Ein unzufriedener Hotelgast brüllte die arme Rezeptionistin an, und Eleni schritt sofort ein. Er beschwerte sich vor allem über den unsauberen Zustand seines Zimmers. Eleni klärte die Situation, indem sie dem Gast einige Extras versprach, und machte sich in Gedanken eine Notiz, dass sie sich als Nächstes das Housekeeping vorknöpfen musste. Denn das war nicht der erste Vorfall dieser Art. Manchmal bekam Eleni fast den Eindruck, dass die Beschwerden eher noch zunahmen, all ihrer Bemühungen zum Trotz.
Sie wandte sich von der Rezeption ab, da sah sie Jason und Johanna auf sie zukommen. Das nächste Problem, das es zu lösen galt. Aber zumindest ein Problem, das eine schnellere Lösung versprach als die ganzen übrigen Baustellen des Meraki Beach Clubs. Sie seufzte.
»Hallo, Johanna. Schön, dass Sie so kurzfristig etwas Zeit hatten.« Gemeinsam mit den beiden Entertainern ging Eleni zurück in ihr Büro.
»Setzen Sie sich doch bitte.« Sie deutete auf die beiden freien Stühle ihrem Schreibtisch gegenüber und nahm selbst auf ihrem Stuhl Platz. »Ich schätze, dass Jason Ihnen noch nicht verraten hat, worum es geht.«
Johanna schüttelte den Kopf. Sie wischte die Hände an ihren kurzen Sportshorts ab.
»Vorweg, Sie müssen sich keine Sorgen machen. Es geht um nichts Schlimmes.« Eleni suchte Johannas Blick und schenkte ihr ein Lächeln. »Ganz im Gegenteil.«
»Okay.« Johanna schien nicht überzeugt zu sein. Jetzt nickte auch Jason ihr aufmunternd zu.
»Jason«, ergriff Eleni wieder das Wort, »hat mir gerade mitgeteilt, dass er aus persönlichen Gründen mit sofortiger Wirkung kündigt und zurück in seine Heimat muss.« Sie machte eine kurze Pause und beobachtete Johannas Reaktion. Doch an ihrer Miene konnte Eleni nicht erkennen, ob sie begriff, was das mit ihr zu tun hatte. »Das heißt, wir brauchen umgehend einen neuen Dance Captain und Entertainment-Manager.«
Erst jetzt weiteten sich Johannas Augen und begannen zu strahlen. »Heißt das . . .?«
»Genau, das heißt, dass Sie ab sofort diesen Job haben, wenn Sie wollen.«
»Oh mein Gott.« Johanna sprang von ihrem Stuhl auf und umarmte Jason. »Danke, dass du an mich gedacht hast. Hast du doch, oder?«, plapperte sie ungehalten drauf los. »Ich kann’s gar nicht glauben.«
Eleni betrachtete Johannas Freude amüsiert. Die Entscheidung war genau die richtige. »Ich denke, das heißt, dass Sie das Angebot annehmen?«
Johannas Wangen röteten sich, dann setzte sie sich wieder. »Ja, sehr gern.« Sie räusperte sich.
»Sobald Jason abgereist ist, können Sie dann in sein Einzelzimmer ziehen. Das steht Ihnen ja nun in Ihrer neuen Position zu«, erklärte Eleni. »Ebenso wie eine Gehaltserhöhung.« Sie schrieb ein paar Zahlen auf einen Zettel und reichte ihn Johanna. »Das wäre das neue Gehalt. Allzu viel ist es nicht.« Sie runzelte leicht die Stirn. »Es besteht aber leider auch keinerlei Handlungsspielraum mit dem Konzern diesbezüglich.«
»Ich mache das hier nicht wegen des Geldes«, sagte Johanna und hatte ja keine Ahnung, wie gut Eleni darüber mittlerweile Bescheid wusste. »Danke für Ihr Vertrauen.« Sie sah Eleni tief in die Augen.
Zu lange und zu tief. Elenis Herz begann zu pochen.
Das konnte was werden.
14
»Du glaubst nicht, was passiert ist!« Überschwänglich stürmte Johanna in ihr Zimmer.
