»Jetzt sofort. Soll ich dir die Papiere und den letzten Scheck per Post schicken, oder willst du vorbeikommen und das abholen? Sollten in ein paar Tagen fertig sein.«
Der anfängliche Schock verflog, Wendy wurde jetzt wütend. »Willst du mich verarschen? Sylvia, ich brauche diesen Job, meine Mutter wird mich umbringen!«, bettelte sie. »Kannst du mir nicht noch eine Chance geben? Ich verspreche, dass ich mich wirklich bessern werde.«
Sylvia atmete tief durch. »Wendy, es tut mir leid. Ich habe dir schon viel zu viele Chancen gegeben, dich zu bessern. Aber nun ist Schluss.«
Tränen liefen Wendy übers Gesicht. Sie schnappte sich ihre Handtasche und stapfte zur Tür.
Sylvia hielt sie nicht auf.
Knapp eine Stunde später trafen die neuen Saisonkräfte Diane und Roberta ein, um mit ihrer Arbeit zu beginnen.
Sylvia begrüßte sie und verbrachte den ganzen Tag damit, ihnen zu zeigen, wie die Kasse funktionierte und wie man Kunden bediente. Sie brachte ihnen bei, wie man Wein ordentlich einschenkte, welche Weinsorten es gab, wie sie sich unterschieden.
Es stellte sich heraus, dass Sylvias Entscheidung, sowohl Diane als auch Roberta einzustellen, genau richtig war.
Am Sonntagmorgen fühlte sich Danni schon viel besser als noch vierundzwanzig Stunden zuvor. Sie beschloss, auf dem Weingut vorbeizuschauen, wie sie es an Wochenenden oft tat.
»Du kannst dich einfach nicht von diesem Ort fernhalten, was?«, kommentierte Sylvia, als sie beide den Flur hinuntergingen. »Bist du hier, um nach den neuen Rebstöcken zu sehen?«
»Ja, heute ist ein guter Tag dafür. Also dachte ich, ich schnappe mir den Allrad und fahre aufs Rebfeld. Ich will ein paar Reihen ablaufen, um mir ein Bild von den Fortschritten zu machen«, erklärte Danni.
»Was würde ich nur ohne dich tun? Ich wollte das eigentlich heute erledigen, aber dank dir komme ich heute Abend vielleicht sogar mal zu einer anständigen Zeit nach Hause.«
»Wie ist es gestern mit Wendy gelaufen?«
»Nicht gut, sie war ziemlich verärgert und wollte, dass ich ihr noch eine Chance gebe.«
»Sag nicht, du hast ihr nachgegeben!«, platzte es Danni entsetzt heraus.
Sylvia lachte. »Nein, ich bin bei meiner Entscheidung geblieben. Aber ich hatte schon ein schlechtes Gewissen, weil sie weinend gegangen ist.«
»Und wem hast du den Job gegeben, Diane oder Roberta?«
»Ich habe sie beide eingestellt«, lächelte Sylvia.
»Alle beide?« Danni zögerte eine Sekunde. »Sylvia, ich weiß ja, wie knapp wir hier mit Personal sind, aber kannst du dir das denn leisten?«
Sylvia zuckte mit den Schultern. »Ich habe ein gutes Gefühl bei den beiden, und ich bin es leid, selbst all die Extraschichten zu machen. So kann ich mir vielleicht endlich mal ein wenig Freizeit gönnen. Ich habe die beiden auch für den Service ausgebildet, falls jemand freinimmt oder sich krankmeldet.
»Du hast es dir verdient, gute Entscheidung«, lobte Danni. »Heißt das, dass du jetzt mehr Zeit mit deinem Steuerberater verbringen kannst?«, scherzte sie.
»Haha, sehr komisch«, grinste Sylvia.
Im Laufe des Wochenendes ertappte sich Addison immer wieder dabei, wie sie an die attraktive Dunkelhaarige in Charlie’s Bar dachte. Wie kann man sich in der Öffentlichkeit nur so erniedrigen? fragte sie sich. Hat sie denn gar keine Selbstachtung? Jedenfalls hatte sie ein paar geile Moves drauf.
Addison schüttelte sofort den Kopf, um ihre Gedanken wieder in andere Bahnen zu lenken.
9
Der Montag kam viel zu schnell. Addison war ein wenig nervös, als sie zu ihrem Treffen mit Sylvia Carter fuhr.
