7
»Kommen Sie doch herein.« Dieses Mal hatte Dionysia ihren Besuch telefonisch angekündigt.
»Vielen Dank.« Kaliopi Dourakis, die Food & Beverage-Managerin, betrat Elenis Büro. »Sie wollten mich sprechen?«
Eleni nickte und deutete auf den Stuhl ihr gegenüber. »Setzen Sie sich doch.«
Dieses Mal hatte Eleni die Personalakte der jungen Frau ausführlich vorab studiert. »Ich möchte mir gern ein persönliches Bild von jedem Mitarbeiter hier machen. Freut mich, dass Sie so spontan Zeit hatten.«
Kaliopi nickte. »Selbstverständlich.«
»Wussten Sie, dass ich genau Ihren Posten hatte, bevor ich die Leitung dieses Hotels übernommen habe?« Eleni lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und lächelte.
»Wirklich?« Kaliopi wirkte tatsächlich erstaunt. Vielleicht ging sie gerade in Gedanken ihre eigenen Karriere-chancen durch.
»Daher weiß ich, was für ein verantwortungsvoller Job das ist«, fuhr Eleni fort. »Immerhin ist die Auswahl an Speisen und Getränken für die meisten Urlauber sehr entscheidend für einen glücklichen Aufenthalt.«
Kaliopi nickte. »Auf jeden Fall. Wir sind sehr bemüht, nur das Beste anzubieten.«
Eleni klopfte mit dem Kugelschreiber auf die Schreibtischplatte. »Das ist genau der Punkt, über den ich mit Ihnen sprechen möchte. Mein Eindruck – und auch der Eindruck, den die Gäste zu haben scheinen – ist leider ein anderer. Die Qualität der Speisen und Getränke lässt deutlich zu wünschen übrig. Zumindest für ein 5-Sterne-Hotel wie dieses.«
Kaliopi sah betreten zu Boden, ihre Füße wippten auf und ab, aber sie erwiderte nichts.
»Es ist Ihre Verantwortung, dass wir gute Produkte verwenden. Es muss sich dringend etwas ändern.«
Kaliopi zögerte und kaute auf ihrer Unterlippe. »Ich habe die Verträge nicht gemacht, die gab es schon, als ich hier angefangen habe.«
»Haben Sie denn alles überprüft? Sind Sie zufrieden mit allem?«
Noch immer wich Kaliopi Elenis Blick aus. »Giorgos meinte, es ist alles bestens.«
»Ach ja. Giorgos.« Eleni fragte sich, ob ihr Stellvertreter und Interims-Chef tatsächlich dieser Überzeugung war, oder ob nicht etwas anderes dahintersteckte.
»Also . . . er war zufrieden«, stammelte Kaliopi.
»Ich bin aber nicht zufrieden.« Eleni holte tief Luft. »So, wie es momentan ist, kann es auf keinen Fall bleiben.«
Kaliopi schluckte. »Das heißt?« Ihre Stimme zitterte leicht.
Fast tat die junge Frau Eleni etwas leid. Sie schien tatsächlich sehr unbedarft zu sein. Fraglich, ob sie ihrem Job wirklich gewachsen war. Aber Eleni wollte ihr eine Chance geben, sich zu beweisen. Schließlich hatte sie selbst auch mal jung und unerfahren angefangen.
»Sie kündigen die Verträge, und wir werden uns nach neuen Lieferanten umsehen.« Eleni verschränkte ihre Hände. »Sie werden sich um die Getränke kümmern und um alles, was mit den Nachspeisen zusammenhängt. Ich kümmere mich um den Rest.« Wenn Eleni wollte, dass es richtig gemacht wurde, musste sie einen Teil der Aufgabe selbst übernehmen. Es war klar, dass Kaliopi sonst damit überfordert sein würde. »Und damit wir uns nicht falsch verstehen, die Kündigung der bestehenden Verträge übernehmen Sie. Bestehen Sie auf einer außerordentlichen Kündigung wegen ungenügender Qualität. Zwei Wochen sollten reichen, um erste Ergebnisse zu haben, oder?«
Kaliopi, die mittlerweile ganz blass geworden war, nickte. »Natürlich.«
8
Elenis Schultern schmerzten. Sie streckte ihre Arme über den Kopf und versuchte, die Spannung durch ein paar Rotationen etwas zu lösen.
Die erste Arbeitswoche hatte ihr alles abverlangt. Auch jetzt hatte sie keinen Feierabend, sondern saß am Schreibtisch in ihrem Appartement. Einige Tabellen wollte sie noch durchgehen.
Ihr Handy klingelte. Zu ihrer Überraschung leuchtete Nathalies Name im Display auf.
»Wie schön, von dir zu hören«, begrüßte Eleni ihre ehemalige Kollegin freudig.
»Wie geht es dir auf der Trauminsel? Vermisst du mich wenigstens ein bisschen?«
Eleni stand auf und lief ein paar Schritte durchs Zimmer. »Sagen wir so, der Anfang war schon recht arbeitsintensiv.« Sie hörte das mittlerweile vertraute Miauen auf ihrer Terrasse. »Moment, ich bekomme Besuch.« Als sie die Tür öffnete, huschte Gataki sofort herein und sah Eleni erwartungsvoll an.
