Hannah bahnte sich ihren Weg durch die Buffetbelagerer und Kampfschaufler, die mit vollen Tellern zu ihren Tischen balancierten. Wie konnte man so früh am Morgen nur so viel essen?

Erst als Hannah sich auf den Stuhl gegenüber Elizabeth fallenließ und all ihre Überforderung mit einem Seufzer auf den Tisch ergoss, blickte Elizabeth von ihrer Lektüre auf, musterte ihr Gegenüber kurz und grinste. »Wohl eher nicht die Frühaufsteherin?«

»Musikerin«, antwortete Hannah gequält und konnte nicht anders, als zu lächeln.

Während sie selbst in den Tag stotterte wie ein altersschwacher Traktor, wirkte Elizabeth wie frischer Frühlingswind. Keine Spur von Müdigkeit oder Antriebsschwäche.

Elizabeth griff nach der silbernen Kanne vor ihr, rückte eine frische Tasse heran und goss Hannah ein. »Milch oder Zucker?«

Hannah schüttelte den Kopf. »Schwarz.«

»Das ist also dein letzter Tag in Beaver Peak?« Mit einem Kopfnicken deutete Elizabeth Richtung Sarah und Hannah wusste, woher Elizabeth diese Information hatte. Dorffunk at its best. Kein typisch deutsches Ding, das schien international gleich zu funktionieren.

»Morgen nach dem Frühstück reise ich ab«, erwiderte Hannah und sog den Kaffeeduft ein. Die ersten Schlucke schmeckten himmlisch und nach ersehnter Rettung.

»Umso wichtiger, dass wir heute sehr früh starten.«

Hannah sah auf, ihre Augenbrauen zogen sich fragend nach oben. »Wohin denn?«

»Würde ich dir das verraten, wäre es keine Überraschung mehr, oder?«

»Das hier ist mir Überraschung genug«, konterte Hannah und leerte ihre erste Tasse. Elizabeth schenkte ihr sogleich nach.

»Deine Jackengröße konnte ich mir ungefähr denken. Was ist mit deiner Schuhgröße?«

»Schuhgröße?« Die Augenbrauen wanderten noch weiter nach oben.

»Welche Schuhgröße hast du?«

»Was willst du denn jetzt mit meiner Schuhgröße?«

»Sie wissen«, lachte Elizabeth. »Also, neununddreißig? Vierzig?«

»Achtunddreißig«, murmelte Hannah perplex. »Aber ich hab doch Schuhe.«

»Perfekt, damit kann ich dienen. Also, am besten frühstückst du noch eine Kleinigkeit, bis zum nächsten Lunchstop dauert es nämlich noch etwas. Und du brauchst schließlich Kraft.«

Der Gedanke, jetzt etwas zu essen, erzeugte ein flaues Gefühl in der Magengegend, doch gegen Elizabeths Feuereifer traute sie sich kaum Widerstand zu leisten.

Zwei Toasts, eine Banane und zwei weitere Tassen Kaffee später stand sie in der Lobby und überlegte für einen kurzen Moment ernsthaft, ob sie nicht wieder zurück auf ihr Zimmer flüchten sollte.

»Hast du alles?«

»Was brauche ich denn?«

»Dich, die Klamotten in meinem Wagen und Zeit.«

»Zeit habe ich«, schmunzelte Hannah, »doch ganz wohl ist mir nicht dabei, nicht zu wissen, wohin du mich bringst. Wer weiß, was du mit mir vorhast.«

»Stimmt, du kennst mich ja nicht. Vielleicht arbeite ich auch in Mafiakreisen und habe den Auftrag, dich zu entführen.« Elizabeth lachte.

In diesem Moment kam Sarah an ihnen vorbei, schüttelte den Kopf und schenkte Elizabeth ein Augenzwinkern. »Du und Mafia, eine schrägere Kombination ist dir nicht eingefallen?«

Anscheinend kannten sich die beiden ziemlich gut. So wie sie miteinander sprachen und miteinander umgingen, wirkten sie sehr vertraut, auf eine Weise, die Hannah nicht deuten konnte, eng verbunden. Zumindest nahm ihr das die Befürchtung, dass Elizabeth sie tatsächlich entführen wollte, auch wenn sie selbst kurz überlegt hatte, ob es klug war, zu einer fremden Frau ins Auto zu steigen. Aber Elizabeths vertrauensvolle Art wollte so gar nicht zu irgendeiner Horrorvorstellung passen, die man sich mit viel Fantasie zusammenspinnen konnte.

Als Elizabeth sich umdrehte und zum Ausgang lief, zögerte Hannah noch einen kurzen Moment, trottete dann aber wie ein treudoofer Hund hinterher.

Es war viel zu früh, um Widerstand zu leisten!