Mirena lag auf dem Bett, sie nahm einen Ohrhörer aus ihrem Ohr. »Was ist denn los?«
Johanna sprang zu Mirena auf die Matratze und umarmte sie. »Ich bin befördert worden. Ab sofort bin ich die neue Dance Captain.«
»Das ist ja großartig!« Mirena riss die Augen auf. »Aber was ist mit Jason?«
»Er muss zurück zu seiner kranken Mutter.« Nach dem Gespräch bei Eleni hatte Johanna sich noch eine ganze Weile mit Jason unterhalten und den genauen Grund für seine plötzliche Abreise erfahren. »Wahrscheinlich reist er bereits morgen ab.«
»Oh.« Für einen Augenblick legte sich Betroffenheit in Mirenas Miene. »So leid es mir für den armen Jason tut, umso mehr freut es mich für dich. Das hast du echt verdient.« Ihr Gesicht hellte sich wieder auf. »Als Animateurin zu arbeiten ist ja nun wirklich weit unter deinen Möglichkeiten.« Sie drückte Johanna an sich. »Was hältst du von einem Orangensaft zur Feier des Tages?«, schlug sie grinsend vor.
Eigentlich trank Mirena nur Wasser und ungesüßten Tee aus Angst um ihre Figur, selbst wenn sie ebenso wie Johanna jeden Tag mehrere Stunden Sportkurse gab und zusätzlich die Shows auf der Bühne tanzte.
»Ich hole uns zwei Gläser.«
Johanna stand auf, holte den Saft und goss ihnen beiden ein. Dann setzte sie sich wieder neben Mirena auf das Doppelbett, das sie sich bisher geteilt hatten.
»Eine schlechte Nachricht gibt es deswegen allerdings. Ich werde umziehen, und du wirst wahrscheinlich bald eine neue Zimmergenossin bekommen, wenn ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin für mich gefunden wurde.«
Mirena machte einen Schmollmund. »Du kannst mich doch nicht verlassen.«
»Ich bin ja nur ein paar Zimmer weiter, und zumindest hast du mal für ein paar Tage deine Privatsphäre zurück.«
Das war etwas, an das sich Johanna nur mühsam hatte gewöhnen können. Es gab fast keinen einzigen Moment, an dem sie mal wirklich allein und für sich sein konnte. Im Club stand sie permanent unter Beobachtung, entweder von den Gästen oder den Kollegen. Und im Zimmer hatte sie meistens Gesellschaft von Mirena.
Sie stupste Mirena in die Seite. »Und vielleicht ist ja in den nächsten Tagen ein attraktiver Gast hier, der dir die einsame Zeit versüßen kann.«
Mirena verdrehte die Augen. »Nee, danke. Das ist mir zu stressig. Du weißt, was es bedeutet, wenn das herauskommen würde. Dann kann ich gleich meine Sachen packen.«
»Ja, offiziell. Aber wir beide wissen doch, wie das hier abläuft. Nenn mir einen aus unserem Team, der in diesem Jahr nicht irgendeine kleine Liebelei hatte.«
Mirena nickte. »Wahrscheinlich hat hier jeder mit jedem was gehabt. Oder mit dem ein oder anderen Gast. Außer uns, versteht sich.« Sie grinste. »Sechs Monate können eine verdammt lange Zeit sein.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Aber glaub mir, bei mir wird es dabei bleiben, dass ich nicht auf diese Liste komme. Der Job ist mir heilig.«
Johanna nickte bestätigend. »Das kann ich gut verstehen. Für mich kommt das auch nicht infrage.«
Doch im selben Moment musste sie plötzlich an Eleni denken. War sie denn von allen guten Geistern verlassen? Eleni war nicht einfach nur eine Kollegin oder ein Gast. Sie war ihre Chefin. Mit der sie von nun an noch enger würde zusammenarbeiten müssen.
Sie wurde nachdenklich. »Vielleicht hätte ich doch erst mal eine Nacht über das Angebot schlafen sollen.«
»Bekommst du kalte Füße?« Mirena lachte. »Glaub mir, niemand hier ist auch nur ansatzweise so geeignet für diese Aufgabe wie du. Du wirst das im Schlaf meistern.«
»Was, wenn die anderen mich nicht akzeptieren? Ich bin schließlich erst wenige Wochen hier, und dann werde ich ihnen plötzlich vor die Nase gesetzt.« Den zweiten Grund für ihre Bedenken verriet Johanna natürlich nicht.
Ihre beiden Handys summten in diesem Moment gleichzeitig. Eine Nachricht für die Teamgruppe. Es würde in einer Stunde ein außerordentliches Meeting stattfinden.
»Jetzt wird es offiziell.« Mirena klopfte Johanna auf die Schulter. »Mach dir keine Sorgen, was die anderen denken. Alle hier mögen und schätzen dich. Niemand hat so viel Erfahrung wie du.«
Hoffentlich hatte Mirena zumindest in diesem Punkt recht. Die Sorge, die Eleni betraf, konnte sie Johanna aber leider nicht abnehmen.