»Natürlich.« Dionysia nickte.

»Dann lass ich Sie beide jetzt allein«, verabschiedete sich Giorgos ganz offensichtlich erleichtert darüber, dass er von seiner Aufgabe endlich entbunden war.

3

»Rate, wer vorhin bei meinem Zumbakurs war.« Johanna warf ihre Tasche mit dem verschwitzten T-Shirt auf ihr Bett und sah erwartungsvoll zu Mirena.

»Wer?« Ihre Mitbewohnerin runzelte die Stirn.

»Die neue Chefin.« Johanna grinste breit. »Übrigens eine ziemlich attraktive Chefin.«

»Hat sie mitgemacht?« Mirenas Interesse war geweckt. »Wie alt ist sie? Wie sieht sie aus?«

Johanna lachte, während sie sich ein Glas Wasser eingoss. »Natürlich hat sie nicht mitgetanzt, auch wenn sie bestimmt eine gute Figur gemacht hätte. Sie war mit diesem schleimigen Giorgos Stammatakis dort. Wahrscheinlich hat sie sich das Hotel angesehen.« Sie nahm einen großen Schluck. »Aber zumindest hat sie mir interessierte Blicke zugeworfen. Und alles andere wirst du ja gleich bei dem Empfang sehen.« Es war Johanna nicht entgangen, dass sie ziemlich eingehend gemustert worden war.

»Du willst doch nicht deine neue Chefin verführen.« Mirena sah Johanna mit geweiteten Augen an.

Johanna stellte ihr Glas in die Spüle. »Keine Sorge. Ich werde in nächster Zeit ganz sicher niemanden mehr verführen.« Die Leichtigkeit, die sie bis eben gespürt hatte, war plötzlich wie weggeblasen. Zu schnell kamen all die Erinnerungen wieder. »Ich habe erst mal keinerlei Interesse an Beziehungen oder irgendwelchen Verwicklungen.« Diesen Fehler würde sie sicher kein zweites Mal begehen.

Mirena nickte. Sie hatte sich oft Johannas Liebeskummer in den letzten Wochen, seit sie auf Kreta war, anhören müssen, auch wenn Johanna ihr keine Details erzählt hatte. »Aber wenn sie was fürs Auge ist, hat sie dem ehemaligen Chef definitiv schon mal was voraus.«

»Ich dachte, du stehst auf Männer.« Johanna griente leicht.

Mirena zuckte mit den Schultern. »Stimmt.« Sie lachte. »Blind bin ich trotzdem nicht. Und ich hoffe sehr, dass sie sich nicht nur optisch von unserem alten Chef unterscheidet. Du kannst echt froh sein, dass du ihn nicht mehr kennengelernt hast.«

»Mir reicht Giorgos schon als vorübergehende Leitung des Clubs. Er mag vielleicht optisch ein gutsausehender Kerl sein, aber seine Art ist kaum zu ertragen.« Johanna holte das Shirt aus ihrer Tasche und warf es in den Wäschekorb.

»Ich muss zugeben, Giorgos ist durchaus ansehnlich, ein typischer Grieche eben.« Mirena nickte leicht. »Aber mir ist schon klar, dass du wohl doch eine Griechin bevorzugen würdest. Also, erzähl, wie sieht die Neue aus?«

»Sehr dunkle, lange Haare, wenn ich es richtig gesehen habe, braune Augen, schlank, etwas größer als ich. Reicht das?«

Mirena lachte. »Fürs Erste ja. Hauptsache, sie wird eine gute Chefin.«

»Ich habe ein gutes Gefühl. Sie wirkt sehr nett und umgänglich.«

»Also ich würde mir wünschen, dass sie unsere harte Arbeit anerkennt und uns nicht nur für die Gästeunterhalter hält, die den ganzen Tag in der Sonne sitzen.«

Johanna legte einen Arm um Mirena. Für die rumänische Tänzerin hatte es trotz ihres Talents keine Möglichkeit gegeben, in ihrer Heimat mit ihrem Beruf Geld zu verdienen. Was das anging, hatte Johanna sehr viel mehr Glück gehabt.

Bis . . .

Sie wischte den Gedanken sofort beiseite. »Ich denke, sie wird eine faire Chefin, die die Arbeit aller anerkennt. Das kleine Event heute Abend ist doch schon mal ein gutes Zeichen.«

»Wahrscheinlich hast du recht. Weißt du schon, was du gleich anziehst?«

»Bevor ich irgendetwas anziehe, muss ich erst mal duschen.«

Mirena warf einen Blick auf die Uhr. »Wenn wir noch was essen wollen, musst du dich aber beeilen.«

»Straffer Zeitplan heute mal wieder.« Johanna seufzte.

Daran hatte sie sich noch nicht gewöhnt. Zwar hatte sie, bevor sie zugegebenermaßen recht überstürzt als Tänzerin und Animateurin nach Kreta gekommen war, auch viel gearbeitet, aber irgendwann hatte sie Feierabend gehabt. Hier war sie von morgens bis abends im Einsatz, denn nach dem Kennenlernevent stand die abendliche Party mit den Gästen an. Und am Morgen musste sie dann wieder ihren Yogakurs geben.

»Ich beeile mich. Die erste Rede unserer neuen Chefin wollen wir doch nicht verpassen.«

4

Als Eleni den großen Konferenzraum betrat, hatten sich bereits zahlreiche Mitarbeiter um die Stehtische versammelt.

Gleich an der Tür wurde sie mit einem »Da sind Sie ja schon« von Giorgos abgefangen, noch ehe sie sich richtig hatte umsehen können.

