12
»Na, komm schon rein.« Kaum hatte Eleni ihr Appartement betreten, wartete Gataki bereits vor der Terrassentür und blickte Eleni mit ihren großen Augen erwartungsvoll an.
Eleni öffnete die Tür, und das Fellbündel huschte sofort herein. Sie lächelte die Kleine an, die sie mittlerweile vollständig in ihr Herz geschlossen hatte. Bald sollte sie mit ihr zum Tierarzt gehen und sie kastrieren lassen, sonst würde es in absehbarer Zeit noch viele kleine Gatakis geben.
Eleni hatte zwar keine Ahnung, was Gataki tagsüber trieb, aber bei der Unmenge an streunenden Katzen auf der Insel war es nur eine Frage der Zeit, bis sie sich nach der Geschlechtsreife mit einem Kater paaren würde.
Während Eleni routiniert die Schüsseln mit Wasser und Futter auffüllte, schweiften ihre Gedanken zu Johanna. In ihrem weiß geblümten Strandkleid war ihre sommerliche Bräune noch besser zur Geltung gekommen als in den blauen Einheitsklamotten, die alle Entertainer bei der Arbeit trugen. Ihre blonden Haare hatte sie dieses Mal offen getragen, Wind und Salz hatten sie ordentlich zerzaust.
Der Beachlook stand ihr ausgesprochen gut. Kurz hatte Eleni den Impuls unterdrücken müssen, ihr durch die Haare zu streichen.
Sie seufzte. Was machte sie sich für Gedanken über ihre Mitarbeiterin? Johanna war eine von vielen. Aber doch eine Besondere. Und eine, über die sie gern mehr wüsste.
Einem Impuls folgend öffnete sie ihren Laptop. Mal sehen, ob das Internet half, etwas über das Geheimnis von Johanna Henk herauszufinden, das sie Eleni nicht hatte verraten wollen. Niemand mit solchen Qualifikationen würde spontan entscheiden, sein altes Leben abzubrechen, um als schlecht bezahlte Animateurin in einem Ferienclub unter miesen Bedingungen zu arbeiten.
Als der Computer endlich hochgefahren war, tippte sie Johannas Namen in die Suchmaschine ein. Gataki sprang auf ihren Schoss und ließ sich schnurrend kraulen.
Auf dem Bildschirm erschienen eine Menge Suchergebnisse und Bilder. Schlagzeilen verschiedener Boulevardblätter:
Ruiniert diese Frau den Weltmeisterschaftstitel?
Hoffnungsvolles Eistanzpaar vor dem Aus – wegen ihr
Unheilvolle Affäre zwischen Eistanz-Star Valentina Romanova und ihrer Trainerin
Dazu ein Bild, das eindeutig Johanna Arm in Arm mit einer attraktiven Brünetten zeigte. Offensichtlich der aufstrebende Eistanz-Star.
Eleni klickte sich durch die Berichte. Anscheinend hatte Johanna eine Beziehung mit dieser Valentina gehabt, die gemeinsam mit ihrem damaligen Lebensgefährten und Eistanzpartner Paul bei Johanna trainiert hatte.
Als die Affäre bekannt geworden war, hatte sich Paul ohne Umschweife von Valentina getrennt, und eine journalistische Schlammschlacht hatte begonnen, auch wenn beide Frauen den eindeutigen Bildern zum Trotz abstritten, dass zwischen ihnen etwas gelaufen war.
Das Opfer der Berichterstattung war eindeutig Johanna gewesen. Die Presse schien sich gegen sie verschworen zu haben. Und auch Valentina schien kein gutes Haar an ihrer Ex gelassen zu haben. Ein Interview, das sie einem bekannten Boulevardblatt gegeben hatte, klang keineswegs so, als hätten Gefühle jemals eine Rolle gespielt.
Also hatte Eleni recht gehabt. Johanna hatte einen guten Grund gehabt, ihr Leben in Deutschland abzubrechen. Zumal ihr der Bundesstützpunkt mit sofortiger Wirkung gekündigt hatte, als alles ans Licht gekommen war.
Eleni ging an den Kühlschrank und goss sich ein Glas Wein ein. Das brauchte sie heute ausnahmsweise. Diese ganzen Informationen musste sie erst einmal verarbeiten.
Wie gern würde sie Johanna nach ihrer Version der Geschichte fragen. Wollte sie fragen, wie es ihr damit ging. Es musste furchtbar gewesen sein, so an den Pranger gestellt zu werden. Aber das konnte Eleni natürlich nicht, dann hätte sie ja offenbaren müssen, dass sie im Internet nach ihr gesucht hatte.