»Besuch?« Nathalies Grinsen war durch das Telefon zu vernehmen. »Damenbesuch? Das ging ja schnell.«
Eleni lachte. »Kann man so sagen.« Sie füllte zwei Schüsseln, eine mit Wasser, eine mit dem Katzenfutter, das sie mittlerweile in rauen Mengen gekauft hatte. »Aber es ist nur ein kleines Kätzchen.«
»Ach, schade. Ich würde mir wünschen, dass du endlich auch mal eine tolle Frau findest.« Nathalie schnalzte mit der Zunge. »Oder gibt es vielleicht eine attraktive Lesbe unter dem Personal?«
Eleni zögerte einen kurzen Moment. Sofort schoss ihr Johannas Bild durch den Kopf. »Ein paar gutaussehende Frauen gibt es hier schon.« Sie beugte sich zu Gataki und streichelte durch das weiche Fell. »Aber über deren sexuelle Orientierung habe ich mir bisher keine Gedanken gemacht«, behauptete sie.
»Und welche gefällt dir ganz besonders?« Nathalie kannte Eleni mittlerweile zu gut, als dass sie ihr etwas vormachen konnte.
Elenis Finger zeichneten kleine Kreise in das Fell der Katze, die dabei genüsslich schnurrte. »Gut, ich werde dir jetzt einen Namen nennen, damit du zufrieden bist. Aber da läuft nichts. Und wird es auch nicht. Ich habe hier mehr als genug zu tun. Außerdem weißt du, dass ich kein Interesse an einer Beziehung habe.«
Nathalie seufzte theatralisch. »Wie heißt sie?«
»Johanna.«
»Gut, damit gebe ich mich erst einmal zufrieden. Und jetzt erzähl mir von deiner Arbeit.«
Gataki sprang auf Elenis Bett, noch ehe sie die Katze zurückhalten konnte. Die Kleine kuschelte sich in eins der Kissen. Eleni beschloss, sich einfach danebenzulegen, das Bett war ohnehin viel zu groß für eine Person allein.
»Es scheint mehr Probleme zu geben, als man mir anfangs erzählt hat«, begann Eleni. »Zum Beispiel ist die Qualität der Lebensmittel für den Preis, den wir an den Großhändler zahlen, miserabel. Kein Wunder, dass sich die Gäste beschweren. Wir sind schließlich kein beliebiges Mittelklassehotel.« Sie schnaufte leicht.
»Oh«, meinte Nathalie dazu nur.
»Ja, oh«, wiederholte Eleni. »Und wie gesagt, das ist wahrscheinlich erst die Spitze des Eisbergs.«
»Puh. Und was machst du jetzt?«
»Detektiv spielen.« Eleni lachte. »Also mit den meisten Mitarbeitern habe ich schon gesprochen. Die meisten haben bereitwillig recht offen meine Fragen beantwortet, aber bei dem ein oder anderen hatte ich das Gefühl, dass sie etwas vor mir verbergen wollen. Ich hoffe, ich kann herausfinden, was hier läuft«, seufzte sie.
»Ach, du wirst das schon hinkriegen«, versicherte Nathalie zuversichtlich. »Bis jetzt hast du immer alles erreicht, was du dir vorgenommen hast.«
»Ich hoffe es wirklich.« Gataki hatte sich mittlerweile auf Elenis Bauch gelegt. Das sanfte Vibrieren beruhigte sie. »Mit dir gemeinsam wäre die Arbeit sicherlich deutlich leichter.«
Nathalie lachte. »Du weißt, wie gern ich immer mit dir zusammengearbeitet habe, wir waren echt ein unschlagbares Team. Aber ich habe einfach nicht so viel Talent und Erfahrung wie du. Ganz abgesehen von den fehlenden Griechischkenntnissen.«
»Jetzt stell bitte dein Licht nicht unter den Scheffel«, sagte Eleni gespielt empört. »Du bist ganz sicher eine der fähigsten Kolleginnen, mit denen ich jemals gearbeitet habe. Falls du also irgendwann mal Interesse an Kreta hast, lass es mich wissen. Ich setze dann alles dran, um etwas für dich zu arrangieren.«
»Apropos Kreta, ist es wirklich so schlimm dort, wie du es dir vorgestellt hast?«
Eleni zuckte so abrupt zusammen, dass Gataki aufsprang. Manchmal vergaß sie fast, wo sie war. Sie hatte das Hotel noch nicht verlassen, seit sie angekommen war, außer um einmal in den Supermarkt für das Katzenfutter zu fahren.
»Es geht bisher«, sagte sie emotionslos, auch wenn bereits die Nachfrage einen Sturm an Gefühlen in ihr ausgelöst hatte.
Sie hatte Nathalie nie die genauen Gründe erzählt, warum sie nicht nach Kreta wollte.