Als sie von den Unterlagen aufsah, schaute Johanna sie immer noch an. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. »Wir hatten alle ein bisschen Sorgen, wie die neue Chefin sein würde. Aber ich denke, das war völlig unbegründet.«

»Warten wir es ab.« Eleni musste lachen.

Auf Johannas Gesicht tanzten vergnügt die Sommersprossen. »Vielleicht möchten Sie ja mal irgendwann in meinen Kurs kommen.«

»Das wollen Sie nicht wirklich. Zum Tanzen habe ich keinerlei Talent.«

Johanna ließ ihren Blick unverhohlen über Elenis Körper gleiten. »Aber zumindest sehen Sie sportlich aus. Da ließe sich bestimmt was machen. Bisher habe ich noch jeder etwas beibringen können.«

Eleni hob eine Augenbraue. Flirtete Johanna mit ihr? »Darüber sollten wir ein anderes Mal reden. Auch wenn ich unser Gespräch sehr genossen habe«, sie klopfte auf den Stapel Papiere, die auf ihrem Schreibtisch lagen, »verlangt mein erster Arbeitstag leider noch sehr viel von mir.«

»Mich hat es auch sehr gefreut.« Schwungvoll sprang Johanna von ihrem Stuhl, sodass er ins Wanken geriet.

Eleni wünschte sich, nicht nur diesen Elan zu haben, sondern auch diese ausgesprochen aufrechte Körperhaltung und diese durchtrainierte Figur. Beneidenswert.

Als Johanna die Tür wieder hinter sich geschlossen hatte, sank Eleni in ihren Stuhl zurück. Was war los mit ihr? Warum waren ausgerechnet jetzt ihre Hormone aus dem jahrelangen Tiefschlaf erwacht?

Das beste Mittel dagegen war, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Das hatte immer funktioniert. Wenn sie nicht in den nächsten Monaten das Hotel retten würde, könnten sie sich ohnehin alle zur neuen Saison einen neuen Job suchen.

Sie schaltete den Bildschirm wieder ein, der zwischenzeitlich in den Stand-by-Modus gewechselt hatte. Die Rettung des Clubs hatte oberste Priorität. Ein erster Schritt war es, den negativen Bewertungen auf den Grund zu gehen, vor allem, was Essen und Service anging.

Eleni griff zum Telefon und wählte die Durchwahl ihrer Sekretärin. »Könnten Sie bitte für heute Nachmittag die Food & Beverage-Managerin und den Restaurantleiter einbestellen? Getrennt voneinander? Und mir die Personalakten heraussuchen?« Die Namen der beiden hatte Eleni vergessen. Wie alle anderen hatte sie sie am letzten Abend kennengelernt, doch es waren einfach zu viele Mitarbeiter gewesen, um sich alle einzuprägen.

6

»Kalimera, Stefanos. Guten Morgen. Kannst du mir bitte ein Wasser geben?« Johanna lehnte sich an die Poolbar. Sie musste gegen die Bässe, die aus den Boxen dröhnten, anschreien.

Der Kellner, der fast jeden Morgen hinter der Bar stand, lächelte ihr zu und schob ihr kurz darauf ein Glas Wasser entgegen.

Bereits zu dieser frühen Stunde saßen zahlreiche Hotelgäste mit einem Bier oder einem Cocktail an den Tischen, die um die Pools verteilt standen. Es würde für Johanna immer ein Rätsel bleiben, wie man schon vor dem Mittagessen Alkohol trinken konnte.

Ihr Kollege David hatte sich unter die Urlauberinnen gemischt und schien mit jeder Frau zu flirten. Johanna wusste, dass er schwul war. Trotzdem beherrschte er das Spiel mit den Gästen perfekt. Alle fühlten sich von ihm angehimmelt, sie lagen David förmlich zu Füßen. Seine Flirts sorgten für Entspannung, Freude und Gelassenheit. Genau das, wofür die Gäste diesen überteuerten Club buchten.

Johanna hätte freiwillig niemals so eine Art von Urlaub gemacht. Sie wäre eindeutig Individualreisende.

Sie nippte an ihrem Wasser, während sie das ausgelassene Treiben im Pool beobachtete. Zwei Teams spielten gegeneinander irgendeine Art Ballspiel, das einer der Animateure schreiend dirigierte. Die Urlauber grölten, das Wasser spritzte. Alle schienen Spaß zu haben.

Johanna war froh, dass sie zu den Tänzerinnen gehörte und für das Sport- und Bühnenprogramm verantwortlich war und nicht für solche dämlichen Spiele.

Die Sonne brannte auf ihren Armen. Sie stellte sich ein Stückchen näher an die Bar, um etwas von dem Schatten abzubekommen.

Hätte sie Eleni mehr preisgeben müssen? Hätte sie ihr von Valentina erzählen sollen und was vorgefallen war? Warum sie tatsächlich ihren Job gewechselt hatte?

Nein, das ging Eleni nichts an. Das ging niemanden etwas an. Sie hatte den Abstand von dem ganzen Trubel gebraucht, den sie verursacht hatte. Alles wieder aufzuwärmen, konnte sie nicht gebrauchen.

Eleni.