»Guten Morgen«, begrüßte sie die Angestellten, als sie den Laden betrat. »Ich bin hier, um mich mit Sylvia Carter zu treffen, sie erwartet mich.«
»Ms. Graves?«, fragte eine junge Bedienung.
»Genau.«
»Gut, Ms. Carter hat uns gesagt, dass Sie kommen würden. Bitte folgen Sie mir.« Diane ging den Flur hinunter zu Sylvias Büro. Sie klopfte leise an und spähte dann hinein. »Addison Graves ist hier, um dich zu sehen.«
Auf Sylvias Wink hin trat Addison ein.
»Willkommen, schön, Sie kennenzulernen.« Sylvia stand auf und reichte Addison die Hand.
»Gleichfalls, und nochmals vielen Dank, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben.«
»Nun, wie am Telefon erwähnt, wird das ein kurzes Treffen, aber ich habe mir erlaubt, ein leichtes Mittagessen liefern zu lassen. Ich muss gestehen, dass ich neugierig bin, was der Zweck unseres Treffens ist«, sagte Sylvia.
»Ich weiß Ihre Zeit zu schätzen«, lächelte Addison.
Sylvia sah, dass das Lächeln echt und aufrichtig war. Was für ein wundervolles Lächeln sie hat, und wunderschönes langes blondes Haar. Sylvia mochte Addison auf Anhieb.
Sie ging zu einem runden Tisch in einer Ecke, wo ein kleines Buffet hergerichtet war, und bedeutete Addison, ihr zu folgen. »Ein paar Sandwiches und ein Salat, ich hoffe, das wird reichen. Also, Ms. Graves, was verschafft mir die Ehre?«
»Wie sie ja bestimmt schon wissen, habe ich die alte Hobson-Farm gekauft.«
»Ja, Mr. Wilson hat Ihren Namen schon das ein oder andere Mal erwähnt. Er mag Sie«, bemerkte Sylvia.
»Die Wilsons sind ein reizendes Paar. Es freut mich, sie kennengelernt zu haben.«
Sylvia nickte. »Sie sind alte Freunde der Familie und sehr gute Kunden, wie ich hinzufügen möchte.«
»Nun, das überrascht mich nicht.« Addison lachte leicht. »Jedes Mal, wenn sie mir einen Wein angeboten haben, war es einer von Ihnen«, sagte sie. »Was mich zu dem Grund meines Kommens bringt. Ich habe einen Vorschlag für Sie, und ich hoffe, dass Sie vielleicht nicht ganz abgeneigt sind.«
Sylvia lächelte. »Lassen Sie hören«, sagte sie mit einer einladenden Geste.
»Sie wissen ja, die Hobson-Farm war ein florierendes Weingut, bevor Mr. Hobson erkrankte. Ich habe Nachforschungen über das Gebiet und sein Potenzial angestellt«, begann Addison. »Jedenfalls suche ich jemanden, mit dem ich mich zusammentun kann. Jemanden, der das nötige Know-how und die Erfahrung hat, ein Weingut zu bewirtschaften, wovon ich profitieren möchte«, erklärte sie.
Sylvia runzelte die Stirn. »Und dieser Jemand bin ich?«, fragte sie skeptisch.
»Es ist mir klar, dass mein Weingut in diesem Jahr keinen Ertrag abwerfen wird, und es ist ungewiss, was das nächste Jahr bringt. Es muss viel Arbeit und Geld investiert werden, bevor ich Ergebnisse sehe.« Addison machte eine kurze Pause, denn der schwierige Teil kam jetzt erst. »Ich . . . ich hatte gehofft, in dieser Zeit mit Ihnen und Ihrem Team zusammenarbeiten und lernen zu können. Dann kann ich Ihr Fachwissen auf meinem Weingut anwenden und die Trauben so anbauen, wie Sie es tun würden.« Sie atmete durch und biss in ein Sandwich.
»Ich verstehe das immer noch nicht«, sagte Sylvia nachdenklich. »Warum sollte ausgerechnet ich Ihnen helfen? Was hätte ich davon?«
Addison fuhr fort: »Ich werde mein eigenes Weingut bewirtschaften, natürlich mein eigenes Geld darin investieren, aber gleichzeitig möchte ich für Sie arbeiten, wann immer ich kann. Und zwar unentgeltlich. Voraussichtlich die nächsten zwei Jahre, auf jeden Fall bis zu meiner ersten Ernte. Und dann verkaufe ich Ihnen meinen Ertrag für sechzig Prozent des Marktwertes.«