Zumindest verhinderte er damit, dass Eleni sich überlegen musste, ob und mit wem sie ein Gespräch anfing.

Gemeinsam mit ihm trat sie in den Saal. Stickige Luft empfing sie. Offensichtlich hatte jemand vergessen, die Klimaanlage einzuschalten.

»Es müssten bald alle Gäste anwesend sein«, sagte Giorgos.

Unzählige Beschäftigte sahen sie mal verstohlen, mal unverhohlen an, während sie mit Giorgos zu dem kleinen Podest ging, neben dem zwei Lautsprecherboxen standen. Das Interesse an der neuen Chefin war deutlich erkennbar.

Eleni strich ihren schwarzen Blazer glatt.

Adrett in weißen Hemden gekleidete Kellner liefen durch die Menge und verteilten unter den Anwesenden Gläser mit Sekt sowie die von Alexandros angekündigten Häppchen. Eleni und Giorgos nahmen sich ein Glas, als eine Kellnerin direkt vor ihnen stehenblieb.

»Ist das alles so, wie Sie es sich vorgestellt hatten?« Giorgos biss in eine gefüllte Spinattasche, die er sich ebenfalls vom Tablett genommen hatte.

»Nai, ja. Efchraristo poli, vielen Dank.« Eleni lächelte ihm zu.

Wenn sie ehrlich war, hätte sie die Tische im Raum anders arrangiert und hätte den Saal eher in Blautönen als in Rot geschmückt. Aber hätte sie alles ohne fremde Hilfe organisieren wollen, wäre es unmöglich gewesen, direkt am Abend ihrer Ankunft dieses Event zu veranstalten. Also hatte sie in den sauren Apfel beißen und die Aufgabe Giorgos übertragen müssen.

»Darf ich mich vorstellen?« Eine ältere Dame kam auf Eleni zu. Sie stellte sich als die Leiterin des Housekeepings vor.

Das war der Anfang von mehreren kurzen Gesprächen, die meist nicht über ein paar Belanglosigkeiten hinausgingen. Eleni hatte jetzt schon Mühe, sich alle Namen zu merken.

Irgendwann waren die ersten Tabletts mit Sekt und Häppchen leer. »Ich denke, ich sollte langsam mal meine kurze Vorstellungsrede halten«, sagte Eleni an Giorgos gerichtet. Ihre Schultern schmerzten, und erst jetzt bemerkte sie, wie sehr sie die Muskeln angespannt hatte.

Sie atmete kurz durch und betrat die Bühne.

Souverän hielt sie ihre Rede, die sie mit einem »Auf unsere Zusammenarbeit!«, beendete. Sie hob ihr Glas an und prostete den applaudierenden Mitarbeitern zu. Vorsichtig nippte sie an dem Sekt. Er war bereits schal geworden und schmeckte nicht mehr.

Sie stieg von der Bühne herab und stellte ihr Glas auf einen Stehtisch. Normalerweise trank sie nur sehr selten Alkohol, aber ein Glas eignete sich hervorragend, um sich daran festhalten oder in peinlichen Gesprächspausen einen kleinen Schluck nehmen zu können. Daher entschied sie sich, Nachschub zu holen.

Erst, als sie sich an die improvisierte Bar gestellt hatte, erkannte sie, wer vor ihr stand: Johanna Henk.

Als hätte die Animateurin ihre Gedanken gelesen, drehte sie sich zu Eleni um. Aus der Nähe sah sie noch besser aus. Ihre grünen Augen schimmerten in dem dämmrigen Licht des Konferenzraums.

»Oh«, entfuhr es der jungen Frau überrascht. Offensichtlich hatte sie nicht mit Eleni gerechnet.

»Schön, Sie persönlich kennenzulernen. Ich denke, ich muss mich nicht noch einmal vorstellen.« Eleni bemühte sich um ein unverfängliches Lächeln, aber sie war sich sicher, dass sie, wenn sie sich in diesem Moment im Spiegel gesehen hätte, albern wirkte.

Julia Schöning: Meraki – Verliebt auf Griechisch ⯌ Eine Leseprobe in zwölf Teilen

1 Eleni atmete einmal tief durch, ehe sie ihren Gurt löste. Jetzt war sie also hier. In Heraklion....
»Davon habe ich gelesen.« Eleni umklammerte den Haltegriff über ihrem Sitz. Die griechische...
»Entschuldigen Sie. Ich hatte noch etwas Wichtiges zu erledigen.« Eleni sah ihm fest in die Augen....
»Natürlich.« Dionysia nickte. »Dann lass ich Sie beide jetzt allein«, verabschiedete sich Giorgos...
»Das stimmt.« Johanna drückte Eleni ein Glas in die Hand, das sie gerade ergattert hatte. »Ich bin...
Als sie von den Unterlagen aufsah, schaute Johanna sie immer noch an. Ein Lächeln umspielte ihre...
7 »Kommen Sie doch herein.« Dieses Mal hatte Dionysia ihren Besuch telefonisch angekündigt....
9 Eleni hatte sich durch den Hintereingang ins Hauptrestaurant geschlichen, um so lange wie...
11 Während sie die bergige Straße zum Strand hinunterlief, konnte Eleni das Wellenrauschen hören....
12 »Na, komm schon rein.« Kaum hatte Eleni ihr Appartement betreten, wartete Gataki bereits vor...
Ein unzufriedener Hotelgast brüllte die arme Rezeptionistin an, und Eleni schritt sofort ein. Er...
15 »Johanna, setz dich doch.« Eleni lächelte sie an. »Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir uns...