Johanna seufzte. Warum musste die neue Chefin so attraktiv sein? Die unfassbaren dunkelbraunen Augen, die so viel Geheimnisvolles ausstrahlten. Die dunklen Locken, die trotz aller Bändigungsversuche mit Haargummis und Haarspangen in alle Richtungen standen und so gar nicht zu der so kontrollierten Art und zu dem Businessoutfit passten.

»Kenne ich dich nicht irgendwo her?« Ein junger Mann mit deutlicher Fahne stand plötzlich neben ihr. Er war mindestens einen Kopf größer und deutlich breiter. Wie die meisten im Club war er Deutscher und machte sich gar nicht erst die Mühe herauszufinden, ob Johanna überhaupt Deutsch sprach. Er legte seine Hand ungefragt auf ihren Unterarm.

»Ich bin Tänzerin und Animateurin hier.« Johanna bemühte sich um ein professionelles Lächeln. Immer höflich zu den Gästen sein. Das wurde ihr vom ersten Tag an eingebläut.

Der Gast schüttelte den Kopf. »Nein, ich meine, ich kenne dich irgendwo anders her.«

Johanna wurde heiß und kalt gleichzeitig. Jetzt bloß keinen Fehler machen. Sie straffte ihre Schulter und drehte sich so, dass sie die Hand des Mannes abschütteln konnte. »Ich denke nicht.« Dann nahm sie ihr Glas und lief einfach los. Hauptsache weg.

»Hey, warte mal.« Nach wenigen Schritten hatte sie jemand eingeholt. Zu Johannas Erleichterung war es nicht der Gast, sondern David. »Alles okay?«

Johanna nickte. »Ja, alles okay.«

»Ich habe dich beobachtet. Ich weiß, du bist noch neu hier. Vielleicht weißt du noch nicht Bescheid.«

Johanna zog die Stirn kraus. »Was meinst du?«

»Na ja, du kannst einen Gast nicht so schroff zurückweisen. Wir müssen immer freundlich sein, auch wenn es manchmal vielleicht nicht das ist, was wir empfinden.«

»Er hat mich angetatscht. Ungefragt.« Sie starrte David an.

»Er ist im Urlaub, hat ein bisschen was getrunken.«

»Ist das dein Ernst?« Johanna traute ihren Ohren kaum. Sollte sie sich einfach von irgendwelchen Typen belästigen lassen?

»Ach komm, du weißt doch, worauf du dich mit diesem Job eingelassen hast. Versuch einfach, nächstes Mal etwas netter zu sein. Das ist nur ein gutgemeinter Rat. Ich möchte dich nämlich als Kollegin nicht verlieren.«

Dann war er so schnell verschwunden, wie er gekommen war.

Johanna blieb allein zurück. Hatte sie wirklich die richtige Entscheidung getroffen? Hätte sie doch in Deutschland bleiben sollen? Irgendwann wäre sicher Gras über die Sache gewachsen und sie hätte einen neuen Job gefunden. Einen, bei dem sie nicht andauernd auf dem Präsentierteller stand, einen, in dem sie sich nicht alles gefallen lassen musste.

Nein, es hatte keine Alternative gegeben. Und hatte sie nicht davon geträumt, einfach mal spontan eine Entscheidung zu treffen, ihr Leben zu genießen, Abenteuer zu erleben? Als sie Leistungssportlerin gewesen war, war alles durchgetaktet gewesen, kein Raum für Spontanität.

Am Ende war es genau das gewesen, was ihrer Karriere als Spitzensportlerin im Weg gestanden hatte. Sie konnte sich nicht zu hundert Prozent an Pläne halten, das letzte bisschen Disziplin fehlte ihr dazu. Und dann war sie direkt in die Trainerkarriere geraten, ebenfalls ohne große Freiräume.

Das war jetzt ihre Chance. Die würde sie nutzen. Sie würde sich auf sich konzentrieren. Keine Valentina mehr. Keine Eleni.

Julia Schöning: Meraki – Verliebt auf Griechisch ⯌ Eine Leseprobe in zwölf Teilen

1 Eleni atmete einmal tief durch, ehe sie ihren Gurt löste. Jetzt war sie also hier. In Heraklion....
»Davon habe ich gelesen.« Eleni umklammerte den Haltegriff über ihrem Sitz. Die griechische...
»Entschuldigen Sie. Ich hatte noch etwas Wichtiges zu erledigen.« Eleni sah ihm fest in die Augen....
»Natürlich.« Dionysia nickte. »Dann lass ich Sie beide jetzt allein«, verabschiedete sich Giorgos...
»Das stimmt.« Johanna drückte Eleni ein Glas in die Hand, das sie gerade ergattert hatte. »Ich bin...
Als sie von den Unterlagen aufsah, schaute Johanna sie immer noch an. Ein Lächeln umspielte ihre...
7 »Kommen Sie doch herein.« Dieses Mal hatte Dionysia ihren Besuch telefonisch angekündigt....
9 Eleni hatte sich durch den Hintereingang ins Hauptrestaurant geschlichen, um so lange wie...
11 Während sie die bergige Straße zum Strand hinunterlief, konnte Eleni das Wellenrauschen hören....
12 »Na, komm schon rein.« Kaum hatte Eleni ihr Appartement betreten, wartete Gataki bereits vor...
Ein unzufriedener Hotelgast brüllte die arme Rezeptionistin an, und Eleni schritt sofort ein. Er...
15 »Johanna, setz dich doch.« Eleni lächelte sie an. »Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir uns...