. Was auch nicht der Sinn der Sache war.

»Du bist hier, Onkel Will?«, fragte sie sicherheitshalber.

»Die Steuer muss gemacht werden«, antwortete ihr Onkel nickend. »Wenn ich das jetzt nicht einreiche, muss ich Strafe zahlen. Ich werde wohl heute den ganzen Tag dafür brauchen.«

»Na dann . . .« Zögernd griff Mackenzie nach ihrer Tasche, stellte sie aber wieder ab, um noch einmal zu ihrer Tante zu gehen und sie vorsichtig, um ihr nicht wehzutun, zu umarmen. »Gute Besserung, Tante Anne. Wenn etwas ist, meldet euch bitte. Ich kann jederzeit kommen.«

»Musst du nicht«, sagte Anne. »Meine beiden Männer kümmern sich schon um mich.« Sie lächelte. »Aber es war nett, dass du gekommen bist. Wir sehen dich viel zu selten.«

Es lag kein Vorwurf in ihrer Stimme, und doch bekam Mackenzie sofort ein schlechtes Gewissen. Sie hätte einige der Wochenenden, die sie in Vancouver verbracht hatte, auch auf der Farm verbringen können. Aber sie hatte sich für Vancouver entschieden.

»Ich versuche, in Zukunft öfter zu kommen«, versprach sie, hauchte einen Kuss auf die Wange ihrer Tante und lächelte etwas entschuldigend. »In der Stadt hocke ich viel zu viel drin. Ich vermisse die frische Landluft.« Sie nickte ihrer Tante zu, dann ihrem Onkel und ging hinaus.

Der alte Truck stand auf dem Hof. Er war wirklich alt, denn für einen neuen war kein Geld da. Ihr Onkel hielt ihn notdürftig am Laufen, aber mittlerweile lag er mehr darunter, um etwas zu reparieren, als damit zu fahren.

Mackenzie hätte sich gewünscht, sie hätte mehr Geld verdienen können, um ihrem Onkel und ihrer Tante einen neuen Truck zu kaufen oder wenigstens einen jüngeren, aber leider kam sie gerade so mit ihrem Gehalt aus. Da blieb nichts übrig. Sie konnte sich noch nicht einmal selbst ein Auto kaufen. Weshalb sie immer mit dem Bus nach Vancouver fuhr.

Geschmeidig und kraftvoll – ein immer wieder nützliches Ergebnis ihres Eislauftrainings – hievte sie sich in die hochliegende Kabine und sank auf den durchgesessenen Sitz. Es war ein vertrautes Gefühl, aber sie seufzte, weil es auch nicht gerade bequem war. So weit war es aber nicht in die Stadt, bis dahin würde sie das kaum merken.

Als sie vom staubigen Vorplatz des Farmhauses auf die ebenso staubige Schotterstraße fuhr, die dorthin führte, schaute sie besorgt in den Himmel. Es war viel zu heiß und trocken. Das war nicht gut für die Ernte. Strahlend blauer Himmel war eine schöne Sache, wenn es nicht zu lange andauerte. Farmer brauchten den Regen, damit etwas wuchs.

Alles an dem alten Truck klapperte und schepperte, während sie Meter um Meter der unebenen Schotterpiste hinter sich brachte. Erst ein paar Kilometer weiter mündete die in die Teerstraße nach Langley.

Sie hoffte, dass nicht irgendwelche Teile abfallen würden, bevor sie in Langley war. Dann musste sie laufen.

Aber bisher hatte der Truck es noch immer geschafft, und darauf vertraute sie.

12

Hier war wirklich nichts los, dachte Sydney, während sie in dem panzerartigen Dodge, den der brummige Jeff Barnes ihr überlassen hatte, Richtung Süden fuhr. Irgendwo hier musste das Lager der Traveller sein. Wenn sie überhaupt hier lagerten. Denn bisher war noch nichts davon zu sehen.

Dafür sah sie auf dieser menschenleeren Straße plötzlich etwas anderes. Zuerst dachte sie, es wäre nur eine Luftspiegelung wegen der Hitze, aber dann erkannte sie, dass es eine Gestalt sein musste, die näherkam. Beziehungsweise Sydney kam der Gestalt näher, weil der Dodge – so alt er auch war – doch schneller fuhr, als ein Mensch laufen konnte.

Ob das jemand von den Travellern war? Dann war dies der richtige Weg.

Doch bald konnte Sydney die Gestalt besser ausmachen, und sie erkannte sie an den golden leuchtenden Haaren. Der Rauschgoldengel! Was machte die denn hier? Zu Fuß?

Sie hielt an, als sie nur noch ein paar Meter entfernt war, und beugte sich zum Seitenfenster. »Kann ich Sie mitnehmen?«

Mackenzie trat ans Fenster. »Wie kommen Sie denn zu dem Wagen?«

»Jeff Barnes hat ihn mir überlassen. Leihweise«, sagte Sydney. »Und Sie? Machen einen Ausflug? Zu Fuß?«

»Das Wetter ist so schön«, bemerkte Mackenzie ironisch. »Und ich habe ja sonst nichts zu tun.«

»Ah ja?« Sydney beherrschte ihre Mundwinkel nur schlecht. Sie zuckten mutwillig. »Also soll ich Sie nicht mitnehmen? Sie weiterhin Ihrem Freizeitvergnügen überlassen?«

Es war sehr unwahrscheinlich, dass diese Mackenzie das wollte, aber ehrlich gesagt konnte Sydney sie überhaupt nicht einschätzen. Obwohl sie sich ansonsten einiges auf ihre Menschenkenntnis einbildete. Doch diese Frau hatte bei all ihrer offensichtlichen Schönheit etwas Geheimnisvolles, das Sydney so noch nie begegnet war.

Lag vielleicht daran, dass sie sehr wenige sogenannte normale Leute kannte. Leute, die ein höchst alltägliches Leben in einer kleinen Stadt führten. Die einen Beruf hatten, der von ihnen verlangte, jeden Tag um die gleiche Zeit am selben Ort zu sein. Und einen definierten Feierabend hatten, an dem sie nach Hause gingen.

Andererseits konnte man genau diese Frau nicht unbedingt als normal bezeichnen. Es war nicht nur ihre Schönheit, die herausstach. Es war auch der Eindruck, den sie vermittelte. Nämlich dass das Leben in dieser Kleinstadt für sie nicht ausreichte. Dass sie sich etwas anderes wünschte.

Kingsley Stevens: Kopfüber ins Abenteuer mit dir

1 Meine Güte. Was für ein Tag! Mackenzie strich sich über die blonden Locken, die sich nicht ganz...
2 »Hey! Ich liebe Frauen in schwarzem Leder!« Sydney stellte das schwere Motorrad auf den...
Das wäre mehr Arbeit und weniger Geld gewesen. Weit weniger Geld. Dabei kam sie schon jetzt kaum...
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Sie war ziemlich zurückhaltend angezogen gewesen, stellte sie jetzt so im Nachhinein fest. Nicht...
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Lässig drehte Sydney sich zurück und wandte sich wieder ihrem Bier zu, nahm noch einen Schluck,...
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»Noch nicht«, sagte Mackenzie. »Aber wenn du willst, mache ich welchen.« »Dieser Tee verdünnt mein...
Für einen Augenblick schien der Rauschgoldengel, der allerdings jetzt etwas staubig aussah, Nein...