Außerdem schien Johanna bei ihrem Gespräch sehr darauf bedacht gewesen zu sein, bloß nichts in dieser Hinsicht von sich preiszugeben.
Elenis Finger fuhren durch Gatakis weiches Fell.
Aber eine gute Sache hatte das Ganze. Eleni konnte sich sicher sein, dass Johanna auf Frauen stand und dass da vielleicht doch eine kleinere Flirterei zwischen ihnen gewesen war.
Sie nahm ein Schlückchen von dem eiskalten Weißwein.
Spielte das denn eine Rolle?
In ihrem Leben war kein Platz für Gefühle, kein Platz für eine Beziehung. Das würde zu nichts anderem als gebrochenen Herzen führen. Das konnte sie nicht gebrauchen. In den letzten Jahren hatte sie sich stets erfolgreich vor Verletzungen geschützt, das würde auch so bleiben.
Und schließlich gab es im Hotel mehr als genug zu tun. Die Arbeit verlangte ihre volle Aufmerksamkeit.
13
»Danke, dass Sie so spontan Zeit für mich hatten.« Jason, der Dance Captain und Entertainment-Manager, setzte sich Eleni gegenüber.
»Was kann ich denn für Sie tun?«
Der junge Mann wiegte den Kopf hin und her. »Ich muss nach Hause. Und zwar so schnell es geht.« Er stieß hörbar laut die Luft aus. »Es tut mir wirklich leid. Aber meine Mutter ist krank geworden, ich muss mich um sie und meinen kleinen Bruder kümmern. Es gibt sonst niemanden, der das übernehmen kann.« Er reichte Eleni einen Briefumschlag. »Das ist meine Kündigung.«
Eleni nahm das Kuvert an. »Das tut mir sehr leid zu hören. Unter diesen Umständen kann ich natürlich nichts sagen. Auch wenn es ausgesprochen schade ist, so einen wichtigen Mitarbeiter zu verlieren.«
Nach außen gab Eleni sich gefasst, doch in ihrem Kopf rasten bereits die Gedanken. Irgendjemand musste schnellstmöglich Jasons Job übernehmen. Die Organisation des gesamten Sport- und Unterhaltungsprogramms lag in seinem Aufgabenbereich, außerdem mussten jetzt die Bühnenshows geändert werden. Den Gästen durfte nichts auffallen, sie wollten sich weiterhin amüsieren, und zwar mit dem gesamten Angebot.
Als hätte Jason ihre Gedanken erraten, sagte er: »Falls Sie mich fragen würden, wen ich für einen geeigneten Ersatz halte, würde ich Johanna Henk vorschlagen.«
»Frau Henk?« Eleni richtete sich auf.
»Sie ist überaus qualifiziert, und auch wenn sie erst vier Wochen hier im Club ist, hat sie sich bestens eingearbeitet«, schwärmte er. »Sie wäre sicherlich von vornherein Dance Captain geworden, wenn sie mit im Trainingscamp gewesen und nicht erst später dazugestoßen wäre. Alle profitieren hier von ihrer Bühnenerfahrung und ihrem Talent für Choreografien.« Jason lächelte breit. »Mich eingeschlossen.«
Eleni nickte. »Wahrscheinlich haben Sie recht mit diesem Vorschlag.«
Sie zögerte einen Moment. Wäre das wirklich die richtige Entscheidung? Das würde bedeuten, dass sie mit Johanna deutlich enger zusammenarbeiten müsste. War Johanna dieser Aufgabe überhaupt gewachsen? Die sportlichen Qualifikationen hatte sie fraglos. Aber ein Job im Management war doch noch etwas anderes. Dafür brauchte es mehr als diverse Lizenzen und Bühnenerfahrung.
Doch hatte sie eine Wahl? Bis von irgendwoher Ersatz kommen würde, würde es wahrscheinlich ewig dauern.
Zu einem Entschluss gekommen nickte sie. »Gut. Können Sie bitte Johanna suchen und gleich mit ihr noch einmal zu mir kommen? Ich gebe derweil dem Konzern Bescheid, damit Ihre Rückreise zeitnah organisiert werden kann.«
Jason stand auf. »Mache ich. Und vielen Dank!«
Als er die Tür öffnete, um hinauszugehen, drangen von draußen laute Stimmen in Elenis Büro. Genau konnte sie nicht verstehen, was dort gebrüllt wurde.
Eleni konnte nicht tolerieren, dass sich irgendwer lautstark in ihrem Hotel anschrie, also folgte sie Jason in Richtung Rezeption, um die Situation zu klären.