7

Als sie bereits den Ort einige Kilometer hinter sich gelassen hatten, fiel Hannah auf, dass sie ihr Handy im Zimmer vergessen hatte. Wenn Lauren jetzt versuchte, sie zu erreichen, würde sie sich womöglich Sorgen machen.

»Hey Elizabeth, ich habe mein Handy liegenlassen, wäre es möglich, dass ich mit deinem kurz telefonieren könnte? Ich warte eigentlich auf einen wichtigen Anruf.«

»Warte kurz, da vorn ist ein Parkplatz, ich fahre kurz rechts ran. Mein Handy liegt hinten in der Jackentasche.«

»Danke«, sagte Hannah und war froh, Lauren Bescheid geben zu können, ehe sie sich Sorgen machte.

Am Parkplatz angekommen, stiegen sie beide aus. Elizabeth ging um den Wagen herum, öffnete den Kofferraum, angelte nach der Jacke und zog ihr Handy heraus, das sie Hannah überreichte. »Ich warte im Wagen.«

Hannah nickte, wählte Laurens Nummer, die sie in- und auswendig kannte, und erneut ertönte nur das Freizeichen.

Mist, dachte Hannah, als sich die Mailbox meldete. »Hey Lauren, ich habe mein Handy in der Pension vergessen und bin jetzt sicher ein paar Stunden unterwegs. Ich wollte dir nur Bescheid sagen, damit du dir keine Sorgen machst. Ich rufe dich an, sobald ich zurück bin und hoffe, dass bei dir alles okay ist. Ich freue mich auf morgen!«

Dann legte sie auf, starrte noch einige Sekunden auf das Display und stieg wieder zu Elizabeth ins Auto, die gerade einen Radiosender ohne störendes Rauschen suchte.

Das Handy legte Hannah in die Mittelkonsole und schnallte sich wieder an. Das nervöse Ziehen in der Magengegend meldete sich erfolgreich zurück. Sie versuchte, es zu unterdrücken. Bestimmt erreichte sie Lauren, wenn sie später zurück war, und alles würde in Ordnung sein. Ansonsten hätte sie sicher schon einen Anruf oder eine Nachricht von Andy bekommen, der beinahe täglich Kontakt mit Lauren hatte, weil sich mit ihnen wahrlich Topf und Deckel auf platonischer Ebene gefunden hatten.

»Ist etwas passiert? Du siehst plötzlich so ernst aus.« Elizabeth sah kurz zu Hannah herüber, ehe sie das Auto von der Landstraße auf den Highway lenkte. Zumindest hier sahen die Straßen wieder frei aus und reger Verkehr schob sich Richtung Norden.

»Nein, sicherlich alles halb so wild«, entgegnete Hannah knapp. Sie hätte Elizabeth von Lauren erzählen können, von den nächtlichen Anrufen, doch irgendetwas in ihr sperrte sich. Darüber zu reden, würde sie nur noch mehr kirre machen.

Stattdessen hegte sie die Hoffnung, die kommenden Stunden würde ihr etwas Ablenkung bringen. Und immerhin hatte Lauren nun Elizabeths Nummer und könnte im Zweifel zurückrufen.

Hannah atmete hörbar aus.

Elizabeth nickte und machte keinerlei Anstalten, nachzuhaken. Stattdessen drehte sie das Radio lauter, als ein alter Song von Johnny Cash ertönte.

Hannah lehnte den Kopf an die Scheibe und betrachtete die Landschaft, die an ihnen vorbeiflog. Schnee, wohin sie blickte, doch dazwischen kunterbunte Holzhäuser, die der Szenerie etwas Warmes verliehen.

Sie passierten kleine Ortschaften, einsame Häuser und zugefrorene Seen. Der Ausblick ließ Ruhe in Hannah einkehren, ihr Atem beruhigte sich und sie ließ sich in Tagträumereien fallen, während Elizabeth das Auto durch die Winterlandschaft steuerte.

Langsam wurde die offene Landschaft von dichten, schneebehangenen Wäldern abgelöst, als Elizabeth den Highway verließ und einer kleineren Landstraße immer weiter gen Norden folgte.

Als am Horizont ein kleines Diner auftauchte, ging Elizabeth vom Gas und ließ ihr Auto auf dem Parkplatz ausrollen. Nur wenige Autos hatten sich hierher verirrt.

»Zeit für ein zweites Frühstück«, lächelte Elizabeth, zog den Schlüssel ab und bedeutete Hannah, ihr zu folgen.

Hannah verspürte nach dem gezwungenen Frühstück des frühen Morgens eigentlich noch keinen Hunger, doch als die Tür aufschwang und sie eintraten, strömte ihnen herrlichster Ahornsirupduft entgegen.

»Die Pancakes hier sind unvergleichlich«, fügte Elizabeth passend hinzu und steuerte einen Tisch am Fenster an. Hannah folgte ihr, die üppige Kuchentheke musternd.

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